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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Michael Wehling2. Juli 2005

Bundeskanzler verliert Vertrauensfrage / Schröder bei US-Präsident Bush

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Im Mittelpunkt der Kommentare in den ausländischen Tageszeitungen, die sich mit Deutschland befassen, steht natürlich die absichtlich herbeigeführte Niederlage von Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Vertrauensfrage im Bundestag, mit der der Weg zu Neuwahlen geebnet ist. Beachtung findet ferner das Treffen Schröders mit US-Präsident George W. Bush Anfang der Woche in Washington.

Zunächst zur gescheiterten Vertrauensfrage und ihren Folgen. Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA führt aus:

'Der sozialdemokratische Kanzler - der nicht nur von den Wählern angefochten wird, sondern auch vom orthodoxen Flügel seiner Partei und den nicht Reform willigen Gewerkschaften - hat ... das Misstrauen erhalten, nach dem er seit der Schlappe bei den Regionalwahlen im Mai so sehr suchte. So hat er die Krise seiner eigenen Regierung eröffnet und die institutionelle Grundlage für vorgezogene Wahlen im September geschaffen.'

Die Zeitung THE DAILY TELEGRAPH aus London sieht Schröders Politik als gescheitert an:

'Mit seiner Agenda 2010 hat Schröder ... zwar die längst überfälligen Reformen begonnen, doch es ist ihm nicht gelungen, dabei die Sozialdemokraten hinter sich zu bekommen. Wie sein knapper Sieg über Edmund Stoiber 2002 gezeigt hat, ist Schröder ein formidabler Wahlkämpfer, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. Aber es ist nun genug Zeit verflossen, um seine grundlegende Ineffektivität zu beweisen.'

Hingegen sieht das Pariser Blatt FRANCE SOIR durchaus noch Chancen für Schröder:

'Neuwahlen sind die einzige Chance für den Kanzler, sein unpopuläres Projekt der Wirtschafts- und Sozialreformen zu konkretisieren. Man könnte diese Initiative des Regierungschefs für politischen Selbstmord halten. ... Doch dieser 61-jährige Mann, der bereits sieben Jahre Kanzlerschaft hinter sich hat, hat schon mehr als einmal das Unmögliche geschafft. ... Als Herr über den Zeitplan scheint Gerhard Schröder seine christdemokratischen Gegner destabilisieren und seine unerfahrene Rivalin Angela Merkel zu Fehlern verleiten zu wollen.'

Die österreichische Zeitung DIE PRESSE kritisiert die Vertrauensabstimmung im Bundestag:

'Schon für das Anzetteln dieser Farce hätte Schröder die Strafe der Wähler verdient. Aber die Meldung von seinem politischen Ableben wäre vermutlich voreilig: Die Umfragewerte der Union, die nahe an der absoluten Mehrheit liegen, signalisieren zwar überdeutlich den Wunsch nach einer neuen Politik. Aber CDU und CSU haben es bis jetzt unterlassen, den Deutschen zu erklären, worin diese Politik bestehen würde. Angela Merkel, die sich schon zur ersten Frau im Kanzleramt zurechtgestylt hat, wird erst beweisen müssen, dass sie im Gespräch mit den Wählern ähnlich effizient ist wie in der Niederschlagung von Palastrevolten.'

LA LIBRE BELGIQUE aus Belgien verweist auf einen anderen Aspekt:

'Das ist nicht das kleinste Paradox dieses Tages: Die Intimfeinde des Kanzlers haben für ihn gestimmt und seine wirklichen Gefolgsleute haben sich enthalten. Angela Merkel, die CDU-Kanzlerkandidatin, hat dem Kanzler ihren 'Respekt' bekundet. Mit gutem Grund: Den Umfragen zufolge werden Christdemokraten und Liberale bei den nächsten Wahlen mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen.'

Die dänische Zeitung INFORMATION aus Kopenhagen bemerkt:

'In sich ist das Ergebnis der Vertrauenabstimmung keine Katastrophe, denn Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich den Ausgang selbst gewünscht. Aber wie man das Resultat auch dreht und wendet, ist es der Anfang eines langen Abschieds von Schröder. ... Er zieht in einen aussichtslos wirkenden Wahlkampf, der nur dazu dienen kann, die Partei in den letzten wichtigen Monaten zusammenzuhalten, ehe sich die Sozialdemokraten auf die Oppositionsbänke retten und mit dem Nachdenken darüber beginnen können, wozu es ihre Partei eigentlich gibt.'

