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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Reinhard Kleber14. Mai 2005

60. Jahrestag des Kriegsendes / EU-Verfassung im Bundestag / Einweihung des Holocaust-Mahnmals

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Die Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes in Russland nehmen in den Kommentarspalten der Auslandspresse breiten Raum ein. Weitere Themen sind die Zustimmung des Bundestages zur EU-Verfassung und die Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Berlin.

Zunächst zu den Gedenkfeiern in Moskau. Die spanische Zeitung ABC schreibt dazu:

"Die Feiern in Moskau waren eine Ehrung des russischen Volkes. Sie galten in keiner Weise dem gestürzten Sowjetsystem. Allerdings hätte es die historische Korrektheit erfordert, auch an die Kooperation der Sowjetunion mit den Nazis zu erinnern. Diese Entente zwischen den kriminellsten politischen Systemen der Geschichte war bei den Nürnberger Prozessen wohlweislich ausgespart worden. Deutschland bat für den Holocaust um Vergebung, Japan für die Grausamkeiten in China. In Russland steht noch eine Entschuldigung dafür aus, dass die Sowjets dem Nazi-Regime Rückendeckung für den 'Blitzkrieg' in Westeuropa gaben und damit eine Mitschuld tragen."

Ganz anders bewertet die Moskauer Tageszeitung ISWESTJA die Lehren aus der Geschichte des Zweiten Weltkriegs:

"Der Tag des Sieges war eine einmalige Möglichkeit, um endgültig die gegenseitigen Vorwürfe zu klären, um Russland zu positionieren nicht als die ewig beleidigte jüngere Schwester, die einst die Hausherrin im eurasischen und osteuropäischen Haus war, sondern als gleichberechtigter Partner. Elemente dieses Positionierung fanden sich in den Reden des russischen Präsidenten. Aber richtige Politik ist dies noch nicht. Wir rechtfertigen uns immer noch in aggressivem Ton statt einer genau formulierten Linie zu folgen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gibt zu bedenken:

"Seit dem Ende der Sowjetunion sind erst knapp anderthalb Jahrzehnte vergangen. Die Hoffnung, dass auch in Russland eines Tages eine offene und ungeschminkte Debatte über die ganze Wahrheit des 'Grossen Vaterländischen Krieges' und dessen Folgen in Gang kommt, mag nicht völlig unrealistisch sein. Allerdings ist es höchst zweifelhaft, dass eine solche Entwicklung in der Ära Putin je beginnen könnte. Es liess jedenfalls tief in Putins Geschichtsverständnis blicken, als er Ende April in seiner Rede zur Lage der Nation den Kollaps der Sowjetunion allen Ernstes als 'grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts' bezeichnete."

Sehr kritisch äußert sich die dänische Zeitung POLITIKEN zum Verhältnis Putins zu Europa:

"Putin ist absolut kein Freund Europas. Natürlich ist es positiv, wenn die EU und Russland ihre Zusammenarbeit ausbauen. Denn diese wird immer ein Schlüssel zu Frieden und Stabilität auf dem Kontinent sein. (...) Aber Putin steht mit seinem Kurs für das Gegenteil von dem, was Europa braucht. Er folgt einer Logik aus dem Kalten Krieg, die Verbindungen zu Europas letztem Diktator, Präsident Lukaschenko, in Weißrussland über den Respekt vor Demokratie setzt. Putin hat die Demokratie im eigenen Land so weit zurückgeschraubt, dass dies die EU beunruhigen muss."

Dagegen nimmt die italienische Zeitung LA STAMPA das gute deutsch-russische Verhältnis unter die Lupe:

"Die Unterstützung des russischen Präsidenten Putin für einen permanenten deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat ist kein Scherz und auch kein Skandal. Der deutsche Bundeskanzler hat gezeigt, dass er es versteht, beim Thema Tschetschenien-Konflikt oder etwa beim Yukos-Skandal ein Auge zuzudrücken. Auf die Frage, ob denn seine strategische Allianz mit Russland nicht auch ein wenig Raum für Kritik an der Regierung Putins lässt, antwortet Schröder mit dem Hinweis, die Frage sei in Wirklichkeit eine andere. (...) In einer Europäischen Union, in der im Zuge des Beitritts von Ländern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion auch antirussische Stimmungen im Ansteigen begriffen sind, ist Deutschland heute zum ersten Verbündeten Russlands geworden."

