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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

zusammengestellt von Siegfried Scheithauer17. Dezember 2005
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Nach EU-Gipfel Lob und Anerkennung für Merkel // Nach Pipeline-Aufsichtsrat Kritik an Schröder

Einhelliges Lob für die n e u e Kanzlerin Merkel, massive Kritik am a l t e n Kanzler Schröder: Zahlreiche Leitartikler der internationalen Presse feierten Merkel nach ihrer Premiere beim EU- Gipfel in Brüssel gar als "Retterin", die den Kompromiss über die EU-Finanzierung bis 2013 erst möglich gemacht habe. Das Echo auf das Engagement Schröders im Aufsichtsrat eines russisch-deutschen Pipeline-Konsortiums ist hingegen durchweg negativ. - Zunächst zum EU-Gipfel:

LE FIGARO aus Frankreich hat es so gesehen:

"Es ist Deutschland, dem größten Nettozahler in der EU, zu verdanken, dass auf dem Gipfel im Streit um den Etat dann doch noch eine Lösung in Sicht kam. Die französisch-britische Konfrontation zwischen den beiden starken Persönlichkeiten Tony Blair und Jacques Chirac hatte eine solche Intensität erreicht, dass nur ein Dritter einen Ausweg finden konnte. Bundeskanzlerin Merkel, Neuling in europäischen Kreisen, hat ihren ersten Auftritt erfolgreich genutzt. Sie erschien als diejenige, ohne die Europa einer neuen Krise nicht hätte entrinnen können, und übernahm mit Autorität die Führung des inzwischen sehr schwer lenkbaren Gespanns der 25 Staaten."

Auch die INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE hat Merkel in Brüssel in einer führenden Funktion beobachtet:

"Während Merkel bei den Budgetverhandlungen wirkungsvoll als Vermittlerin zwischen Großbritannien und Frankreich agierte, mühte sich der französische Präsident Chirac zu betonen, dass seine Regierung bereit sei, eine ebenso große Rolle als Makler zu spielen. Merkel nahm nach ihrer Wahl zur Kanzlerin erstmals an einem europäischen Gipfeltreffen teil. Ihr Eingreifen signalisierte einen stärker pro-europäischen Standpunkt als ihr Vorgänger Gerhard Schröder und erinnerte viele beim EU-Gipfel an die Ära von Helmut Kohl, einem entschiedenen Befürworter der europäischen Integration in den 80er und 90er Jahren".

Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA kommentiert anerkennend:

"Die deutsche Bundeskanzlerin hat bei ihrem ersten europäischen Gipfel mit viel Geschick die Rolle als Vermittlerin verkörpert, die es mit viel Geist verstand, den nunmehr sprichwörtlichen Groll zu besänftigen, der zwischen dem französischem Präsidenten Chirac und dem britischen Premier Blair herrscht. (...) Es war die deutsche Kanzlerin, die den Kompromissvorschlag ins Spiel brachte, der eine Aufhebung der Verhandlungsblockade vorsah. Und sie hat die neuen EU-Mitglieder davon überzeugt, ein Finanzpaket zu akzeptieren, das weder ihren Erwartungen noch ihren Bedürfnissen entspricht."

Der CORRIERE DELLA SERRA aus Mailand kann fast nur Sieger erkennen:

"Tony Blair hat gewonnen, weil er mit der Einigung über den EU- Haushalt einen Schiffbruch unter seiner britischen Präsidentschaft verhindert hat. Angela Merkel hat gewonnen, weil es ihr Mut der Debütantin war, das Spiel just im schlimmsten Moment wieder in Gang zu bringen. Auch Jacques Chirac hat gewonnen, weil von ihm nicht mehr verlangt wird, als im Ausgleich zu den sofortigen Abstrichen am 'Britenrabatt' lediglich künftige Reformen in der Agrarpolitik zu versprechen. (...) Ob beim Gipfel in Brüssel auch Europa gewonnen hat, das ist eine Sache, die es erst noch zu beweisen gilt."

Altkanzler Schröder musste für seinen Einstieg beim russisch- deutschen Konsortium zum Bau einer Ostsee-Pipeline viel Kritik einstecken.

"So nicht, Schröder", titelt die spanische Zeitung EL PAÍS und fährt fort:

"Es ist traurig und nicht nachvollziehbar, dass Schröder nun sein Ansehen mit einer Tätigkeit aufs Spiel setzt, die schlichtweg einen Skandal bedeutet. Niemand will, dass Schröder in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Aber um über die Runden zu kommen, muss er nicht der Luxusangestellte eines Konsortiums werden, das von dem wenig transparenten russischen Staat unter der Führung von Präsident Putin beherrscht wird."

Die Zeitung LA REPUBBLICA aus Rom spricht von einem "Riesenskandal":

"Die Pipeline wird die deutsche Wirtschaft und die deutschen Banken drei mal mehr kosten, als wenn sie durch die baltischen Staaten und Polen geführt hätte. Aber Moskau wollte, dass die Pipeline die ehemaligen Sowjetsatelliten umgeht, um diese für ihre Politik der Europa-Freundlichkeit und Transatlantik-Freundlichkeit zu bestrafen. Die Regierung der großen Koalition von Angela Merkel, die zu korrekteren Beziehungen und einer nicht arroganten Politik gegenüber den Nachbarstaaten entschlossen ist, erbt nun von der Regierung Schröder ein echtes Imageproblem."

Auch von der WASHINGTON POST vernichtende Kritik:

"Die Entscheidung Schröders wurde noch widerwärtiger, als herauskam, dass Vorstandschef des Pipeline-Konsortiums kein Geringerer wird, als ein ehemaliger ostdeutscher Stasi-Mitarbeiter, der mit dem russischen Präsidenten gut befreundet war, als Putin noch KGB-Agent in Ostdeutschland war. (...) Wir können nur hoffen, dass die außerordentliche Nachricht für die neue Kanzlerin Merkel Grund genug ist, eine neue deutsche Russland-Politik zu beginnen."

Besonders interessant auch die Reaktionen aus Polen. So meinte etwa das Blatt RZECZPOSPOLITA:

"Es war Putin, der Schröder als Freund wählte. Der Preis, den dieser für die 'Männerfreundschaft' mit Putin zahlen musste, war der Verzicht auf Kritik. Nicht nur bei der Verletzung von Menschenrechten und russischen Verbrechen in Tschetschenien. Schröder enttäuschte Putins Vertrauen nur ein einziges Mal, als er die orangefarbene Revolution in der Ukraine unterstützte, auch wenn er Putin zu dieser Zeit einen 'kristallklaren Demokraten' nannte. Jetzt, als er den Posten im Aufsichtsrat der Nordeuropäischen Gas- Pipeline annahm, hat er bewiesen, dass Putin weiter auf ihn zählen kann."

Die GAZETA WYBORCZA bemüht sich um Gelassenheit:

"Das alles muss die sich gerade erst wieder erwärmenden deutsch- polnischen Beziehungen nicht verschlechtern. Es war bekannt, dass die Deutschen von dem Vertrag eher nicht zurücktreten, und Polen höchstens einbeziehen, wie Angela Merkel in Warschau angeregt hat. Bündnispartner gegen die Pipeline muss Polen anderswo suchen, vor allem bei den skandinavischen und baltischen Staaten."