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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Ursula Kissel4. November 2006

Politik der Großen Koalition / Deutschland-Besuch Kaczynskis

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Die Politik der Großen Koalition und der Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Kaczynski in Berlin haben in der internationalen Presse lebhaftes Echo gefunden. Zunächst die Kommentare zur Großen Koalition: Gewürdigt werden das starke Wirtschaftswachstum und die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Aber auch der Streit um Reformvorhaben blieb nicht unbeobachtet.

Die belgische Zeitung LA LIBRE BELGIQUE sieht positive Entwicklungen:

"Die Merkel-Regierung steckt in einer ziemlich relativen Verlegenheit. Das 'Problem', das sie lösen muss, tut nicht allzu sehr weh: Was tun mit den zusätzlichen Einnahmen, die dank des starken wirtschaftlichen Wachstums reichlich in die Staatskasse fließen? (...) Weitere gute Nachricht: Die positive Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die im Oktober zum ersten Mal seit vier Jahren unter die Schwelle von zehn Prozent gefallen ist, bringt der Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr einen Überschuss von zehn Milliarden Euro. (...) (Am Donnerstag) hatte die Koalition, die jeder nach der allgemein als völlig misslungen angesehenen Gesundheitsreform für gelähmt hielt, mit der Einigung über eine Unternehmenssteuerreform für 2008 überrascht."

Anerkennende Worte findet auch die österreichische Zeitung KURIER:

"Merkel hat den Abbau der rot-grünen Altlast teilweise geschafft: Der Luxus der 'sozialen Gerechtigkeit' zu Lasten der nächsten Generationen ist zumindest gebremst. (...) Ihr zweiter Erfolg: Die Arbeitslosigkeit liegt nach vielen Jahren wieder unter zehn Prozent. (...) Die dritte Leistung ist Merkels ureigenste: Die neue, ausgewogene Außenpolitik, die vor allem das Ausland noch immer überrascht und Hoffnung für die EU macht."

Die Zeitung CORRIERE DELLA SERA aus Italien sieht Führungsschwierigkeiten von Kanzlerin Merkel:

"Die Ankündigung eines teilweisen Rückzugs der Bundeswehr aus Bosnien von Verteidigungsminister Jung hat Angela Merkel verärgert. Es ist dies zugleich eine Bestätigung für alle Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten der Kanzlerin, eine klare und starke Führung der Großen Koalition zu garantieren. Der Fall Jung, und es handelt sich dabei um einen CDU-Minister, ist lediglich der jüngste Fall in einer ganzen Serie von Fällen, in denen Regierungsvertreter lediglich auf eigene Rechnung zu spielen scheinen. (...) Doch die Große Koalition ist sicherlich nicht dazu verurteilt, morgen zu stürzen."

Ähnlich sieht das LA REPUBBLICA, ebenfalls aus Italien:

"Popularitätsverlust in den Umfragen, Spannungen zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten, Aufstand der männlichen CDU- Ministerpräsidenten aus dem reichen Westen gegen die Frau aus dem Osten: Nach einem Jahr an der Macht haben Angela Merkel und die Große Koalition ihre Verführungskunst verloren. (...) Die Flitterwochen zwischen dem Land und der ersten Frau an der Regierungsspitze ist nur noch eine Erinnerung."

Themenwechsel. Der Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Kaczynski in Berlin wurde besonders von der polnischen Presse, aber auch anderen internationalen Zeitungen, analysiert:

Die polnische GAZETA WYBORCZA kommentiert:

"Das Gesprächsklima zwischen Merkel und Kaczynski war gut - und das war hauptsächlich den Deutschen zu verdanken, die viel taten, damit sich der Gast fast wie der US-Präsident empfangen fühlen konnte. Bundeskanzlerin Merkel konzentrierte sich darauf, besser polnische Befürchtungen zu beruhigen, als die seltsame Komödie der Anklagen und Missverständnisse fortzusetzen. Klima ist wichtig in der Politik als Ausgangspunkt für Zusammenarbeit. (..)(Aber) Es ist höchste Zeit für eine polnische Geste und ein Paket von Vorschlägen zu den für beide Staaten wichtigen Angelegenheiten für die Zukunft der Union. Der warme Wind aus Berlin wird nicht ewig wehen."

Die RZECZPOSPOLITA, ebenfalls aus Polen, glaubt:

"Die Medien lieben das Wort 'Durchbruch'. Nach dem Treffen von Jaroslaw Kaczynski und Angela Merkel wäre es jedoch schwierig, diesen Ausdruck zu gebrauchen. Es lässt sich allerdings auch nicht sagen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen so schlecht sind, wie sie es in letzter Zeit waren. Richtiger ist es, einen Schritt in die richtige Richtung festzustellen. Einen Schritt auf dem Weg zu einer Verständigung zur Energiesicherheit Polens, die durch das deutsch- russische Gaspipelineprojekt bedroht ist."

Die Zeitung KURIER aus Österreich ist der Ansicht:

"Natürlich mussten Angela Merkel und Jaroslaw Kaczynski bei ihrem Berliner Treffen beteuern, was für tolle Nachbarn Deutschland und Polen doch sein wollen. In der Praxis wird sich nicht viel ändern, denn die angeblichen 'Missverständnisse' in den Beziehungen wurzeln tief in der polnischen Befindlichkeit. Kaczynski entstammt einer Generation, in der viele die Russen hassen, den Deutschen misstrauen, Angst haben vor möglichen Entschädigungsansprüchen der Vertriebenen und selbst sehr national eingestellt sind."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz kritisiert:

"Viele der polnischen Wortmeldungen der letzten Monate waren drohend im Ton und zwischen Nachbarn und EU-Partnern unangemessen. Andererseits zeigt gerade die Energiefrage, dass polnische Befürchtungen nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, unter die Räder einer deutsch-russischen Übereinkunft zu geraten. Der frühere Bundeskanzler Schröder (...) hatte bei den Verhandlungen über die Gasleitung nichts unternommen, um die polnischen Befürchtungen auszuräumen. (...) Auch wenn ihr im Gegensatz zu Schröder keine exzessiven Freundschaftsbezeugungen für Putin über die Lippen kommen, pflegt Merkel Kontinuität im Verhältnis zu Moskau. Dennoch bemüht sie sich sichtlich, auf polnische Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen."