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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M Friese3. Dezember 2005

Regierungserklärung Merkel / CIA-Flüge in Europa / Entführung Osthoff / Merkel-Besuch in Polen

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Im Mittelpunkt des Interesses ausländischer Tageszeitungen stand in dieser Woche die erste Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beachtung fanden aber auch das transatlantische Verhältnis nach der Vorwürfen über mutmaßliche CIA-Flüge mit Terrorverdächtigen in Europa, die Entführung einer Deutschen im Irak und der Besuch von Kanzlerin Merkel in Polen.

Zu Merkels Regierungserklärung schreibt die BERNER ZEITUNG:

"Nein, der große Wurf war es nicht. Angela Merkels erste Regierungserklärung war so wenig spektakulär wie der ihr zu Grunde liegende Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: Es fehlten Visionen, es fehlte die Aufbruchstimmung und das Pathos. Doch eines muss man der neuen Regierungschefin zugute halten: Sie macht keine falschen Versprechungen und nennt die Dinge beim Namen."

Der Züricher TAGES-ANZEIGER bescheinigt der Kanzlerin eine gewisse Lernfähigkeit:

"Aus den Fehlern des Wahlkampfs, in dem sie den Zustand Deutschlands allzu düster gemalt hatte, hat sie ihre Schlüsse gezogen. Zugleich aber hat die Kanzlerin unmissverständlich klar gemacht, dass es für sie keine Alternative zu den von Schröder begonnenen Reformen gibt und dass diese mit schmerzhaften Zumutungen für den Einzelnen verbunden sind."

Die spanische Zeitung EL PAIS sieht Merkel vor großen Herausforderungen:

"Die Bundeskanzlerin ist sich bewusst, dass die große Unterstützung im Parlament alles andere als bedingungslos ist und dass die Koalition unter ihrer Führung gezwungen ist, in nicht allzu weiter Ferne spürbare Erfolge zu ernten, wenn sie bis zum Ende der Legislaturperiode bestehen will. Merkel hat einen ersten guten Eindruck hinterlassen. Ihre Herausforderung ist es nun, diesen zu konsolidieren, indem sie das Land politisch, wirtschaftlich und sozial wiederbelebt."

Die ebenfalls in Spanien erscheinende Zeitung ABC wagt eine Einordnung:

"Angela Merkel hat die Koordinaten ihres Projekts festgelegt und gesagt, was viele erwarten: Dass Deutschland vor der Chance steht, sich wieder zu finden, indem es seine Energien dem Aufbau einer Zukunft widmet... Merkel hat somit die Karten auf den Tisch gelegt und ohne Umschweife deutlich gemacht, dass sie den notwendigen Wandel anführen will. Sie hat mit Aufrichtigkeit und Klarheit gesprochen. Und sie hat Register gezogen, die das energische Gepräge Thatchers mit dem freundlichen und mitreißenden Ton Kennedys kombinierten."

Das österreichische Blatt DER STANDARD attestiert Frau Merkel eine gute Portion Realismus:

"'Kleine Schritte' wolle sie mit ihrer Regierung machen, sagt die Bundeskanzlerin, weil sie weiß, dass auch ihre große Koalition kein schnelles Wundermittel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands hat. Das ist überraschend ehrlich - entspricht aber auch der Realität."

Pessimistischer sieht die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA das Programm:

"Merkel versuchte, dem Volk zu erklären, dass das riesige Defizit breite Sparmaßnahmen notwendig mache und unpopuläre Entscheidungen mit sich bringe. Ihre Regierung wird allerdings bei den Entscheidungen, die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent zu erhöhen, Subventionen zu streichen und steuerliche Vergünstigungen abzuschaffen, die Leute kaum zufrieden stellen."

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die CIA wirft die österreichische Zeitung DER STANDARD den Europäern Scheinheiligkeit vor:

"In Europa wird die Entrüstung über die Amerikaner zwar groß ausgestellt, doch auf den Umstand, dass die europäischen Geheimdienste aufs Engste mit ihnen kooperieren, vergisst man gern (ironischerweise soll die multilaterale Antiterrorzentrale ausgerechnet in Paris liegen). Ist wohl auch nicht nötig, weil Europas Dienste ja immer menschenrechtlich blitzsauber agieren... Gleichzeitig betont der US-Außenamtssprecher, dass man aber selbstverständlich nichts zu den Flügen sagen könne - aus Sicherheitsgründen, man weiß ja. Schließlich befinden wir uns in einem 'asymmetrischen Krieg', dessen Hauptcharakteristik ein doppelzüngiges Durchwurschteln ist und bei dem sich Sicherheit und Menschenrechte nur noch schwerfälligst ausbalancieren lassen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG wirft einen Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis:

"Man könnte von einer neuen deutschen Regierung, die nach eigenem Bekunden mehr Freiheit wagen will, mehr Mut erwarten, wenn es darum geht, realistisch die Hintergründe im Kampf gegen den Terrorismus auszuleuchten und notwendige Maßnahmen zu erläutern. Von der amerikanischen wäre erwünscht, dass sie zügiger auf Enthüllungen reagiert und immer wieder erklärt, worum es eigentlich geht. Dass in amerikanischen Gefängnissen außerhalb Amerikas gefoltert wird und diese Haftanstalten deshalb geheim gehalten werden müssen, ist nicht mehr als eine üble Verdächtigung. Ihre Existenz allein ist kein Grund für einen sittlichen Schockzustand."

Die russische Zeitung GASETA zieht einen Bogen zu der Entführung einer Deutschen im Irak:

"Deutschland war gemeinsam mit Frankreich und Russland der Hauptgegner Washingtons und Londons, als der Irakkrieg vorbereitet wurde. Berlin verurteilte die Invasion scharf und bezweifelte die amerikanischen Geheimdienstangaben über angebliche Massenvernichtungswaffen in der Hand Saddam Husseins. Jetzt sagt die neue Kanzlerin offen, dass die Wiederannäherung an Washington für sie die wichtigste außenpolitische Aufgabe ist. Noch ist unklar, ob diese Entführung daran etwas ändert."

Zum Schluss die Stimme der polnischen Zeitung GAZETA WYBORCZA zum Besuch von Kanzlerin Merkel in Warschau:

"Es ist bekannt, dass zwischen uns Deutschen und Polen Rechnungen des Leids bestehen, und auch über sie wurde gesprochen, ohne Einzelheiten. Beide Gesprächsseiten unterstrichen einmütig, dass sich die Zukunft nur auf der Wahrheit aufbauen lässt. Sowohl Deutschen wie Polen sind echte gutnachbarliche Beziehungen wichtig. Gestern wurde ein erster Schritt getan. Der Rest wird vom guten Willen beider Seiten abhängen."