Der deutsche Bundestag hat klar Ja zur EU-Verfassung gesagt. Kurz vor der Volksabstimmung in Frankreich über die Verfassung meint die Zeitung LA PROVENCE aus Marseille zu diesem Thema:

"Zu einer Zeit, wo Frankreich stammelt und sich verheddert, zögert und sich zerfleischt, hin- und herrudert und ohne Ende streitet, wo Strömungen und Gedanken sich treffen und wieder trennen, hat Deutschland massiv 'Ja' zu Europa gesagt. Ein wirklicher Elan, der von der öffentlichen Meinung getragen wird. Der Elan einer der Gründernationen der EU, die den Gedanken Konrad Adenauers treu geblieben ist, die voranschreiten und die Irrtümer der Vergangenheit ausradieren will."

Anders die Pariser Zeitung LIBERATION. Sie sieht in der lebhaften französischen Diskussion über die Verfassung dagegen eine Chance für den europäischen Gedanken.

"Arme Deutsche, die ihren Abgeordneten die Aufgabe überlassen, die Verfassung zu ratifizieren! Ein Referendum ist mächtig und reißt alle mit. Auch seine Gegner, die an den Wählern zweifeln. (...) Dank der Verfassung gibt es eine so leidenschaftliche öffentliche Debatte über Europa wie seit dem Referendum über den Maastricht-Vertrag 1992 nicht mehr. Diese Kraft der Volksabstimmung hat die Grenzen überschritten und Brüssel erreicht. (...) Es lebe also das Referendum, das Europa bewegt und ihm erlaubt, endlich aus seiner technokratischen Schale herauszukommen und seine wahre politische Natur zu zeigen."

Die Wiener Zeitung DIE PRESSE betont, statt nationaler Referenden wäre ein EU-weites Referendum sinnvoll gewesen:

"Der vielleicht fatalste Fehler war, zwar einen so hochtrabenden Namen zu wählen, jedoch keine EU-weite Volksabstimmung vorzusehen. Sie hätte innenpolitisch gefärbte Auseinandersetzungen wie zuletzt in Österreich verhindert. Europas Regierungen hätten die Verfassung öffentlich diskutieren müssen. Das längst entstandene Machtgefüge der Europäischen Union wäre schonungslos transparent geworden. Doch dazu fehlte in den meisten EU-Hauptstädten der Mut."

Und nun zum Holocaust-Mahnmal in Berlin:

Die TIMES aus London schreibt zu dem Mahnmal, das vom amerikanischen Architekten Peter Eisenman entworfen wurde:

"Sein Holocaust-Mahnmal zollt einer simplen Wahrheit einen eindrucksvollen Tribut: An die sechs Millionen Juden, die von der Nazi-Regierung vor mehr als 60 Jahren ermordet wurden, muss täglich bewusst erinnert werden. (...) Wir sind mehr an Denkmäler gewohnt, die glorifizieren: Übergroße Statuen von Churchill oder Nelson, ein Soldat auf dem Rücken eines Pferdes, ein Regent auf seinem Thron. In Berlin werden wir aufgefordert, nicht zu feiern, sondern nachzudenken. Wie das Vietnam-Mahnmal von Maya Lin in Washington entbietet es den Toten ein kleines bisschen Gerechtigkeit."

Die Zeitung LA REPUBBLICA aus Rom beobachtete bei der Einweihung den Bundeskanzler sehr genau und führt aus:

"Das Gesicht Gerhard Schröders schien angespannt in seinem Bemühen, ein Weinen zurückzuhalten. Die Augen des Kanzlers, der ein harter und entschlossener Staatsmann sein kann, der zu Bush Nein sagen und der EU Bedingungen stellen kann, waren voll Tränen, als er den Erinnerungen an den Völkermord zuhörte, die sein eigenes Volk begangen hatte. Dieser, vor den Kameras der Weltöffentlichkeit, emotional überwältigte und traurige Kanzler ist das sympathische, menschliche und beruhigende Gesicht des neuen Deutschlands."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT vergleicht das Gedenken an das Kriegsende in Moskau mit der Einweihung des Holocaust-Denkmals in Berlin und schreibt:

"Nun ist Russland sicher nicht das einzige Land, in dem der Patriotismus sich in Militäruniformen kleidet. Aber auffallend und eigentlich auch schockierend war der Umfang, in dem dies am Montag in Moskau geschah, und auch das Ausmaß, in dem auf Symbole und Kennzeichen der Sowjetzeit zurückgegriffen wurde. (...) Die russische Unempfindlichkeit steht in starkem Kontrast zu der Bereitschaft, die die deutsche Führung in diesen Tagen gezeigt hat, um der nationalen Kriegsvergangenheit in die Augen zu sehen und dafür weiterhin Verantwortung zu übernehmen. Diese Bußfertigkeit, die gestern mit einem neuen, eindringlichen Holocaust-Denkmal in Berlin unterstrichen wurde, trägt manchmal sogar Zeichen eines Kults. Aber sie ist der ohrenbetäubenden Stille in Moskau bei weitem vorzuziehen."