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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

13. Mai 2006

Neuer italienischer Staatspräsident/ Verleumdungsaffäre in Frankreich

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Die europäischen Zeitungen haben sich in dieser Woche mit der Verleumdungsaffäre in Frankreich und der dadurch ausgelösten innenpolitischen Lage befasst. Ein weiteres Thema war die Wahl eines neuen Staatspräsidenten in Italien.

Erst im vierten Wahldurchgang gelang es dem Mitte-Links-Bündnis des designierten italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi, seinen Kandidaten durchzubringen. Der Ex-Kommunist und Senator auf Lebenszeit, Giorgio Napolitano, soll nun an diesem Montag zum neuen Staatpräsidenten Italiens vereidigt werden.

In der internationalen Presse findet das Ergebnis einen überwiegend positiven Widerhall. Der in der Schweiz erscheinende TAGES-ANZEIGER urteilt:

"Die Wahl des neuen Staatspräsidenten, jenes Mannes also, der ihm in den kommenden Tagen endlich den Regierungsauftrag erteilen wird, geriet zu Prodis erstem Coup. Wenn man die barocken Regeln des italienischen Politbetriebs kennt, kann man leicht von einem kleinen Meisterwerk reden. (...) Alle seine eigensinnigen Partner sind zufrieden. Bei solch knappen Mehrheitsverhältnissen ist das zentral."

Die ungarische Zeitung NEPSZABADSAG analysiert:

"... Prodi hätte die Kommunisten nicht erneut in seine Regierung einbeziehen können, wenn sich deren Spitzenpolitiker nicht in Prodis erster Regierungszeit Verdienste und Ansehen erworben hätten - Napolitano zum Beispiel tat sich als guter Innenminister, als guter Präsident des Unterhauses und als guter EU-Politiker hervor. Auf den im Wahlkampf andauernd in antikommunistischer Rhetorik schwelgenden Berlusconi fiel das zurück wie ein Bumerang."

Auf Berlusconi geht auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ein:

"Die Signale aus dem Centrodestra, die von einem großen Respekt gegenüber dem ehemaligen Kommunisten (...) sprachen und ihn als für alle Seiten glaubwürdig darstellten, entlarvten die von Berlusconi gewählte Taktik als reine Obstruktion. Der bisherige Ministerpräsident, sekundiert von den Adlaten Bossis aus der Lega Nord, hielt an seinem unsinnigen und exzessiven ideologischen und propagandistischen Sperrfeuer gegen das Mitte-Links-Lager fest."

Mit dem Aufruf Berlusconis zum Steuerboykott wegen der Wahl von Napolitano an die Staatsspitze setzt sich die belgische Zeitung LA LIBRE BELGIQUE auseinander:

"Obwohl alle politischen Kräfte ihn respektieren, wird Giorgio Napoletano viel tun müssen, um den Titel eines Präsidenten aller Italiener zu erobern. (...) Da er nur mit den Stimmen des Lagers von Romano Prodi gewählt wurde, muss Giorgio Napolitano alle seine Gaben als Vermittler einsetzen, um die von Silvio Berlusconi als Waffe des zivilen Ungehorsams benutzte Drohung eines Steuerstreiks abzuwenden. Das überaus beliebte Argument wird sicherlich im Mittelpunkt des Wahlkampfes für die wichtigen Kommunalwahlen Ende Mai stehen", prophezeit LA LIBRE BELGIQUE.

Der Mailänder CORRIERE DELLA SERA zieht dazu folgendes Fazit:

"Damit es einen Dialog geben kann, muss man darauf warten, dass Berlusconi seine Trauer über die Niederlage und seine zahlreichen anderen Dilemmas überwindet - und das kann eine Zeit dauern."

Der Skandal um angebliche Schwarzgeldkonten französischer Politiker bei dem Luxemburger Finanzdienstleister Clearstream hat an der Seine eine politische Krise ausgelöst. International werden die Ereignisse eher mit Zurückhaltung beobachtet. Die französische Presse dagegen ist empört und verlangt Entscheidungen.

Das in Nancy erscheinende Blatt EST REPUBLICAIN macht seinem Ärger Luft:

"Wir haben die Nase voll von der Clearstream-Affäre und ihren schmutzigen Intrigen. Die Nase voll von diesem Ballett der Möchtegern-Kandidaten, von den Gerüchten und Dementis um den Namen Desjenigen, der künftig am Sitz des Regierungschefs das Sagen haben wird. Die Nase voll von dieser Geschichte, bei der es mehr denn je um einen Machtkampf geht, um Druck und Zaudern. Der Machtkampf spielt sich zwischen Jacques Chirac und (Innenminister) Nicolas Sarkozy ab. Druck wird auf den Staatschef ausgeübt, der sich immer mehr fragen muss, wie er in diesem Durcheinander seine Amtszeit zu Ende bringen wird."

Die Zeitung HUMANITE befindet:

"Es ist wirklich etwas faul im Reiche der Chiraquie, wo sich die beiden Prinzen Villepin und Sarkozy einen Krieg ohne Erbarmen liefern, vor einem Volk, das als trauriger Zuschauer ihrem Mangel an Verantwortung zusehen muss. (...) Jeder Tag liefert uns neue 'Informationen', ohne dass der Bürger über irgendetwas wirklich informiert würde. Im Gegenteil, wir tauchen immer tiefer ins Dunkel. (...) In welchen Land leben wir denn eigentlich?" Der Leitartikler der Straßburger DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE formuliert seine Kritik als einen offenen Brief an den französischen Präsidenten: "Wir erwarten von Ihnen, Herr Staatspräsident, dass Sie durchgreifen. (...) Heute zögern Sie, sich von einem Premierminister zu trennen, der, wie immer auch seine Verantwortung bei den Affären aussehen mag, das Handeln der Regierung erschwert und die Exekutive lähmt. Wir verstehen nicht warum. Es geht nicht darum, mit den Wölfen zu heulen. Aber innerhalb von neun Monaten gehen auf das Konto dieses Regierungschefs Vorortkrawalle, eine Krise durch den Erstanstellungsvertrag und nun eine Regierungskrise. Sie müssen zugeben, Herr Staatspräsident, dass dies viel ist für einen einzigen Mann. Es ist an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen, bevor es für alle zu spät ist", fordern die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE.

Der GUARDIAN aus Großbritannien formuliert sein Urteil so:

"Die Clearstream-Affäre, die irreführend als französisches Watergate bezeichnet wird - alle schmutzigen Tricks in dieser Geschichte richten sich gegen Mitglieder der selben Partei -, ist noch sehr verschwommen. Offensichtlich ist jedoch, dass das politische System in Frankreich darunter leidet. Einige sind der Auffassung, die Regierung könne gelähmt werden. Frankreich hat den Ruf - zum Teil verdient -, dass es zu sehr mit dem eigenen Niedergang beschäftigt ist, aber nicht viel dagegen unternehmen kann. Jetzt sind seine Politiker auch noch durch Unfähigkeit, Arroganz und übertriebenen Ehrgeiz in Misskredit gebracht worden", stellt der GUARDIAN fest.

Eleonore Uhlich