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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M Friese 16. Juli 2005

Wahlprogramm der Union / Ehrung sudetendeutscher Widerstandskämpfer / Ja der Luxemburger zur EU-Verfassung / Srebrenica

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Im Mittelpunkt des Blicks ausländischer Tageszeitungen auf Deutschland stand in dieser Woche das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU. Aber auch die Idee der tschechischen Regierung, sudentendeutsche Widerstandskämpfer zu ehren, das Ja der Luxemburger zur Verfassung der Europäischen Union und der zehnte Jahrestag des Massakers von Srebrenica fanden Erwähnung.

Zum gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU für die für September geplante Neuwahl zum Bundestag schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:

"Das 'Regierungsprogramm' der CDU/CSU steht zwar unter dem Titel 'Deutschlands Chancen nutzen', aber die Union tut das Gegenteil, sie vergibt die Chance, sich zu profilieren... Es gab einmal die Hoffnung, die als mögliche Kanzlerin geltende CDU-Vorsitzende Angela Merkel möge in Deutschland in gewisser Hinsicht wie eine Margaret Thatcher auftreten und wirken. Nun zeigt sich, dass es kaum Ähnlichkeiten gibt. Die dauernd mit ihrer Machterhaltung beschäftigte Merkel hat nun den Weg gewählt, keine Alternative zur Sozialdemokratie zu bieten."

Auch die BASLER ZEITUNG sieht in dem Programm eine vertane Chance:

"Sollte die Union die nächste Bundestagswahl gewinnen, verfügte sie über eine Machtfülle wie kaum eine Partei vor ihr, weil sie auch im Bundesrat eine satte Mehrheit hat. Sie könnte ein hartes Programm problemlos umsetzen. Doch die Macht ruht nicht allein in Merkels Händen. Die Länderfürsten aus der Union wollen ein ernstes Wort mitreden - und bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr wiedergewählt werden. Auch die Union wagt offenbar nicht den großen Wurf. Eine wirkliche Alternative zu Rot-Grün ist sie so nicht."

Für die britische Zeitung THE TIMES ist das Programm zu zaghaft:

"Angela Merkel ist keine Margaret Thatcher. Falls sie tatsächlich die erste deutsche Kanzlerin wird, kann man von ihr maximal vorsichtige Reformen erwarten - und nicht etwa die Lösung der tiefgehenden deutschen Probleme. Und wenn Tony Blair glaubt, dass ihm die derzeitige Oppositionsführerin bei der Reform der Europäischen Union zu Hilfe kommen wird, dann ist das reines Wunschdenken."

Auch das niederländische NRC HANDELSBLAD vermisst die nötige Härte als Antwort auf die Probleme der Globalisierung:

"Wie andere, jetzt noch wohlhabendere Länder in Europa braucht Deutschland mehr Wettbewerb, mehr ökonomische Freiheit und weniger staatliche Einmischung. Es muss mehr und härter gearbeitet werden. Merkels CDU schreckt erkennbar davor zurück, die harten Entscheidungen, die getroffen werden müssen, allzu direkt anzukündigen. Der amtierende sozialdemokratische Kanzler Schröder bleibt ein zu fürchtender Gegner."

Dagegen sieht das dänische Blatt BERLINGSKE TIDENE durchaus eine Chance für Reformen:

"Merkel geht bei den Reformen nicht so drastisch zu Werk wie früher angekündigt. Gesundheits- und Steuerreformen sind aufgeschoben. Entscheidend aber ist der Signalwert. Gewinnt sie die Wahl, ist das ein klares Mandat zur Durchführung der unumgänglichen Reformen, um Deutschland aus der wirtschaftlichen Sackgasse herauszuführen."


Zu einer möglichen Ehrung sudetendeutsche Widerstandkämpfer gegen die NS-Diktatur durch die Regierung in Prag meint die tschechische Zeitung PRAVO:

"Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sudetendeutschen Antifaschisten in der Tschechoslowakei stets eines klar gemacht: dass sie in erster Linie Deutsche und damit nicht willkommen sind. Kann es verwundern, dass viele von ihnen damals lieber das Land verlassen haben? Diesen Menschen schulden wir Tschechen etwas. Und da wäre eine symbolische Entschädigung, wie Ministerpräsident Jiri Paroubek sie derzeit erwägt, zweifellos ein richtiger Schritt. Niemand muss fürchten, dass damit die Eigentumsfrage geöffnet wird. Zudem leben 60 Jahre nach Kriegsende von diesen Widerstandskämpfern nur noch wenige."

