1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans Ziegler 10. September 2005

Bundestagswahlkampf / Textilstreit China - EU / Gaspipeline

https://p.dw.com/p/79yV

Zentrales deutsches Thema in den Kommentaren der ausländischen Tagespresse ist der Wahlkampf für die Bundestagswahl am 18. September. Vor allem das TV-Duell zwischen Kanzler Schröder und Herausforderin Merkel beschäftigt in diesem Zusammenhang die Kommentatoren. Ein Kommentarthema ist ausserdem der Textilstreit zwischen der Europäischen Union und China. Schließlich wird der Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee in den Blick genommen.

Zunächst zum Hauptthema, dem Wahlkampf in Deutschland und dem TV-Duell Merkel-Schröder. Die dänische Tageszeitung INFORMATION sieht die SPD nach dem Streitgespräch im Aufwind:

'Monatelang hatten Umfragen prophezeit, dass seine rotgrüne Regierung die Wahl nicht überleben würde. Nun ist das Rennen plötzlich wieder offen. Das liegt weniger an Schröders putzmunterem Auftritt beim TV-Duell mit Angela Merkel. Wie schon bei der Wahl 2002 helfen ihm Ereignisse von außen. Diesmal sind es Merkels Ernennung des radikalen Steuerreformers Paul Kirchhof zum konservativen Schattenminister in Kombination mit der furchtbaren Orkankatastrophe in den USA. Weniger gut gestellte Deutsche glauben nicht an Kirchhofs Berechnungen. Für sie wirkt dessen Einheitssteuer wie ein weiterer Beweis dafür, dass die Reichen sich nur drücken wollen und die Rechnung an die Armen weiterreichen.'

Der österreichische KURIER gibt sich in Hinblick auf den Ausgang des Streitgsprächs neutral, verweist aber auf den Wert der Debatte an sich:

' Der Durchschnittswähler, die -wählerin ist nicht Steuerexperte, nicht Gentechniker und nicht Außenpolitiker. Für ihn/sie sind die Details verwirrend und daher nicht nützlich. Sehr wohl aber die Information vom Gesamtbild eines Bewerbers. Die Gesamtbilder nach dem Duell: Er ist der staatsmännische Hemdsärmelige, mit dem man gern Freund wäre. Ihr kann man die Härte zutrauen, die nötig ist, um Parteifreunde, die sich als Feinde entpuppen, gegebenenfalls schachmatt zu setzen. Ob Merkel Arbeitsplätze schaffen oder nur versprechen kann, ist eine Glaubens-, nicht eine Wissensfrage.'

Die spanische Tageszeitung EL PAÌS schreibt:

'Gerhard Schröder hat das einzige TV-Duell der Wahlkampagne gegen Angela Merkel gewonnen. Aber die Umfragen sagen voraus, dass in Deutschland nach dem 18. September erstmals eine Frau, und aus dem ehemaligen Osten, an der Spitze des Bundeskanzleramtes stehen wird. In Koalition mit wem? Das wird man sehen. Demoskopisch steht fest, dass das Bündnis von Sozialdemokraten und Ökopazifisten nach sieben Jahren am Ende ist. Der persönliche Vorsprung Schröders gegenüber Merkel verpufft angesichts des Scheiterns der sieben Jahre Regierung und der mangelnden wirtschaftlichen Perspektiven.'

Die italienische Zeitung LA REPUBLICA kommentiert:

'Das mit Spannung erwartete Duell zwischen dem sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder und der christdemokratischen Herausforderin Angela Merkel hat ganz Deutschland leidenschaftlich verfolgt. Den ersten Umfragen zufolge hat er gewonnen, aber alle hatten ihn eh als Favoriten betrachtet. Sie hat verloren, erschien aber viel besser als erwartet.'

