1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Ursula Kissel20. Januar 2007

Rücktritt von CSU-Ministerpräsident Stoiber / Merkels Rede vor dem EU-Parlament

https://p.dw.com/p/9jTd

Der angekündigte Rücktritt von Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber und die Antrittsrede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Europa-Parlament haben bei den Kommentatoren der ausländischen Presse für Aufsehen gesorgt. Zunächst zu Stoibers Entscheidung, im September von seinen Ämtern zurückzutreten.

Die Tageszeitung DAS LUXEMBURGER WORT schreibt:

"Das Aus für Edmund Stoiber kam schneller als erwartet. Sein Bekunden, dass er mit Rücksicht auf den Erfolg und die Geschlossenheit der CSU, sowie das Wohl und die Zukunftsfähigkeit des Freistaats Bayern auf ein Verbleiben im Amt über 2007 hinaus verzichtet, sagt genug aus über den Druck, dem er letztlich nicht widerstehen konnte. Er musste aufgeben."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz bemerkt:

"Einmal mehr erlebt Deutschland fasziniert, erleichtert und gleichzeitig ein wenig angewidert, wie eine seiner prominentesten politischen Leitfiguren demontiert und gleichsam in den Orkus getrieben wird. (...) Zu den bemühenden Erfahrungen der letzten Tage und Wochen gehört das devote Kuschen in Stoibers Umgebung. Fast jeder trug einen Dolch im Gewande, doch niemand wagte laut zu sagen, wem das Messer galt. Nur eine einzelne Landrätin im fränkischen Fürth hatte den Mut auszusprechen, dass die Zeit für Stoiber abgelaufen sei. (...) Die CSU hat ein gewaltiges blaues Auge abbekommen."

Die TIROLER TAGESZEITUNG aus Österreich ist der Ansicht:

"Edmund Stoiber hat den Machtkampf mit seiner Partei verloren. Seit seinem Nein zu Berlin ist er bei den bayerischen Wählern unten durch. Dass er 2005 in letzter Sekunde als Superminister für Wirtschaft und Finanzen in Angela Merkels Kabinett kniff, haben sie ihm nie verziehen. (...) Mit Stoiber wäre es schwer gewesen, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen."

Dagegen konstatiert die italienische Tageszeitung LA REPUBBLICA:

"Ende einer Epoche in Deutschland. Edmund Stoiber, der äußerst mächtige und konservative Regierungschef aus dem reichen Bayern wirft das Handtuch. Mit ihm verliert das Lager der Union einen ihrer hervorragenden Männer und, vor dem Hintergrund der Spannungen mit der SPD, einen der Verbündeten der Bundeskanzlerin."

Die tschechische Tageszeitung LIDOVE NOVINY schreibt:

"Edmund Stoiber bereiste die ganze Welt, nur ausgerechnet in Bayerns Nachbarland Tschechien war er nie zu einem offiziellen Besuch. Denn stolz und mit vollem Einsatz hat er sich stets seiner Rolle als 'Schutzherr der Nachkriegsvertriebenen' gewidmet. (...) In Stoiber geht zwar ein Ministerpräsident, der zu Tschechien eine gefühlsbetonte Beziehung hatte. Aber auch ohne ihn und auch ohne die Sudetendeutschen bleibt Bayern für die Tschechen einer der allerwichtigsten Nachbarn. Es wird Zeit, den Weg aus München nach Prag zu finden."

Themenwechsel. Bundeskanzlerin Merkel hat bei ihrer Antrittsrede vor dem Europa-Parlament in Straßburg angekündigt, bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft einen Fahrplan für die EU-Verfassung vorzulegen.

Dazu schreibt die Zeitung EL MUNDO aus Spanien:

"Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deutlich gemacht, dass ihre Stärke nicht in großen Worten liegt, sondern in einer pragmatischen Linie. (...)Sie will eine Einigung über eine neue Verfassung für die Europäische Union erreichen. (...) Merkel ist dafür, dass die EU in die Zukunft blickt und sich nicht ständig mit dem Scheitern des alten Verfassungsprojekts befasst."

Positives Echo kommt von der italienischen Tageszeitung LA REPUBBLICA:

"Um ihr Programm vor dem Plenum des Europaparlaments zu verdeutlichen, hat die deutsche Kanzlerin eine Rede präsentiert, die reich an Zitaten und von den Werten des klassischen deutschen Europageistes inspiriert ist. Indem sie die Bescheidenheit desjenigen an den Tag legt, der sich der Schwierigkeiten der vor ihm liegenden Aufgaben bewusst ist, hat sich Frau Merkel darauf beschränkt, den Beginn begrenzter Konsultationen anzukündigen, um auf diese Weise die jeweiligen Forderungen der einzelnen Mitgliedsländer zu erfahren."

Auch die dänische Zeitung POLITIKEN ist der Meinung:

"Bundeskanzlerin Angela Merkel hat als deutsche und europäische Führungsgestalt nicht zuletzt außenpolitisch schon beeindruckt. (...) Sie erkennt als Regierungschefin im größten der 18 Ja-Länder an, dass der Verfassungsvertrag (wegen des Neins in zwei Ländern) tot ist. (...) Gleichzeitig konstatiert sie mit 18 und mehr Ländern im Rücken, dass es breite Einigkeit darüber gibt, die EU funktionstüchtiger zu machen."

Anerkennung für ihre Rede erhält Merkel auch von der politisch links orientierten Tageszeitung NEPSZAVA aus Ungarn:

"Es tat wohl zu hören, wie die politische Führerin des größten EU-Landes, die erste Frau einer erfolgreichen konservativ- sozialdemokratischen Koalition, (...) endlich über das Wesentliche sprach. (...) Im demokratischen Europa ist die Rechte so beschaffen, dass sie - anders als die in Ungarn - die Linke als Partner betrachtet, sich hingegen von der extremen Rechten scharf abgrenzt."

Die französische Zeitung OUEST-FRANCE äußert:

"Es gab eine Zeit, in der Frankreich in Europa das Tempo vorgab. Das noch geteilte Deutschland leistete dabei Unterstützung. Jacques Delors hat diesen französischen Einfluss verkörpert. Damals funktionierte das französische Paar um so besser als Motor für Europa, als der Bundeskanzler sich an das im Elysée-Palast vorgegebene Tempo hielt. Diese Zeit ist vorbei. Heute spielt Deutschland die erste Geige."