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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Ulrike Quast8. Juli 2006

Kompromiss bei Gesundheitsreform / Reaktionen auf Nordkoreas Raketentests

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Union und SPD haben sich nach langem Ringen auf die Eckpunkte einer Gesundheitsreform verständigt. - Von 2008 an sollen jährlich steigende Steuermittel eingesetzt werden, um die Mitversicherung von Kindern zu finanzieren. Außerdem wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, aus dem alle Kassen für ihre Versicherten den gleichen Betrag erhalten. Die internationale Presse kommentiert den Kompromiss der großen Koalition.

DIE PRESSE aus Wien schreibt:

"Elf Prozent der Wirtschaftsleistung frisst das deutsche Gesundheitswesen auf. Tendenz steigend. Auf Dauer schnürt ein derart rasant wachsender Moloch dem Sozialstaat die Lebensader ab. Jeder kennt die Diagnose, doch keiner wagt die Operation. Auch das Rezept ist bekannt: Nur Wettbewerb könnte die Preise senken, auch in Spitälern. Doch Wettbewerb wird auch in Zukunft dem deutschen Gesundheitswesen fremd bleiben. Dafür haben lobbyistische Nutznießer des jetzigen Systems schon gesorgt."

Die Pariser Zeitung "Le Monde" meint:

"Angela Merkel hat die Verwirklichung ihrer eigentlichen Pläne aus dem Wahlkampf bis auf weiteres verschoben und beschränkt sich vorerst auf Kompromisse mit ihren Konkurrenten und Partnern. (...) Die große Koalition in Deutschland kann sowohl ein Rezept für den Stillstand eines Landes als auch eine Möglichkeit dazu sein, schmerzhafte Veränderungen anzugehen. Die Regierung hat sich unter dem Druck einer verschlechterten Situation für den zweiten Weg entschieden. Sie ist dabei aber immer darauf bedacht, die Wähler nicht zu verschrecken. Denn die werden ihre Stimme im nächsten Wahlkampf der Partei geben, die eben diese schwierige Phase besser gemeistert hat."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist der Ansicht:

"Wem die Schuld an diesem neuesten Deal zuzuschreiben ist, kann nicht so ohne weiteres gesagt werden. Die systembedingten Sachzwänge dieser Regierungsform scheinen aber dem Überlebenstrieb der Koalition eine viel wichtigere Rolle zuzuschieben als der inhaltlichen Vernunft. Wie anders ist zu erklären, dass auch diese Reform strenggenommen nicht zu bezahlen ist außer durch neue Schulden. (...) Es ist nicht ersichtlich, wie sich die Tugend des Sparens im deutschen Gesundheitssystem breit machen soll."

Die Londoner FINANCIAL TIMES titelt:

"Deutschland verabschiedet sich von Bismarck", und führt weiter aus:

"Zum ersten Mal seit Otto von Bismarck das erste europäische Wohlfahrtssystem aus einer Sozialversicherung geschaffen hat, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam einzahlen, beginnt der deutsche Staat damit, Gesundheitskosten direkt aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren. Viele der kontinentaleuropäischen Länder, die das Bismarck-Modell kopiert haben - Frankreich, Belgien und die Niederlande -, gehen davon ab. Jetzt auch das Vaterland des Eisernen Kanzlers selbst."

Themenwechsel. Die ersten nordkoreanischen Raketentests seit acht Jahren haben weltweit zum Teil scharfe Proteste ausgelöst. Japan hat im Weltsicherheitsrat einen Resolutionsentwurf eingebracht, in dem Nordkorea bei einer Weiterentwicklung seines Raketenprogrammms mit scharfen Sanktionen gedroht wird. Die internationale Presse kommentiert den politischen Aufruhr nach den Tests.

Im TAGESANZEIGER aus Zürich heißt es:

"Nordkorea war von Washington bis Brüssel, von Peking bis Tokio eindringlich gewarnt worden, auf den Test zu verzichten. Nun stößt Kim Jong Il die Welt einmal mehr vor den Kopf. Was das Regime zu dieser provokativen Strategie treibt, bleibt rätselhaft. Zumal Nordkorea jetzt eine geballte Portion Nachteile einstecken muss. Die USA und Japan drängen auf scharfe Wirtschaftssanktionen. Internationale Organisationen werden noch mehr Mühe haben, humanitäre Hilfe für den Hungerstaat zusammenzubetteln. Mit dem Feuerwerk vergrault Nordkorea auch seine letzten Freunde: China und Südkorea."

Die Londoner TIMES sieht China in der Pflicht:

"China hat die Wahl: Entweder es gewährt Kim Jong Il längeren Schutz, indem es dessem bankrotten Regime weiterhin aus der Klemme hilft, oder es übt zum ersten Mal tatsächlichen Druck auf ihn aus, indem es die Öllieferungen an Nordkorea stoppt. China ist das einzige Land, das tatsächlich Druck ausüben kann. Die bisherige Nachsicht hat das Land und die Region schon viel gekostet. Peking muss verstehen, dass es gegenüber diesem unmoralischen und kompromisslosen Regime eine harte Gangart anschlagen muss - aus eigenen nationalen Interessen und im Interesse der weltweiten Stabilität."

Die Pariser Zeitung LIBERATION beschäftigt sich mit den Reaktionen der USA:

"George Bush, der im Irak verstrickt ist, hat Mühe, mit den beiden anderen Ländern fertigzuwerden, die für ihn die 'Achse des Bösen' verkörpern - mit Nordkorea und Iran. Bei dem Konflikt mit ihnen geht es um die gleiche, äußerst heikle Frage der Atomwaffen. Im Moment versucht er, Zeit zu gewinnen. In Wahrheit hat Bush keine wirkliche Wahl. Wegen des Irak-Kriegs und dem Kräfteverhältnis zu Russland und China scheint eine militärische Lösung für Washington nicht an der Tagesordnung zu sein."

Abschließend ein Blick in den Moskauer KOMMERSANT:

"Der Iran wird jetzt erst mal abwarten, wie der Westen Nordkorea für dessen Provokation bestrafen wird. Wenn die Reaktion schwach bleibt, wird die Führung in Teheran den USA vorwerfen, mit unterschiedlicher Elle zu messen und voreingenommen gegenüber dem Iran zu sein. Allerdings können auch die westlichen Diplomaten den Fall Nordkorea in Verhandlungen mit Moskau zur Sprache bringen, um die Russen von der Unterstützung anrüchiger Regime abzubringen. Russland muss mit dem Hinweis der USA und der EU rechnen, dass auch Moskaus anderer Partner, der am Atomprogramm bastelnde Iran, plötzlich seine Raketen in Richtung Russland abfeuern kann."