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz meint:

'Das im deutschen Fernsehen übertragene Streitgespräch zwischen Bundeskanzler Schröder und seiner Herausforderin Merkel bedeutete das Aufeinandertreffen zweier Politikertypen, die unterschiedlicher nicht sein können: Auf der einen Seite der Medienkanzler, der sich vor der Kamera zu produzieren weiss wie keiner seiner Vorgänger. Ihm gegenüber die manchmal spröde CDU-Vorsitzende, die sich bewusst mancher medialen Zumutung verweigert.'

Ähnlich sieht es die BASLER ZEITUNG:

'Bis zum Schluss blieb das Duell ohne Überraschungen. Es bestätigte, was man ohnehin schon wusste: Schröder wirkt souverän, sympathisch und ist vor der Kamera schwer zu schlagen. Merkel, die sich mit Hilfe eines Medienexperten auf das Rededuell vorbereitet hatte, hatte dagegen einen schweren Stand - aber sie leistete sich keinen Patzer. Anders als bei großen Medienauftritten in der Vergangenheit wirkte sie bis zum Schluss souverän und sicher. Wer auf einen Versprecher gewartet hatte, sah sich getäuscht. Sie werde das Medium Fernsehen nutzen, um ihre Argumente und Vorstellungen darzulegen, hatte Merkel vor dem Duell gesagt. Das tat sie - mit einem Selbstbewusstsein, das wohl nicht jeder erwartet hatte.'

Die belgische Zeitung DE MORGEN schreibt zum Fernsehduell:

'In der überwiegend zivilisiert verlaufenen Debatte stellte sich Merkel gestern Abend ziemlich angriffslustig auf, und Schröder zeigte sich bisweilen nervös. Unter anderem ging es um die deutsche Steuerpolitik, die Rentenpolitik, die Krankenversicherung, die Arbeitslosigkeit, die Familienpolitik und die Energiepolitik. Obwohl Schröder es vor drei Jahren schon ein Mal geschafft hatte, die Wahltrends nach einer Fernsehdebatte mit dem damaligen konservativen Kandidaten Edmund Stoiber zu seinen Gunsten umzudrehen, denken wenige, dass ihm dieser Erfolg erneut gelingen wird.'

LE SOIR, ebenfalls aus Belgien, kommentiert:

'Gegenüber der nervösen und manchmal eingeschüchterten konservativen Kandidatin, die sich in den Zahlen verhedderte, trat der Kanzler auf wie jemand, der eine Lektion erteilt. In einem mit Spannung erwarteten Fernsehduell, das gleichzeitig von den beiden großen öffentlichen Sendern und zwei Privatkanälen übertragen wurde, hat Gerhard Schröder gestern Abend versucht, den Wählern vor einem Aufstieg der Rechten an die Macht Angst einzujagen. Locker gegenüber einer wenig überzeugenden Angela Merkel hat Schröder auf deren Attacken nicht reagiert.'

Die britische Zeitung THE TIMES geht auf das TV-Duell nicht ein, nimmt aber klar Stellung zum Wahlkampf der deutschen Parteien, wenn es heißt:

'Deutschland mag einfach die Vorstellung radikaler ökonomischer Veränderungen nicht, aber genau das ist unbedingt nötig. Europa braucht diesen Wandel ebenso. Die größte Volkswirtschaft der EU ist seit mehr als einem Jahrzehnt in schlechter Verfassung, und das schadet auch den Nachbarn Deutschlands. Die Christdemokraten sind nicht so mutig wie sie sein sollten, aber Frau Merkel hat Courage und die einfallsreichen Freien Demokraten könnten einen positiven Einfluss auf die von ihr bestimmte Regierung ausüben. Ein klarer Sieg für diese beiden Parteien würde Deutschland den Neuanfang ermöglichen. Eine Nation, die ständig mit mehr als vier Millionen Arbeitslosen leben musste, kann es sich nicht leisten, dass es so weitergeht wie bisher.'


