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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Zusammengestellt von Herbert Peckmann28. Mai 2005

Neuwahl des Bundestags angestrebt/ Politische Alternativen in Deutschland/ Auswirkungen eines möglichen politischen Wechsels

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Die Auslandspresse hat sich in dieser Woche mit der angestrebten Neuwahl des Bundestags beschäftigt. Beleuchtet wurden auch die politischen Alternativen in Deutschland und die Auswirkungen eines möglichen politischen Wechsels auf das Ausland.

In Paris sah die Tageszeitung LE FIGARO Kanzler Schröder nach der Wahlniederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen mit dem Rücken zur Wand. Das Blatt schrieb:

"Mit der Ankündigung vorgezogener Bundestagswahlen in vier Monaten hat er für allgemeine Verblüffung gesorgt. Die Überraschung hat sogar das Ausmaß der Niederlage in Nordrhein-Westfalen übertroffen. Dabei wäre es eigentlich logisch, auf eine Verbesserung der Konjunktur zu warten, bevor man sich den Wählern stellt. Schröders fehlende Popularität wird kaum in vier Monaten zu verbessern sein. Abgesehen von einem Überraschungscoup ist schwer vorstellbar, wie Schröders Flucht nach vorn ihn vor einer angekündigten Katastrophe retten könnte."

Ähnlich kommentierte THE GUARDIAN aus London:

"Schröder ist ein großer Überlebenskünstler ... . Aber das beharrliche Ausbleiben wirtschaftlichen Wachstums in Verbindung mit den starken Vorbehalten seiner eigenen Anhängerschaft gegen sein - dringend benötigtes - Paket zur Reform des Arbeitsmarktes wird ihn nun wahrscheinlich zu Fall bringen. Selbst der farblosen CDU-Führung dürfte es dieses Mal nicht gelingen, sich um den Sieg zu bringen. Leider."

Das britische Konkurrenzblatt THE DAILY TELEGRAPH sprach sich dagegen für die Abwahl der rot-grünen Bundesregierung aus: "Die Niederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen markiert einen tiefen Einschnitt in die deutsche Nachkriegsgeschichte. Da ist es kaum überraschend, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder sich entschieden hat, die Bundestagswahl um ein Jahr vorzuziehen. Er wird die Christdemokraten im Wahlkampf wahrscheinlich als Thatcheristen darstellen, die den deutschen Sozialstaat zerstören wollen. Dieser Vorwurf gegen die deutschen Konservativen ist absurd. Sie mögen die Reformen mit größerem Nachdruck vorantreiben, als es die SPD bisher getan hat, aber das ist noch kein Radikalismus."

Auch die NEW YORK TIMES beleuchtete angesichts der geplanten Neuwahl die Haltung der Christdemokraten. Das Blatt schrieb:

"In all ihren Jahren in der Opposition hat (CDU-Chefin) Merkel niemals ein detailliertes Alternativprogramm zu der linksgerichteten Koalition unter Schröder ... vorgelegt. Sie sagt, sie wisse, wie die deutsche Wirtschaft wieder belebt werden könne und sie hat Schröder vorgeworfen, er isoliere Deutschland mit seiner Außenpolitik. Aber wie Merkels Programm sich genau unterscheiden würde, wurde niemals erläutert. Trotzdem - mit Blick auf die Außenpolitik wird allgemein davon ausgegangen, dass eine Kanzlerin Merkel pro-amerikanischer wäre als Schröder dies war ... ." Das war die NEW YORK TIMES.

Nachteile für Russland, falls der Kanzler die angekündigte Neuwahl verliert, befürchtete die Moskauer ISWESTIJA:

"Unter Schröder bildeten Moskau, Berlin und Paris eine Einheitsfront gegen den Irak-Krieg. Schröder galt als wichtigster Lobbyist russischer Interessen in der Europäischen Union. Unter Schröder hielten die Führer Russlands und Deutschlands engeren Kontakt als je zuvor in der Geschichte beider Länder - sie trafen sich formell, informell, mit den Familien. ... Alles läuft auf ein Ende der Vorzugsbehandlung in den deutsch-russischen Beziehungen hinaus. Die neue Kanzlerin wird kaum so oft und so eng Kontakt mit Putin halten."

Die russische Zeitung KOMMERSANT konstatierte:

"Die Neuwahl auf Vorschlag Gerhard Schröders wird ihn wohl sein Amt kosten. Wir sind daran gewöhnt, dass Politiker sich anders verhalten. Es gilt als normal, dass ein Präsident oder anderer Amtsträger an seinem Posten klebt wie eine Klette. ... Doch der entschlossene Schritt kann Schröder neue Anhänger bringen. Selbst wenn er verliert - was sehr wahrscheinlich ist -, ist das keine Schande. Als Politiker gewinnt er die Reputation, dass er die Meinung des Volkes achtet und nicht an seinem Amt hängt. Das schließt sogar eine Rückkehr 2009 nicht aus, nach vier Jahren Herrschaft der Christdemokraten mit der nicht eben charismatischen Angela Merkel."

