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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Thomas Grimmer25. Februar 2006
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Zuletzt hatten es alle erwartet: Ende der Woche hat die Vogelgrippe erstmals innerhalb der Europäischen Union auf Nutztiere übergegriffen. Die Kommentatoren der ausländischen Presse befassten sich vor allem mit der Frage, ob es möglich ist, der weiteren Ausbreitung der Tierseuche Einhalt zu gebieten.

Die Pariser Zeitung FRANCE SOIR meinte zum Bekanntwerden des ersten H5N1-Vogelgrippe-Falls in Frankreich:

"Jetzt ist es soweit. Das Virus ist auf unserem Boden angekommen, und die Angst nimmt zu. Natürlich hat die Presse schon fast alles über den Virus gesagt. Seine Übertragung auf den Menschen sei eher die Ausnahme. Die Gefahr einer Pandemie bestehe nicht. Doch die unerbittliche Verbreitung des Virus macht alle intellektuellen Vorbeugungen zunichte. Die Vögel Hitchcocks fliegen über Frankreich. Wir können sicher sein, dass die Lügen, die die vorherigen Gesundheitskatastrophen begleitet haben, wieder zurückkehren werden. Tschernobyl und seine radioaktive Wolke, die angeblich an der französischen Grenze Halt gemacht hat, die HIV-verseuchten Blutkonserven, die man an Kranke verteilt hat, obwohl man sich des Risikos bewusst war... All das ist in den Köpfen noch gegenwärtig."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT schrieb zu den jetzt von der EU genehmigten Impfungen von Tieren gegen die Vogelgrippe:

"Das Impfen bedeutet nicht, dass die Geflügelwirtschaft von massenhaften Tötungen verschont bleibt, wenn das Vogelgrippevirus erneut zuschlägt. Es dauert noch Wochen, bis der Impfschutz wirkt. Die Stallpflicht ist vorerst die bester Alternative zum Impfen, garantiert aber auch nicht, dass das Virus draußen vor der Tür bleibt."

Den Umgang der britischen Behörden mit dem Problem Vogelgrippe kritisierte die Londoner Tageszeitung THE INDEPENDENT:

"Die Horrorfilm-Vorstellung, dass das Virus auch für den Menschen zu einem Killer mutiert, ist noch weit entfernt. (...) Aber in einer Zeit, in der fast alle unsere Nachbarn bereits angeordnet haben, dass die Geflügelhalter ihre Tiere im Stall halten müssen, ist es seltsam, dass wir weiterhin an der Hoffnung festhalten, dass das Virus nicht zu uns kommt. Natürlich wird es nach Großbritannien gelangen (...) und der erste Schritt wäre, die Vögel im Stall zu lassen - auch wenn dies die Bauern aufregen wird."

Der Kommentator der französischen Zeitung LA PROVENCE aus Marseille äußerte sich schließlich skeptisch, ob die Seuche überhaupt in den Griff zu bekommen ist:

"Das Auftauchen der Vogelgrippe in einer Putenzucht im Département Ain ist eine Europa-Premiere. Trotz der Stallpflicht für Tiere ist eine ganzer Zuchtbetrieb verseucht (...) Diese Nachricht ist besonders Besorgnis erregend. Sie zeigt, dass die Krankheit nicht unter Kontrolle zu kriegen ist - trotz der Vorsichtsmaßnahmen in einem entwickelten Land wie Frankreich, in dem die Gesundheitsüberwachung ernst genommen wird. (...) So kann man das Schlimmste in den Regionen der Welt befürchten, die weniger überwacht und weniger organisiert sind. (...)"

Themenwechsel. Der bosnisch-serbische Ex-General und mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic soll mit der Regierung in Belgrad über die Bedingungen verhandeln, unter denen er sich ergeben würde. Trotz der Dementis vonseiten der Regierung und des UN-Kriegsverbrechertribunals ließ diese Meldung die Kommentatoren der internationalen Presse aufhorchen. Zu Meldungen, in denen zeitweise sogar von einer Festnahme Mladics die Rede war, meinte die römische Zeitung LA REPUBLICCA:

"Am Ende bleibt nur die Atmosphäre eines Krimis und vor allem die einer Manipulation. (...) Die Festnahme von Mladic wäre ein sehr großer Erfolg für die Regierung in Belgrad, für Ministerpräsident Vojislav Kostunica, dem in Brüssel eine entscheidende Etappe bei den Verhandlungen für einen Eintritt seines Landes in die EU bevorsteht. (...) Aber während die Nachricht von der Festnahme sich in den internationalen Medien ausbreitet, ist es ausgerechnet die serbische Regierung, die sie dementiert."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN kommentierten die Haltung Serbiens so:

"Es ist beklemmend, dass Serbien nicht von sich aus den Willen hat, seine jüngere Vergangenheit kritisch distanziert zu betrachten und sich mit den Sünden der Balkankriege auseinanderzusetzen. Dies wäre schon aus Gründen der politischen Hygiene dringend notwendig gewesen. Es hätte den alten Teufelskreis von hochtrabendem Nationalismus und Selbstmitleid durchbrochen, in den serbische Politiker, aber auch Intellektuelle in der Vergangenheit immer wieder verfallen sind."

Die möglichen Gründe für das zögerliche Verhalten Belgrads analysierte die Pariser Tageszeitung LE FIGARO:

"Mladics Festnahme und sein Erscheinen vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag wären ein entscheidender Moment in der Geschichte unseres Kontinents. (...) Doch die Verantwortlichen in Belgrad haben nicht vergessen, dass Ministerpräsident Zoran Djindjic im März 2003 zwei Jahre nach der Auslieferung Slobodan Milosevics ermordet wurde. Sie wissen, dass die zerbrechliche Regierungskoalition in Scherben gehen kann und dass die Ultranationalisten bei Neuwahlen mit Macht zurückkehren können. (...) Die Frage der Kriegsverbrecher zieht sich schon allzu lange in die Länge, um nicht zum Gegenstand politischen Kalküls geworden zu sein. Das ist bedauerlich für Serbien, das zur Geisel Mladics geworden ist."

Das dies nicht so bleiben kann, wenn sich Serbien weiter in Richtung EU bewegen will, kommentierte DER STANDARD aus Wien:

"Ein Befreiungsschlag wie die Verhaftung des 'Schlächters vom Balkan' könnte die Lage Belgrads von einem Tag auf den anderen dramatisch verbessern - auch wenn die Ultra-Nationalisten im ganzen Land dann wohl den Aufstand proben würden. Einen großen Teil der krisenmürben Serben aber lassen diese nationalistischen Konvulsionen kalt. Ihnen ist klar, dass der Platz ihres Landes nur in Europa und der EU liegen kann. Und dafür müssen die Serben - und ihre Regierung - nun etwas tun."