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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M. Friese17. September 2005

Wahl in Deutschland

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Die vorgezogene Wahl zum Deutschen Bundestag war in dieser Woche das zentrale Thema beim Blick ausländischer Tageszeitungen auf Deutschland.

Der Züricher TAGES-ANZEIGER zieht ein Fazit des Wahlkampfs:

"Die Wochen des Wahlkampfs haben noch einmal schmerzhaft scharf gezeigt, woran Deutschland leidet. Es sind nicht 'die Sozen' und 'die Körnerfresser' - es ist nicht das Weltbild regulierungswütiger Sozialdemokraten und weltfremder Grüner -, die das Land in einen Zustand der Lähmung geführt haben, wie Unionspolitiker das gern behaupten. Es ist eine Politik, die Pöbelei, Klamauk und Machtkampf zu ihrer Kernaufgabe gemacht hat und Probleme nur noch im Nebenamt löst, falls sich etwas wirklich nicht mehr aufschieben lässt. Deutschland hat einen Wahlkampf erlebt, in dem Wählerbeschimpfung, Schweissflecken und eine Verwechslung von Brutto und Netto die Politiker nachhaltiger beschäftigten als die Nachricht, dass den Rentenkassen das Geld ausgeht."

Dazu bemerkt die ebenfalls in der Schweiz erscheinende BASLER ZEITUNG:

"Wenn sich der Pulverdampf des in der Endphase doch noch zugespitzten Wahlkampfs gelegt hat, werden die Wähler erkennen, dass sie sich von Politikern, Meinungsforschungsinstituten und Medien eine Spannung haben vorgaukeln lassen, die in Wirklichkeit gar nicht besteht. Denn egal, wer regiert, Schröder oder Merkel, einerlei in welcher Koalition: Die Bedingungen - leere Kassen, Überalterung der Gesellschaft, Folgen der Globalisierung für Kapital und Arbeit - machen den Spielraum für jeden eng. Daran kommt keine Regierung vorbei: Die meisten Deutschen werden deutliche Abstriche an ihren eigenen Ansprüchen hinnehmen müssen."

Auch die italienische Zeitung LA REPUBBLICA verweist auf die Ausgangslage:

"Wer auch immer am Sonntag der Sieger sein wird, und Angela Merkel ist die Favoritin, muss ausgehend von der Agenda 2010 regieren: Just von dem Reformprogramm also, dessen Autor, Gerhard Schröder, der wahrscheinliche Wahlverlierer sein wird. Wegen dieses Programms also, das Deutschland an die Erfordernisse dieses Jahrhunderts anpassen soll, wird über den Kanzler, und es scheint mit großer Strenge, das Urteil gefällt werden. Aber genau dieses Programm, wenn es auch unvollständig sein mag, muss eine neue Regierung bei ihrer Arbeit in Rechnung stellen. Hier tritt das deutsche Paradox zu Tage."

Und das ungarische Blatt MAGYAR HÍRLAP merkt an:

"Die Wahl wird zwar sicher von den Konservativen gewonnen werden, doch wer die nächste Regierung bilden wird, ist völlig ungewiss - so viel hat der unermüdlich kämpfende Schröder erreicht. Doch wie auch immer die künftige Regierung aussehen wird, ihre Aufgaben sind vorgegeben. Die Arbeitslosigkeit muss gesenkt werden, dazu müssen aber die Sozialleistungen abgebaut und die schwächelnde Wirtschaft wettbewerbsfähig gemacht werden."

Mit dem ungewissen Ausgang der Wahl befasst sich die französische Zeitung LA CROIX:

"Ganz Deutschland ist mit der Wirtschaft beschäftigt und besonders mit den Reformen, die Bundeskanzler Gerhard Schröder ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt hat. Die Änderungen des Arbeitsmarktes, der Sozialversicherung und der Renten, die sehr viel weiter geführt wurden und radikaler ausgefallen sind als in Frankreich, haben die Sorgen und Ängste einer breiten Bürgerschicht verstärkt. In Europa muss jeder, der Reformen durchsetzen will, zunächst überzeugen, dass sie absolut notwendig sind und er muss außerdem zeigen, dass ihre Auswirkungen gerecht verteilt sind. Weil Gerhard Schröder das nicht geschafft hat wird er zweifellos die Wahl verlieren, aber Angela Merkel wird sie vielleicht nicht gewinnen."

Breiten Raum nimmt in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer großen Koalition ein. Die Pariser Zeitung LE FIGARO warnt:

"Von Frankreich aus gesehen sind die Gefahren einer Großen Koalition in Deutschland offensichtlich. Und sie sind es umso mehr, als unser Nachbar gerade versucht, den Pessimismus abzuschütteln, der ihn lähmt. Wie soll er das denn machen, wenn nicht mit einem neuen Start und einem echten Wechsel? Manche meinen, dass eine Große Koalition den Vorteil hätte, einen Konsens über die nötigen großen Reformen herbeizuführen. Welche Schimäre! Wie bei uns wäre eine gemeinsame Regierung in Deutschland nur die Herrschaft des flauen Kompromisses und des politischen Kalküls auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Kurz: ein Rezept für Bewegungslosigkeit."

Die schwedische Zeitung SVENSKA DAGBLADET fordert von der Unionskanzlerkandidatin Mut für eine Richtungsentscheidung:

"Es sieht ganz so aus, als sollte Angela Merkel Bundeskanzlerin werden. Weit unsicherer dagegen erscheint, ob die Deutschen auch die Möglichkeit einer Regierung ergreifen, die den Reformprozess in Deutschland kraftvoll weiter voranbringen kann... Die Alternative einer großen Koalition zwischen CDU und SPD hat als Notlösung nichts Verlockendes, scheint aber immer mehr Wähler anzuziehen. Sie birgt das Risiko gegenseitiger Blockade statt eines auch nur mäßigen Reformtempos. Das braucht weder Deutschland noch Europa. Merkels politischer Mut sollte auch zu einem inspirierenden Beispiel dafür werden, dass nicht alle Wege zur Mitte führen müssen."

Und die britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH meint zum Thema große Koalition:

"Dies wäre ein Rezept für Stagnation. Die Schröder-Jahre haben gezeigt, dass die sozialdemokratische Konsensus-Politik nicht geeignet ist, um den Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können. Hoffentlich setzt sich die Überzeugung durch, dass ein Wechsel nötig ist."

Zum Schluss der Kommentar des Wiener Blattes DER STANDARD, der einen Blick in die Zukunft von Kanzlerkandidatin Merkel wagt:

"In welcher Konstellation es in Berlin weitergeht, erfahren die Deutschen am Sonntagabend. Auch Merkel wird erst dann Gewissheit haben, ob sie als Siegerin aus dieser Wahl hervorgeht oder selbige bloß nicht verloren hat. Ihr ist klar, was CSU-Chef Edmund Stoiber und all die anderen Parteigranden, die in letzter Zeit zu ihr so nett und zuvorkommend waren, erwarten: einen schwarz-gelben Machtwechsel. Nur wenn das gelingt und die SPD auf die Oppositionsbank verwiesen wird, hat Angela Merkel wirklich gesiegt."