Die ungarische Tageszeitung NEPSZABADSAG analysierte:

"Wenn die (deutsche) Gesellschaft ... die CDU wählt, dann ist der von der SPD versuchte 'dritte Weg' endgültig gescheitert. Dann bleibt den Sozialdemokraten nichts anderes übrig, als dass sie aus der bequemen Oppositionsrolle heraus versuchen, eine Politik auszuarbeiten, die (soziale) Solidarität und Erwartungen des Marktes irgendwie im Gleichgewicht hält. Oder, dass sie zum früheren militanten Antikapitalismus zurückkehren. In diesem Fall steht zu befürchten, dass nicht nur Schröder und die SPD (politisches) Harakiri begehen, sondern auch Deutschland, das bisher von der europäischen Integration und von der globalen Wirtschaft größtenteils profitiert hat", meinte NEPSZABADSAG aus Ungarn.

Die Auswirkung der jüngsten Entwicklung in Deutschland auf Europa kommentierte der TAGES-ANZEIGER in Zürich:

"Mit seiner spektakulären Ankündigung von Neuwahlen zwingt ... (Schröder) nun Deutschland, vielleicht ganz Europa, eine Diskussion über den globalen Standortwettbewerb und die Rolle des Staates auf. Unpopuläre Reformen am Sozialstaat, so sie eine Regierung wirklich durchführen will, brauchen das Einverständnis der Bürgerinnen und Bürger. Diese Legitimation will sich Schröder geben lassen. Er setzt die CDU/CSU aber auch unter Druck, endlich selber Klartext zu reden - bisher hat die Opposition vor allem von der Schwäche der ausgelaugten Koalition profitiert."

Die tschechische HOSPODARSKE NOVINY nannte ein Reihe von Gründen für die Entwicklung in Deutschland:

"Fünf Lehren kann Europa aus der Entwicklung in Deutschland ziehen. Erstens: Wer bombastische Reformen ankündigt, weckt bei einer Hälfte der Wähler Erwartungen und bei der anderen Hälfte Ängste. Man sollte aber nichts versprechen, was man nicht halten kann. Zweitens ist die Kürzung von Arbeitslosenhilfe allein keine Lösung - wo es keine Arbeit gibt, nutzt Motivation wenig. Drittens ist der deutsche Arbeitsmarkt zu stark reguliert und die Arbeit in Deutschland zu teuer. Viertens: eine Flut von Bundesgesetzen, Verordnungen und EU-Direktiven. Aber zu viel Bürokratie schadet jeder Wirtschaft. Und fünftens: die theoretische Unumkehrbarkeit dieses Zustands. Wo hohe Abgaben und Arbeitsplatznormen zementiert sind, gibt es kaum eine politische Kraft, die sie beseitigen kann." Soweit HOSPODARSKE NOVINY.

Von einer Lektion für Afrika in Sachen Wirtschaftsreform sprach das südafrikanische Blatt BUSINESS DAY aus Johannesburg:

"Die Niederlage ist das Ergebnis zögerlicher und immer wieder verschobener Reformen, die in einer dynamischen Wirtschaft keine ausreichende Erfolge gezeitigt haben. ... Hätte Deutschland Strukturreformen früher eingeleitet, hätten die Sozialdemokraten diese Niederlage nicht erlebt. Schröder ist sich des Reformstaus bewusst, um Deutschlands Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Er hatte aber vergangenes Jahr nach einer Niederlage bei Landtagswahlen versprochen, dass es bis zur Bundestagswahl keine Reformen mehr geben würde. Damit saß er in der Falle. ... Wenn es eine Lektion gibt, die Südafrika von der jüngsten deutschen Erfahrung lernen kann, dann ist es die Bedeutung der Flexibilität."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT ging auf die Abkühlung zwischen SPD und Grünen ein:

"Über die Jahre haben die Sozialdemokraten immer öfter ihre Abneigung gegen grüne Weltverbesserer erkennen lassen. Dabei spielen Erkenntnisunterschiede ebenso eine Rolle wie atmosphärische Faktoren. Schließlich haben sich die Grünen zu einer linksliberalen Partei mit einer wohlhabenden Anhängerschaft entwickelt. ... In der Visa-Affäre bemühte sich die SPD kaum noch darum, die Kühle im Verhältnis zu den Grünen zu verbergen. Bundeskanzler Gerhard Schröder setzte sich zwar noch für den ins Gerede gekommenen (Außenminister) Joschka Fischer ein, aber er tat das in eher blassen Worten. Vielleicht hat er da schon mit dem Gedanken gespielt, das 'rot-grüne Experiment' zu beenden."

Die PRESSE aus Wien fand es gut, dass die SPD die Bundestagswahl vorziehen will. Dort hieß es:

"Die Regierung Schröder ist ganz offensichtlich nicht in der Lage, dem Land den Motivationsschub zu geben, den es so dringend braucht. Deutschland hängt deshalb durch, weil die Menschen keine Zuversicht haben, weil sie ihr Geld zusammenhalten, statt es auszugeben. Das rot-grüne Kabinett hat in den vergangenen drei Jahren richtige Reformschritte gesetzt, aber es konnte keine Begeisterung entfachen, keine Aufbruchstimmung erzeugen."

Zum Schluss die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, die fragte:

"Was als kann Deutschland aus der Krise herausführen? Zurzeit, so scheint es, sind keine neuen Ideen nötig. Die Diagnosen sind seit Jahren klar, die Rezepte auch. Nur ein einziges Gut wird gefragt sein: Mut. Ohne Mut und den unbeugsamen Willen, die wahre Lage offenzulegen, wird nichts mehr gehen. Eine zukünftige Regierung wird mit absoluter Priorität und rigorosen Mitteln die Schaffung neuer Arbeitsplätze ermöglichen und eine saubere Finanzpolitik anstreben müssen."

Soweit die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Das war die internationale Presseschau.