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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Beatrice Hyder11. Februar 2006

Karikaturen-Streit: Auswirkungen auf das 'alte Europa' und die Grenzen der Pressefreiheit

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Bestimmendes Thema in den Kommentaren der ausländischen Presse war in dieser Woche der Streit um die Prophet Mohammed-Karikaturen. Dabei befassten sich die Kommentatoren mit der Frage, wie das 'alte Europa' reagiert hat oder reagieren soll, und, wie mit der Meinungs- und Pressefreiheit umgegangen wurde und werden soll.

Die dänische Zeitung POLITIKEN meint nach den gewaltsamen Übergriffen gegen einige seiner Auslandsvertretungen in islamischen Ländern:

"Wenn diese völlig groteske Mohammed-Angelegenheit vielleicht einen einzigen positiven Effekt bekommt, dann den, dass Dänemarks Sicherheits- und Außenpolitik sich wieder an unseren Schicksalsgenossen hier in Europa orientiert."

Der Schweizer TAGES-ANZEIGER kritisiert das anfängliche Schweigen der EU:

"Aussitzen oder totschweigen wird sich die Krise für die EU längst nicht mehr lassen, denn wenn Steine gegen dänische Vertretungen fliegen, werden schließlich europäische Werte angegriffen. Vor allem aber dürfte der bessere Dialog mit der islamischen Welt jetzt doch eher eine Aufgabe für Brüssel als für Kopenhagen darstellen."

Der französische LE FIGARO meint, der Islam fordere das 'alte Europa' heraus:

"Der Schock der Kulturen springt in die Augen. Auch in Europa, wo die Einwanderer ihre göttlichen Gesetzes bewahren wollen: Sie verbieten die Darstellung Mohammeds, aber auch die Kritik am Koran - trotz der Suren, in denen zur Tötung der Juden und Kreuzträger aufgerufen wird. Der Islam hat auch nach 30 Jahren Kontakt mit den Demokratien seine Denk- und Verhaltensweisen kaum verändert."

Der österreichische DER STANDARD mahnt zu einer differenzierten Betrachtung des Karikaturen-Streits:

"Sieht man sich..Kommentare in Zeitungen muslimischer Länder an, so zeigt sich, dass das Bild deutlich heterogener ist, als dies rechtsextreme europäische Parteien und Islamisten gerne darstellen wollen. Was bleibt ist eine Herausforderung, die durch den Karikaturen-Streit wieder einmal deutlich geworden ist: Nämlich das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa zu gestalten."

Der französische LE CANARD ENCHAINÉ sieht "viele Interessen hinter Allahs Bart verborgen":

"Man sieht Muslime, die zurecht gegen die Vermengung des Islams mit dem Terrorismus protestieren und gleichzeitig gegen diese Beleidigung zu Mord und Blutbädern aufrufen. Andere wüten gegen den islamfeindlichen Frevel, aber regen sich in keiner Weise über antisemitische Zeichnungen aus ihren Reihen auf. Doch man muss auch jene mitrechnen, die man weder sieht noch hört, die sich aber - wie der Rechtsradikale Jean-Marie Le Pen - die Hände reiben, und die Wählerstimmen zählen, die ihnen diese Drohungen einbringen können. Kurz: Allah ist groß und Mohammed nützt allen."

Zweiter Aspekt: die Meinungs- und Pressefreiheit. Der britische GUARDIAN kritisiert die dänische Zeitung JYLLANDS-POSTEN, in der die Karikaturen im Herbst vergangenen Jahres zunächst erschienen sind:

"Jene, die sich auf die Pressefreiheit berufen, während sie die Reproduktion von beleidigenden Darstellungen des Propheten verteidigen, sagen damit praktisch, dass alles, was sie selbst für wertvoll und heilig ansehen von größerem Wert ist, als das, was Muslime für wertvoll und heilig erachten. Die Karikaturen hatten mehr mit Anstiftung zu Hass, Rassismus und Islamophobie zu tun, als mit Meinungsfreiheit."

Der niederländische DE VOLKSKRANT warnt davor, über eine Einschränkung der Pressefreiheit nachzudenken:

"Vor allem wird (in den Straßen von Teheran, Damaskus und Gaza) ein politisches Spiel aufgeführt von radikalen Kräften, die Europa in Schrecken versetzen wollen. Schrecken, die einige plötzlich an neue Grenzen der Meinungsfreiheit denken lassen - mit dem Hinweis auf 'Respekt vor dem Islam'. Dieser Respekt ist sicher geboten, aber er wird sich nur in völliger Freiheit entfalten und nicht angesichts religiöser Scharfmacher."

Ähnlich sieht das die polnische GAZETA WYBORCZA:

"Meinungsfreiheit lässt sich nicht verbieten, weil sich eine Gruppe betroffen fühlt. (..) Die Worte des (polnischen) Außenministers, der die Moslems um Vergebung bat, gehen zu weit. Vor allem, da er nicht gleichzeitig die Akte der Gewalt (gegen dänische Botschaften) verurteilte. Es ist nicht gut, wenn der Dialog mit dem Islam über den Nachdruck verletzender Zeichnungen geführt wird. Aber es ist noch schlimmer, Erpressung nachzugeben und Fanatiker mit Drohungen festlegen lassen, was in freien Medien erscheinen darf."

DE MORGEN aus Brüssel schreibt:

"Haben in den 30er Jahren viele Menschen über die Meinungsfreiheit schwadroniert, als in den Medien Karikaturen geldgieriger Juden erschienen? Wer hat die Stimme erhoben, um zu sagen, das der 'Spaß vorbei' sei, als im Ruanda der 90er Jahre auf Radio Mille Colines 'Witze' über die Tutsis gemacht wurden? Wie absolut ist die Freiheit der Meinungsäußerung? Kontext ist alles."

Die BASLER ZEITUNG resümiert:

"Pressefreiheit schließt stets auch Presseverantwortung mit ein. Sie gibt uns keine Narrenkappe. Das ist kein Plädoyer für blinde religiöse Toleranz, sondern ein Wort für gegenseitigen Respekt. Statt den Dialog der Kulturen mit billiger Provokation weiter zu gefährden, sollten wir alles tun, um den besonnenen, selbstkritischen Stimmen Gehör zu verschaffen. In Texten wie in Bildern."