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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Ute Wagemann15. April 2006

Platzeck tritt als SPD-Chef ab / Wahl-Krimi in Italien

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Überraschend ist am Anfang der Woche SPD-Chef Matthias Platzeck zurückgetreten. Er begründete den Schritt mit gesundheitlichen Problemen: Nach zwei Hörstürzen und einem Nervenzusammenbruch habe sein Arzt ihm dringend geraten, kürzer zu treten. Mit den Auswirkungen des Rücktritts und der Stimmung in der Großen Koalition haben sich viele Kommentatoren ausländischer Zeitungen beschäftigt. Ein weiteres Kommentarthema ist die Parlamentswahl in Italien.

Zu den Folgen des Rücktritts von Matthias Platzeck als SPD-Chef für seine Partei schreibt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich:

"Bei den Sozialdemokraten wird die Krise zum Normalzustand. Nun bekommt die Partei schon wieder einen neuen Parteichef. Einen, der zu ihr passt. Kurt Beck ist (...) einer der letzten Sozialdemokraten alter Schule, der verunsicherte Genossen zu beruhigen weiß. Allerdings birgt diese Kunst auch das Risiko, dass sich die Partei der wohligen Tradition hingibt, statt sich weiterzuentwickeln."

Auch die Pariser Tageszeitung LE MONDE glaubt, dass der Rücktritt von SPD-Chef Platzeck Probleme für seine Partei mit sich bringt:

"Platzeck hatte Schwierigkeiten, sich in seine neue Rolle einzufinden. Sein Abgang läutet für die SPD eine Phase der Unsicherheit ein. Die Partei hat es schon schwer, ihren Platz in der großen Koalition mit der CDU von Angela Merkel zu finden. (...) Merkels wachsende Beliebtheit seit ihrem Regierungsantritt hat die CDU in den Umfragen nach oben getragen und Platzeck in den Schatten gestellt."

Die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERA sieht in Bundeskanzlerin Merkel ebenfalls die Siegerin innerhalb der Großen Koalition:

"(...) Statt dass die Große Koalition die Kanzlerin bremst, scheint die Allianz mit den Sozialdemokraten geradezu die wirkliche Natur und die besten Qualitäten von Angela Merkel zu Tage zu fördern. Zuverlässigkeit, Vertrauen, kleine Schritte, das ist es, was das neue Paradigma der Angela Merkel ausmacht, die es ganz offensichtlich vorzieht, den Patienten Deutschland mit den Mittel der Homöopathie zu heilen."

Die britische Tageszeitung THE TIMES erkennt eine bessere Stimmung in Deutschland und schreibt sie der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu:

"Das Merkel-Wunder, wie es manche vielleicht zu enthusiastische Deutsche bereits nennen, ist die Wiederbelebung eines nationalen Selbstbewusstseins. Es kommt zum Teil von den bereits eingeleiteten Reformen, auch wenn die eigentlichen Aufgaben noch vollbracht werden müssen. Es kommt von einer geschickten Außenpolitik, die das Verhältnis zu Washington repariert, die Beziehungen zu Russland aufrechterhalten und beim Streit über den europäischen Haushalt eine staatsmännische Haltung bewiesen hat. Und es wird beeinflusst von anderen Faktoren wie dem deutschen Papst oder der bevorstehenden Weltmeisterschaft."


Zahlreiche Kommentare ausländischer Zeitungen befassten sich in den vergangenen Tagen mit dem Wahl-Krimi nach der Parlamentswahl in Italien. Letztlich hatte Romano Prodi mit seinem Mitte-Links-Bündnis knapp gewonnen. Das vorläufige Ergebnis hat Ministerpräsident Silvio Berlusconi dennoch nicht davon abgehalten, weiter an seinen Sieg zu glauben. Er hofft auf die Nachzählung von ungültig erklärten Wahlzetteln.

Die Wiener Zeitung DIE PRESSE kritisiert das Verhalten des langjährigen Ministerpräsidenten:

"Berlusconi macht ja kein Hehl daraus, dass 'seinen Quellen zufolge' Romano Prodis Allianz die Stimmen geklaut hat. Und sorgt dadurch für eine zusätzliche Vergiftung des Klimas in einem Land, das politisch so gespalten ist wie seit den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Das ist gefährlich: Wie soll der künftige Premier Prodi regieren, wenn die Hälfte des Landes glaubt, er habe durch schmutzige Tricks die Wahl gestohlen?"

Die Auswirkungen der Wahl auf die Zunkunft Italiens untersucht die Tageszeitung LE MONDE aus Paris:

"Italien ist nach dieser Wahl zweigeteilt, und vor der Politik liegt eine Teststrecke. Das Parlament muss demnächst einen neuen Präsidenten der Republik wählen (...). Dann muss die Regierung einen Haushalt vorlegen und die großen Sozialreformen in Angriff nehmen, die ihre Vorgängerin vernachlässigt hat. Außerdem gilt es, die lahmende Wirtschaft in Gang zu bringen. Die Aufgabe wird hart sein, aber die Nachbarn Italiens haben einigen Grund, sich zu freuen. Sie haben zumindest wieder einen verlässlichen Ansprechpartner mit einem unbestreitbaren europäischen Engagement."

Auch die britische Zeitung THE GUARDIAN sieht in dem Ergebnis der Wahl eine Chance für Europa:

"Ein knapper Ausgang von Wahlen wie in Italien schafft nicht automatisch Stillstand, wie Angela Merkels neues selbstbewusstes Deutschland beweist. Und nicht alle europäischen Wahlen sind auf lähmende Art spalterisch, wie die Wiederwahl der Mitte-Links- Regierung zeigte. Und so ist es auch leichtfertig, über eine gemeinsame europäische Wirtschaftskrise zu reden. Sicher ist es unbestreitbar, dass Italien und Frankreich ernste strukturelle Wirtschaftsprobleme haben. Doch ihre Schwierigkeiten sind nicht die selben."

Mit dem Mann, der in Zukunft an der Spitze der Regierung Italiens stehen wird, befasst sich die niederländische Zeitung TROUW:

"Nicht dass Prodi der große Erlöser ist. Er ist langweilig, unbestimmt und führt obendrein eine Koalition, die zusammenhält wie loser Sand. Ob die Koalition unter dem Druck der knappen Mehrheit besser zusammenarbeiten wird oder kurzfristig auseinander fällt, wird sich zeigen müssen.(...)Nach fünf Jahren Berlusconi ist Langeweile übrigens eine sehr anziehende Eigenschaft."