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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

(Gerhard M Friese) 15. Januar 2006

Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den USA und die Wiederaufnahme des iranischen Atomprogramms standen in dieser Woche im Mittelpunkt des Interesses der Auslandspresse.

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Die britische Tageszeitung THE INDEPENDENT zieht eine insgesamt positive Bilanz des USA-Besuchs Merkels: "Bushs Interesse, die unterkühlten Beziehungen zu beenden, die die vergangenen drei Jahre der Amtszeit von Gerhard Schröder ausgemacht hatten, war groß - vielleicht größer als das der Kanzlerin. Merkel hat vorsichtig signalisiert, dass sie kein US- Handlanger sein will. Von einer Normalisierung der deutsch- amerikanischen Beziehungen können beide Länder nur profitieren. Die größere Frage ist jedoch, ob Merkel der ehrliche Zwischenhändler zwischen Europa und Washington werden kann, der Tony Blair gern sein wollte. Die Europäische Union braucht so jemanden - und die USA auch."

Auch die italienische Zeitung LA REPUBBLICA betont die selbstbewußte Haltung der Bundeskanzlerin:

"Mit dem Treffen gestern im Weißen Haus zwischen der Kanzlerin und US-Präsident George W. Bush kündigt sich eine neue Phase in den euroamerikanischen Beziehungen an. Aber Berlin wird nicht auf seine Emanzipation verzichten, auf sein Recht, Nein zu sagen. Die schwere Krise mit dem Iran wird der erste Test sein, das haben beide gesagt - eine Gelegenheit, die Wiederannäherung und den wiedergefundenen Bündnis-Willen auf die Probe zu stellen."

Das niederländische Blatt TROUW setzt große Erwartungen in Frau Merkel:

"Wenn Merkel innerhalb der Europäischen Union Brücken schlagen und so einen schwelenden Konflikt um die Finanzen aus der Welt schaffen konnte, dann kann sie hoffentlich auch eine transatlantische Brücke zwischen den USA und kritisch gestimmten Ländern in Europa schlagen. Das nutzt der internationalen Zusammenarbeit auf zahlreichen Fronten, und nicht nur auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung." In der NEW YORK TIMES lesen wir:

"Frau Merkel könnte das sein, was Washington braucht, ein glaubwürdiger europäischer Freund und mit Einfluß auf beiden Seiten... Leider wird Frau Merkel Herrn Bush nicht dazu bewegen können, (das Gefangenenlager) Guantánamo zu schließen, aber wenn sie ihn überzeugen kann, dass der Rat von einem Freund kommt, wird ihr Besuch hilfreich sein."

Und die BASLER ZEITUNG aus der Schweiz resümiert:

"Wie genau freilich das so ganz neue Verhältnis zu Berlin aussehen soll, da bleiben in Washington die Angaben vage. Die 'rote Linie' der Merkel-Regierung in Sachen Irak - keine Soldaten - ist akzeptiert. In der Iran-Frage weiß man, dass es für jeden Kanzler heikel wird, sollten die USA zu militärischen Mitteln greifen. Der deutsche Einsatz in Afghanistan und auf dem Balkan wird anerkannt... Sichtbarstes Zeichen der neuen Beziehung könnte da schon sein, wenn Bush in der nächsten Krise zum Hörer greift und auch in Berlin anruft."

Der Iran hat gegen alle Warnungen und Wünsche der internationalen Gemeinschaft sein Atomprogramm wieder aufgenommen. Die Ablehnung ist international einhellig. Besonders im Blick der interantionalen Presse lag die Rolle der Europäischen Union.

Die österreichische Zeitung DER STANDARD schreibt zur Haltung der Regierung in Teheran:

"Mit dem Bruch der Siegel hat die iranische Führung genau das Gegenteil von dem getan, was von ihr erwartet wurde. Teheran versucht damit den Preis für die internationale Billigung seines Atomprogramms hochzutreiben. Denn das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie kann dem Iran niemand nehmen. Dass nun auch Moskau und Peking Teherans Entscheidung kritisieren, sollte dem Iran eine Warnung sein. Theoretisch steht die Mehrheit für Sanktionen im UN-Sicherheitsrat."

Das französische Blatt DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE blickt auf die Europäische Union:

"Vor allem für Großbritannien, Deutschland und Frankreich ist es eine schallende Ohrfeige. Nach jahrelangen Palavern und kompromittierenden Aktionen, bei denen naiv auf die Chancen der iranischen Reformer gesetzt wurde, glaubten die Europäer, ein Regime zähmen zu können, das tagtäglich alles, was nach Demokratie aussieht, mit Hasstiraden überschüttet!"

Auch die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT nennt den Schritt Teherans peinlich für die drei EU-Länder und fordert:

"Die EU muss nun zeigen, dass ihre 'soft-power'-Politik doch noch Substanz hat. Vor allem müssen die europäischen Unterhändler ihre eigenen Reihen geschlossen halten. Dann muss alles geschehen, um die Waffe der Sanktionen in Stellung zu bringen. Angesichts des politischen Spaltmaterials, das schon jetzt Furcht vor einem atomar bewaffneten Iran in der Region erzeugt, ist es keine Option, sich in sein Schicksal zu ergeben." Ähnlich argumentiert der Schweizer TAGES-ANZEIGER:

"Wollen die Europäer nicht völlig das Gesicht verlieren, müssen sie nun das tun, was die Amerikaner seit Monaten fordern: Teherans Atomprogramm vor den Uno-Sicherheitsrat bringen. Immerhin haben die EU-drei gezeigt, dass sie der Diplomatie wirklich eine Chance geben wollten... Doch was kommt dann? Sanktionen? Im Iran hat eine politische Fraktion die Macht ergriffen, die sich nichts sehnlicher wünscht als internationale Isolation, weil sie hofft, so die Menschen im Land hinter sich zu scharen."

Die spanische Zeitung EL PAIS hält wenig von Sanktionen:

"Die Lösung des Konflikts liegt auch nicht in Strafmaßnahmen, sondern eher in einer weltweiten Regelung, die die Verbreitung von Atomwaffen eindämmt - und zwar strenger als bisher. Dies ist allerdings nur auf lange Sicht denkbar. Kurzfristig hat der Westen keine Antwort auf die Herausforderung Irans."