Die in der ungarischen Hauptstadt Budapest erscheinende Zeitung NEPSZAVA urteilt:

'Jetzt, wo der SPD mit dem neu entstandenen linken Wahlbündnis auch noch Konkurrenz von links erwachsen ist, kann sie keine nüchterne, der Situation angepasste Wirtschaftspolitik betreiben. Für sie - und auch ganz Deutschland - ist es daher das beste, wenn sie das Terrain der Rechten überlässt. Die weiß nämlich, was angesagt ist: die Arbeitnehmer müssen es billiger geben, damit man wieder wettbewerbsfähig wird. Ein linker Politiker kann so etwas nicht sagen und tritt lieber von der Bühne ab. Schröder tut eben genau das.'

THE GUARDIAN aus London warnt hingegen davor, die rot-grüne Koalition schon abzuschreiben:

'Vielleicht erhofft sich Schröder ..., dass die Wähler die Spitzenkandidaten von Regierung und Opposition vergleichen und feststellen werden, dass SPD und Grüne mehr zu bieten haben als CDU und FDP. Im Bundestag war diese Annahme ... nicht ohne Grundlage, denn während der Kanzler und vor allem sein Außenminister Joschka Fischer gute Reden gehalten haben, waren die Vorstellungen der CDU- und FDP-Sprecher alles andere als eindrucksvoll.'

Das österreichische Boulevardblatt KURIER vertritt folgende Position:

'Was Gerhard Schröder dem Land und seiner SPD als mutigen Kunstgriff verkaufte, entpuppt sich als riskanter Missgriff: Die mit SPD-Chef Müntefering abgekartete Neuwahl-Entscheidung führt nach menschlichem Ermessen nicht zum Ausbruch aus dem Kessel, sondern nur zur eleganteren Version der Kapitulation. Trotz der Versuchung, darin eine Bestätigung für Schröders oft zitierte Spieler-Natur zu sehen, wäre ihr Abtun als reine Taktik aber falsch: Schröder fehlt wirklich das Vertrauen nicht nur der Bevölkerung, sondern auch seiner Partei.'

Damit zum nächsten Thema, dem Besuch des Kanzlers bei US-Präsident Bush. Die russische Tageszeitung ISWESTIJA kommentiert:

'Der Blitzbesuch des Bundeskanzlers dürfte auch dessen Abschiedsvorstellung in Washington gewesen sein. George W. Bush hat Schröder schon abgeschrieben. Der US-Präsident spürt, dass die Zeit des Bundeskanzlers abläuft. Die US-Führung wartet auf einen Neubeginn mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Nach gängiger Meinung in Washington legt sie mehr Wert auf die Pflege der 'transatlantischen Partnerschaft'.'

Ähnlich sehen dies die SALZBURGER NACHRICHTEN und fahren fort:

'Es gibt aber noch einen Grund, warum das Weiße Haus nicht daran interessiert war, der Begegnung zu viel Prominenz zu verschaffen. Die Strategen des Präsidenten möchten vermeiden, dass der Besuch des ausgesprochenen Irak-Kriegs-Gegners (Schröder) eine PR-Offensive unterminiert, die das Ziel hat, die zunehmend skeptische Öffentlichkeit in den USA vom Engagement in Irak zu überzeugen. Ironischerweise nehmen inzwischen mehr Amerikaner die Position Schröders ein als die ihres eigenen Präsidenten.'

Abschließend noch ein Blick in das spanische Blatt ABC. Auch die Zeitung aus Madrid stellt Schröders Besuch im Weißen Haus in einen Zusammenhang mit der Lage im Irak:

'Die Bilder der Gewalt im Irak deuten darauf hin, dass das Land sich auf einen Konflikt ohne Ende zubewegt. In den USA wirbt Präsident George W. Bush um Unterstützung für seine Haltung im Irak- Konflikt. Bislang allerdings befindet er sich noch in einem Tunnel, dessen Ende nicht zu erkennen ist. Der Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder kam ihm da gerade recht. Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass Deutschland seine Haltung im der Irak-Frage ändern wird, konnte Bush doch im Weißen Haus seine politische Versöhnung mit einem Teil Europas in Szene setzen.'