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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Thomas Grimmer10. Dezember 2006

Baker-Bericht zur Lage im Irak / Giftmord an Ex-Spion Litwinenko

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Im Mittelpunkt der internationalen Presse standen in der vergangenen Woche der Bericht der Baker-Kommission über die Lage im Irak sowie die Hintergründe des Giftmords an dem russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko.

Zum Baker-Bericht notiert die Pariser Tageszeitung LE MONDE:

"Der Bericht stellt gnadenlos das Scheitern der Politik des Präsidenten George W. Bush und seiner Regierung fest: Sie sind im Irak gescheitert, im Mittleren Osten, aber auch gegenüber den Amerikanern. (...) Nun bleibt freilich die Frage, ob die Empfehlungen der Kommission vom Weißen Haus befolgt werden - und ob sie überhaupt eine Chance haben, die Dinge im Irak und im Mittleren Osten zu ändern. Hier ist eine gewisse Skepsis angebracht."

Die in Rom erscheinende Zeitung LA REPUBBLICA bezeichnet den Baker-Bericht als "Sterbehilfe für einen Krieg" und fügt hinzu:

"Das Zwei-Parteien-Dokument wurde von zehn alten 'Weisen' der amerikanischen Politik (...) für den zappelnden Bush geschrieben. Was es vorschlägt, ist aber keine Therapie, denn der Patient Irak kann nicht mehr geheilt werden. Es ist ein Akzeptieren der Realität. Die wahre Neuheit dieses Plans (...) liegt in der Feststellung, dass Erwachsene ins Zentrum der strategischen und politischen Überlegungen zurückgekehrt sind. Sie wurden gerufen, um die Schäden auszubügeln, die von den abgedrehten Ideologen angerichtet wurden, die Bush nach dem Schock des 11. September gesteuert hatten."

In der spanischen Tageszeitung ABC aus Madrid lesen wir:

"Der Baker-Bericht stellt die Lage schonungslos dar und beschreibt mit aller Deutlichkeit mögliche Lösungen. Dazu gehören diplomatische Initiativen in den Nachbarländern, vor allem in Syrien und im Iran, und der schrittweise Rückzug der US-Truppen Anfang 2008. (...) Nur eines lässt das Papier offen: Wer soll die Vorschläge in die Tat umsetzen?"

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT aus Den Haag wüsste da jemanden:

"Mit dem Bericht wird eine Basis für mehr Übereinstimmung in Washington über die allgemeine Irak-Politik gelegt. Vom neuen Verteidigungsminister Gates darf erwartet werden, dass er in diese Richtung arbeiten wird. Aber die bange Frage bleibt, ob auch das Weiße Haus bereit ist, fest eingezogene Denkweisen zu verlassen."

Daran hat auch der Schweizer TAGES-ANZEIGER aus Genf so seine Zweifel, denn:

"Präsident Bush hat Bakers Empfehlungen mit den nichts sagenden Worten kommentiert, sie seien 'wirklich interessant'. Wer angesichts einer solch dramatischen Lage die Vorschläge ausgewiesener Experten lediglich als 'interessant' bezeichnet, beabsichtigt kaum, diese auch umzusetzen. Tragisch ist, dass deshalb weiterhin Tausende Amerikaner und Zehntausende Iraker ihr Leben lassen müssen."

Themenwechsel: Der Giftmord an dem russischen Ex-Spion Alexander Litwinenko war in dieser Woche eines der zentralen Kommentarthemen in der internationalen Presse. Als Drahtzieher des Verbrechens sehen die meisten Kommentatoren den russischen Geheimdienst.

So schreibt die Londoner TIMES:

"Vermutungen, dass der russische Staat in Litwinenkos Mord verwickelt war, sind vom Kreml als absurd abgetan worden. In einer zivilisierten Welt wären sie absurd und der Mord könnte sich als Resultat eines missglückten privaten Geschäftsabkommens erweisen. Ein eher wahrscheinliches Szenario ist jedoch, dass Litwinenko Opfer des übermächtigen und unterbeschäftigten russischen Geheimdienstes wurde (...). Der Aufstieg des FSB in eine dominierende Position, die sein Vorgänger KGB einst besaß, hemmt die Wirtschaft und die Demokratie und hat das Potenzial, eine ernste politische Peinlichkeit für Putin zu werden."

Die österreichische Tageszeitung DER STANDARD aus Wien stellt fest:

"Polonium 210 ist ein radioaktives Element, das zur Auslösung von Atomexplosionen verwendet werden kann. Es kommt sehr selten vor und seine Gewinnung ist sehr teuer. Wer immer es zur Ermordung des ehemaligen russischen Geheimdienstagenten Litwinenko (...) einsetzte - er muss in irgendeiner Weise Zugang zu den Schaltstellen des russischen Sicherheitsapparats haben. Somit ist es zweitrangig, ob der Befehl zur Liquidierung Litwinenkos von 'ganz oben' kam (...) oder ob eine wild gewordene Geheimdienstzelle auf eigene Faust am Werk war, aus welchen Motiven auch immer. Jede denkbare Version läuft letztlich auf das Gleiche hinaus: Die Verhältnisse in Russland entgleiten jeder Kontrolle."

Die NEW YORK TIMES sieht es ähnlich:

"Es ist unumstritten, dass sich eine Kultur der Gesetzlosigkeit in Russland ausbreitet und dass Putin wenig tut, um das aufzuhalten. Im Gegenteil: Er hat Russlands Demokratie geschwächt, indem er die Regierung mit Dunkelmännern aus dem Dunstkreis des alten KGBs besetzt hat und Russlands tief sitzende Unsicherheit und das Misstrauen gegenüber der Außenwelt angefacht hat (...). Der Westen hat zwar keine Wahl und muss weiter mit Russland und Putin umgehen. Aber sobald Kreml-Kritiker angegriffen oder ermordet werden, muss der Westen eine umfassende und transparente Ermittlung sowie eine Bestrafung der Kriminellen fordern - egal, wer diese sind."

Abschließend noch ein Blick in die französische Zeitung DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg:

"Die Affäre des Polonium-Anschlags, von der man jeden Tag neue Verzweigungen entdeckt, trägt die Marke des FSB, also des KGB unter neuem Namen. (...) Ob zaristisch, kommunistisch oder auf seine Art demokratisch - Russland bleibt ein Reich, das von Größe und unvergänglichem Patriotismus lebt. (...) Dies darf die EU nicht vergessen. Und sie darf auch nicht vergessen, dass Russland zwar ein willkommener Partner ist, aber das bleiben wird, was es immer war: unberechenbar."