Themenwechsel und zum Textilstreit zwischen der Europäischen Union und China. Die französische Tageszeitung LE MONDE wertet den Konflikt als Beleg auch für Risse innerhalb der EU:

'Mit der neuen Vereinbarung werden die Textileinfuhren aus China nach Europa um 50 Prozent gesteigert. Das hat zu Protesten der Gegner der EU-Verfassung geführt, die sich gegen den Brüsseler 'Freihandel' auflehnen. Dieses Fiasko gibt Anlass zur Sorge. Der Zick-Zack-Kurs der Europäischen Union offenbart ihre Schwäche gegenüber einem so starken und unerschütterlichen Handelspartner wie China. Dieser verlorene Krieg, wie ihn die britische Presse getauft hat, zeigt, dass Europa nach dem Nein zur EU-Verfassung gespalten ist, ohne Zentralgewalt und ein bloßes Spielfeld der Lobby-Gruppen, die in die eine und andere Richtung ziehen. Japan ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat schon lange vor der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation WTO seine Industrie neu spezialisiert.'

Auch der britische GUARDIAN sieht Differenzen innerhalb der EU. Im Kommentar wird aber auch auf EU-einheitliche Positionen hingewiesen:

'Der Streit hat auch deutlich gemacht, dass europäische Länder oft mehr Wert auf kurzfristige kommerzielle Vorteile legen statt längerfristig zu denken und damit der Brüsseler Kommission die Arbeit als Integrationsstelle erschweren. Die EU behauptet, sie wolle ein 'strategisches' Verhältnis zu China wie man es bereits zu Russland hat. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass einige Mitgliedstaaten dies nicht wirklich wollen. Dies ist bedauerlich, denn Europa befindet sich in einer besseren Position als die USA, wenn es um den Aufbau konstruktiver Beziehungen zu Peking geht. Dies hat nicht nur mit der Aussicht auf lohnende Verträge etwa mit Airbus, Siemens und anderen zu tun. Wichtig ist auch, dass Europa in 'weicher' statt in harter Macht handelt, wodurch noch am ehesten interner Wandel in China ermutigt und beeinflusst werden kann.'


Abschließend noch zwei Pressestimmen aus Polen, beide zum Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee von Russland. Dazu merkt die GAZETA WYBORCZA an:

'Der Bau einer Pipeline durch die Ostsee macht Mitteleuropa, vor allem Polen, im Energiebereich noch abhängiger von Russland als bisher. Russland hat eine lange Tradition, den Gashahn bei Streitigkeiten mit anderen Staaten zu nutzen. Bislang wurde das 'Gashahn-Argument' gegen Polen dadurch erschwert, dass auch Deutschland an der gleichen Pipeline hing. Polen sollte in dieser Situation die Illusion begraben, dass die gemeinsame Leitung mit Deutschland Sicherheit bei der Energieabhängigkeit von Russland gibt. Zum anderen sollte es neue Gespräche mit der neuen, christdemokratischen Regierung in Deutschland geben. Angela Merkel, die mit Sicherheit Kanzler wird, hat kürzlich in Warschau gesagt, Ostpolitik könne nicht über die Köpfe der Polen hinweg geführt werden. Nehmen wir sie beim Wort.'

Die Zeitung RZECZPOSPOLITA kommentiert:

'Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist der Bau einer Gaspipeline unter dem Meer um vieles teurer als auf dem Land. (...) Für Russland ist die Umgehung Polens, der Ukraine und Weißrusslands ein zusätzliches Instrument, um politischen Druck auf die Länder zwischen Russland und Deutschland auszuüben. Für (Bundeskanzler Gerhard) Schröder ist der Vertrag mit Gazprom ein wirtschaftlicher Erfolg, den die deutsche Wirtschaft heute sehr benötigt. Weil in Deutschland bald gewählt wird, kann (Präsident Wladimir) Putins Geschenk für Schröder nicht nur großen wirtschaftlichen, sondern auch politischen Wert haben.'