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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M. Friese7. Januar 2006
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Der ernste Gesundheitszustand des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon und die Zukunft Israels war in dieser Woche ein wichtiges Thema für die internationalen Presse. Aber auch die Folgen des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine für Europa fand Berücksichtigung auf den Kommentarseiten.

Die in der Schweiz erscheinende BASLER ZEITUNG schreibt zur Bedeutung Scharons für sein Land:

"Scharon schuf nach den turbulenten Jahren seiner Vorgänger Netanyahu und Barak innenpolitische Stabilität. Und vor allem gab er, in der glaubhaften Pose des Landesvaters, den von palästinensischem Terror verängstigten Israelis das Gefühl erhöhter Sicherheit. Echte Sicherheit war es nicht. Scharons Sicherheitsbegriff verengte sich auf die militärische Dimension. Ziel seiner Strategie war nicht ein friedlicher Ausgleich mit den Palästinensern, sondern die langfristige Sicherung Israels als Staat mit einer soliden jüdischen Bevölkerungsmehrheit."

Die französische Zeitung LE MONDE folgert daraus:

"Scharons plötzliches Verschwinden eröffnet in Israel eine Zeit der Unsicherheit, die nicht vor den vorgezogenen Wahlen im März enden wird. Mehr denn je wird ihr Ausgang von den Ereignissen in den Palästinensergebieten beeinflusst sein. Das Chaos, das die Palästinenserbehörde aushöhlt, lädt nicht zum Optimismus ein."

Die niederländische TROUW ist ein wenig optimistischer:

"Der große Unterschied ist, dass Israel nun beweisen muss, dass es auch ohne Scharon weiter kommt. Das wird nicht einfach. Aber hoffnungslos ist es nicht. Schließlich beruhte auch Scharons Machtposition auf den Überzeugungen im Volk, wie es sich in einer Demokratie gehört. Es wird nur ein schwieriges Puzzle werden, ohne einen Kraftmenschen wie Scharon Führerschaft zu finden."

Die österreichische KLEINE ZEITUNG schreibt über den Interimspräsidenten und möglichen Nachfolger Scharons, Ehut Olmert:

"Olmert wird im Falle eines Wahlerfolges zwar Scharons pragmatischen Kurs weiterführen wollen. Doch er wird ihn selbst mit amerikanischer Hilfe kaum in die nahöstliche Wirklichkeit umsetzen können. Es fehlen ihm dazu Scharons Charisma, Killerinstinkt, Durchsetzungsvermögen und Sturheit. Ohne diese ist im Heiligen Land kein Staat zu machen, weder in Israel noch bei den Palästinensern."

Zur Rolle der USA und Europas in der Region bemerkt die Londoner FINANCIAL TIMES:

"Das nahezu sichere Ende der politischen Ära Scharon macht Vorhersagen über den aufgewühlten Nahen Osten noch schwieriger. Doch Unsicherheit kann auch Möglichkeiten der Gestaltung bedeuten. Die USA und Europa könnten nun zur Rückkehr zu einem aktiveren und kreativeren Engagement für die zur Wiederbelebung der Verhandlungen über eine dauerhafte israelisch-palästinensische Friedenslösung von gezwungen sein - nachdem sie in den letzten Jahren im Grunde nur Scharons Strategie gegenüber den Palästinensern übernommen haben."

Nach dem Ende des Gasstreits zwischen Russland fordert der britische INDEPENDENT:

"Europa braucht eine gemeinsame Energiepolitik, und diese Krise macht die Dringlichkeit deutlich. Tony Blair hat dazu wenig beigetragen während der EU-Ratspräsidentschaft Großbritanniens. Österreich, mit seiner Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, könnte mehr Beharrlichkeit an den Tag legen.»

Die spanische Tageszeitung EL PAIS setzt auf Vielfalt:

"Die EU steht vor der Aufgabe, ihre Energie-Importe stärker zu diversifizieren, will sie nicht in allzu großem Maße von der Konjunktur oder den Launen von politischen Führern der Versorgerstaaten abhängen."

Das meint auch das Pariser Wirtschaftsblatt LES ECHOS:

"Längerfristig muss sich die EU um vielfältigere Energiequellen bemühen. Zum einen aus geographischer Sicht, indem sie sich nach Südafrika, Nordafrika, Norwegen und den Mittleren Osten wendet. Zum anderen muss sie andere Energien entwickeln, wobei wir nicht zuletzt an die Atomkraft denken."

Dazu bemerkt die österreichische Tageszeitung KURIER:

"Die Rettung liegt in der Renaissance der Atomkraft, heißt es in Brüssel und etlichen Mitgliedsländern. Damit ist die EU dort, wo sie 1957 mit der Gründung von Euratom zur Sicherung des wirtschaftliche Aufschwungs mit Atomstrom begonnen hat. Originell ist das nicht. Österreich als EU-Vorsitzland mit seiner Anti-AKW-Politik ist jetzt gefordert, der EU Vorschläge zu machen, was nachhaltige Energiepolitik sein könnte."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG wirft einen Blick auf die Rolle Deutschlands:

"Auch die neue Bundesregierung scheint die bequeme Praxis fortsetzen zu wollen, sich bei heiklen außenpolitischen Fragen hinter der EU zu verstecken. Dabei ist in der Europäischen Union kaum ein Mitgliedsstaat geeigneter, auf Russland einzuwirken, als Deutschland, das wegen seiner Größe, seiner zentralen Lage und seiner historischen Verbundenheit mit Osteuropa für dies Aufgabe prädestiniert wäre. Doch auf die politischen Aspekte des Gas-Konfliktes gehen in Berlin momentan nur die Oppositionsparteien ein."

Und der italienische CORRIERE DELLA SERA schreibt mit Blick auf das Engagement von Altkanzler Gerhard Schröder beim zukünftigen russisch-deutschen Gaspipeline-Konsortium:

"Jetzt.. erscheint die zukünftige Beschäftigung des Altbundeskanzlers unter einem ganz neuen Licht. Und sie stellt Deutschland vor eine wichtige Frage: Wäre es nicht besser, wenn Gerhard Schröder auf den Posten verzichten und so vermeiden würde, eine Politik zu decken, die in erster Linie den Interessen des Kreml dient?"