Die ebenfalls in Prag erscheinende LIDOVE NOVINY sieht darin auch eine Anerkennung von Bundeskanzler Gerhard Schröder:

"Kein deutscher Regierungschef hat für die bilateralen Beziehungen mehr getan als er. Er hat Vertriebenenorganisationen in ihre Schranken verwiesen, und als aus deren Reihen Eigentumsforderungen laut wurden, hat Schröder keinen Moment gezögert und sich dem entgegengestellt. Sicher, die Tschechen sollten die Geste an Widerstandskämpfer in erster Linie für sich selbst machen. Aber Schröder hätte diesen diplomatischen Leckerbissen verdient."


Die posive Abstimmung der Luxemburger über die EU-Verfassung kommentiert die BERNER ZEITUNG:

"Das 'Jo' des Luxemburger Volkes zur EU-Verfassung zeigt, was ein Regierungschef erreichen kann, wenn er glaubwürdig ist: Premier Jean-Claude Juncker schaffte es, den Nein-Trend nach den Referenden in Frankreich und Holland zu brechen. Dass ihm dies mit einer Rücktrittsdrohung glückte, ist ein verzeihlicher Schönheitsfehler: Europa braucht Politiker, die von ihren Völkern vermisst würden."

Ein wenig kritischer ist die römische Zeitung LA REPUBBLICA:

"Das Ergebnis im Großherzogtum ist sicher wichtig, denn ein drittes 'Nein' hätte tatsächlich das Ende für einen Text bedeutet, der ohnehin schon ziemlich heruntergekommen ist. In diesem verhängnisvollen Fall hätte es Ablehnung aus drei Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft gegeben. Und wenn drei von insgesamt sechs Gründerstaaten die Verfassung hätten durchfallen lassen, hätte es wohl keine Möglichkeit zur Rettung mehr gegeben. Ein luxemburgisches 'Nein' hätte die Verfassung möglicherweise endgültig begraben, aber allein das 'Ja' des kleinen Großherzogtums lässt sie auch noch nicht auferstehen."

Für die österreichische Zeitung DER STANDARD hat das Ja der Luexemburger die Chancen der EU-Verfassung verbessert:

"Luxemburg mit seinen 220 000 Wahlberechtigten hat mit dem klaren Votum die EU-Verfassung reanimiert, nachdem viele sie nach den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden schon für tot erklärt haben. Wenn weitere sieben Staaten dem Beispiel folgen, dann ist eine wichtige Hürde übersprungen: Haben zwanzig von 25 Staaten den Vertrag ratifiziert, kann über das weitere Verfahren entschieden werden. Die EU-Verfassung hat somit eine Überlebenschance."


Zum Schluss noch ein Blick auf die Gedenken zum zehnten Jahrestag des Massakers von Srebrenica unter den Augen niederländischer UN-Soldaten. Dazu schreibt die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT:

"Die Debatte wird nicht verstummen. Srebrenica ist Geschichte, will aber nicht Geschichte werden. Für die Angehörigen nicht, solange die Opfer noch nicht alle gefunden und die Schuldigen nicht alle bestraft sind. Für die Niederlande nicht, solange trotz aller Berichte und einer parlamentarischen Untersuchung niemand die Frage beantworten kann, ob es hätte verhindert werden können."

Der TAGES-ANZEIGER aus Zürich ergänzt:

"Der Skandal wird noch größer, wenn vom Nationalismus verblendete Politiker in Belgrad das Massaker abstreiten. Die Anwesenheit des serbischen Präsidenten Boris Tadic an der bewegenden Gedenkfeier kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass breite Schichten der Bevölkerung in Serbien den Massenmord nach wie vor in eine westliche Verschwörung umlügen. Die Mörder von Srebrenica haben gesiegt."

Die serbische Zeitung POLITIKA wirft einen Blick nach vorn:

"Die Hauptbotschaft war doch, sich der Zukunft zuzuwenden. Das Gemeinsame in fast allen Ansprachen war, dass diejenigen verhaftet und vor Gericht gestellt werden müssen, von denen man mit vollem Grund glaubt, dass sie Verbrecher sind. Und das mit zwei Zielen. Erstens, dass ein Verbrechen nicht ohne Strafe bleibt und zweitens, dass mit der Identifizierung der Schuldigen das Kainsmal der kollektiven Verantwortung beiseite geschafft wird. "

Für das LUXEMBURGER WORT ist Srebrenica auch eine Verpflichtung für Europa:

"Nationen, die jahrhundertelang miteinander Krieg führten, leben heute in Frieden. Das liegt nicht daran, dass Westeuropa auf immer und ewig dem Krieg abgeschworen hat. Der Frieden hat nur Bestand, wenn er in tragfähige Strukturen eingebettet ist. Die Zukunft Srebrenicas und des westlichen Balkans liegt in der europäischen Integration. Sie ist das einzige Mittel, um die Kriegsdämonen auszutreiben, und um Srebrenica ins Bewusstsein aller Europäer zu rücken."