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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Herbert Peckmann und Hans-Bernd Zirkel29. Oktober 2005

Probleme bei Koalitionsverhandlungen / Ernüchterung bei EU-Gipfel

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Die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung in Deutschland und das ernüchternde Ergebnis des EU-Gipfels in Hampton Court bei London wurde in der vergangenen Woche von den Zeitungen im europäischen Ausland aufmerksam beobachtet.

Zu den Koalitionsverhandlungen meinte die spanische Zeitung EL PAÍS:

"Es ist nicht gerade leicht, eine gemeinsame Regierungspolitik mit dem Hauptrivalen zu vereinbaren, den man im Wahlkampf gerade erst als große Gefahr für die Zukunft des Landes dargestellt hatte. So ist das Tauziehen zwischen CDU und SPD hinter den Berliner Kulissen nicht überraschend. Allerdings herrschen nicht nur zwischen den großen Parteien Spannungen, sondern auch innerhalb der beiden Lager."

Auf die Spannungen innerhalb der CDU/CSU, insbesondere auf das Verhältnis zwischen den beiden Parteichefs Merkel und Stoiber ging die österreichische Tageszeitung DER STANDARD ein und kommentierte:

"Der in Bayern selige Franz Joseph Strauß hat in allen Kabinetten und Koalitionen, denen er angehörte, kräftig Krawall geschlagen. Sein ehemaliger Adlatus, Edmund 'blondes Fallbeil' Stoiber, wird es wohl ähnlich machen - auch weil die CSU diesmal bei Bayerns Wählern relativ blass geblieben ist. So gesehen muss sich eine Kanzlerin Merkel fast zwangsläufig eher auf die SPD als 'Hausmacht' in der Koalition verlassen."

Stoiber wolle die Kontrolle, meinte der Kommentator der Pariser Tageszeitung LE MONDE und schrieb:

"Edmund Stoiber hat großen Appetit. Wenn er sich bereit erklärt hat, von seiner Heimat Bayern nach Berlin zu gehen, dann nicht, um ein einfaches Ministerium zu leiten. Der CSU-Chef hat größere Ambitionen. Er fordert erweiterte Kompetenzen, auch wenn er damit auf die Bereiche künftiger Kollegen übergreift. Seine Haltung kann in Deutschland nur wenige überraschen, irritiert aber die Betroffenen und allen voran seine Verbündete Angela Merkel."

Themenwechsel: Zu dem ernüchternden Ergebnis des EU-Gipfels in Hampton Court bei London meinte die BASLER ZEITUNG:

"EU-Ratspräsident Tony Blair wollte beim informellen Treffen die nach dem Nein zur Verfassung und dem Budgetkonflikt zerstrittenen EU-Regierungschefs auf die Reform der EU einschwören - mit wenig Erfolg. (...) Viele EU-Staaten, insbesondere kleine Länder sowie Nettozahler stören sich daran, dass sie dafür zahlen sollen, dass große EU- Länder wie Frankreich oder Italien sich dem Strukturwandel entgegenstemmen."

Die Zeitung THE TIMES war eindeutig in der Schuldzuweisung:

"Die Besessenheit der Franzosen und der Deutschen mit einem 'sozialen Europa' bietet den 23 Millionen arbeitslosen Europäern keine Lösung. In Sachen Forschung und Entwicklung wächst der Abstand zwischen der EU und den USA und auch zu Asien. Das Scheitern der aufgeblasenen EU-Verfassung ist ein Plus, und die Vergrößerung der EU hat bereits mehr dazu beigetragen, die Europäer aus ihrer Lethargie wach zu rütteln, als die Lissabon-Agenda."

Anders die französische Wirtschaftszeitung LES ECHOS. Sie stellte ihre Kritik an der Politik Großbritanniens in den Vordergrund:

"In der Tat meinte der britische Premierminister, sich auf die zehn neuen EU-Mitglieder stützen zu können, um sein Sozialmodell durchzusetzen. Doch das britische Vorbild wurde stark erschüttert von Londons Weigerung, sich mit den osteuropäischen Staaten solidarisch zu zeigen und - anders gesagt - den berühmten Thatcher-Scheck anzutasten. Mit dem Versprechen einer Einigung im Dezember wird Tony Blair das Misstrauen seiner Partner kaum beseitigen können."

Analytisch gab sich die ungarische Tageszeitung NEPSZABADSAG:

"Das Problem der EU besteht nur scheinbar darin, dass sie sich nicht erneuern könne. Es wird beklagt, dass es kein neues, großes, anziehendes Ziel gebe, wie es die Erweiterung und der Euro war. Es gebe kein umfassendes Programm und es werde auch keine neue (EU-) Verfassung geben. Doch der Schein trügt. Das Problem besteht vielmehr darin, dass bestehende entwicklungspolitische und soziale Programme nicht erfüllt werden und dass das Geld, sofern vorhanden, zur Hälfte für die Verzerrung des Agrarmarktes ausgegeben wird, und nicht ausreichend dahin gelangt, wo es gebraucht wird."

Schließlich noch die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERA. Sie beschäftigte sich mit dem Auftritt des scheidenden deutschen Bundeskanzlers beim EU-Gipfel am vergangenen Donnerstag:

"Gerhard Schröder geht als echter Gentleman: Keine Nostalgie, keine Gemeinheiten, keine Trotzreaktionen. Der Kanzler hat sich in Hampton Court nicht als voreingenommener Mensch präsentiert und auch nicht als Parteimann. Er hat zwei deutliche Zeichen gegeben: Er geht nicht mit Verbitterung und in vielen Fragen denkt Angela Merkel so wie er. Mehr noch: Die große Koalition hat tatsächlich eine einheitliche Europapolitik, und das ist sicherlich eine Überraschung."