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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Annamaria Sigrist3. März 2007

Völkermord in Bosnien / Cheney in Afghanistan

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Die internationale Presse sich in der vergangenen Woche unter anderem mit zwei Themen beschäftigt: Mit einem Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag und mit dem Blitzbesuch von US-Vizepräsident Richard Cheney in Afghanistan. Doch zunächst zum Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag im Prozess um die Urheber des Srebrenica-Massakers in Bosnien. Die Reaktionen waren unterschiedlich.

Die TIMES aus London schreibt:

"Das Urteil ist ein seit langem erwartetes Eingeständnis der eingeschränkten Autorität eines jeglichen internationalen Gerichtes - mit einem indirekten Angebot für einen Kuhhandel. Serbien wird von der Anklage des Völkermordes freigesprochen und soll im Gegenzug endlich den Willen aufbringen, die Hardliner Ratko Mladic und Radovan Karadzic auszuliefern. Mit etwas Glück und Geduld könnte es dann wenigstens eine Art Gerechtigkeit geben."

Die Zeitung 'DANAS' aus Belgrad merkt an:

'Auf keiner der Seiten gibt es Grund zum Jubel. Serbien ist nicht für unschuldig erklärt worden. Bosnien-Herzegowina hat nicht die Absolution bekommen. Mit anderen Worten, die Schuld für die dreieinhalb jährigen Leiden liegt nicht nur auf der einen Seite. Nun haben beide Seiten die Gelegenheit, ohne ein Mehr an Gefühlen, den eigenen Anteil zu überprüfen. Der Krieg in Bosnien, den die dortigen Bürger geführt haben, wäre nicht so schrecklich ohne die fremde Einmischung gewesen. Und die serbische Seite war, aus Sicht des Gerichtshofes, die am meisten verstrickte.'

Die in Sarajevo erscheindende Zeitung DNEVNI AVEZ kritisiert das Urteil:

'Nur unverbesserliche Idealisten konnten hoffen, das aus den Haag ein Urteil kommen werde, das ausschliesslich auf Gerechtigkeit basiert. Vom UN-Gerichtshof wurde nur ein unpräzises und unschlüssiges Urteil erwartet, wie es ohnehin die Politik der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates ist. (...) Trotzdem ist das Urteil ein historisches. Erstmals in der Geschichte wurde gesagt, das an einem Volk ein Genozid verübt wurde und dass Serbien deswegen die juristische, politische und moralische Verantwortung übernehmen muss, denn es hatte das Übel nicht gestoppt, obwohl es dazu in der Lage gewesen wäre.'

Die dänische Tageszeitung POLITIKEN aus Kopenhagen sieht die Haager Entscheidung deutlich positiver:

'Sowohl das Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag zu Serbien wie die Entscheidung zur Benennung von mutmaßlichen Verantwortlichen für die Tragödie in Darfur sind positive Schritte. Weder Hitler noch Stalin oder Mao wurden für ihre politischen Verbrechen zu Lebzeiten vor Gericht gestellt. Jetzt wäre es fast gelungen, Prozesse gegen Milosevic und Pinochet durchzuführen, wenn nicht beide vor der jeweils entscheidenen Phase gestorben wären. Das ist ein Fortschritt mit enormen Perspektiven. Zum einen können die Beispiele einen gewissen abschreckenden Effekt auf zukünftige Diktatoren und deren Handlanger haben. Zum anderen widerfährt den Opfern Gerechtigkeit.


Themawechsel: Als US-Vizepräsident Richard Cheney vergangene Woche sich bei einem Blitzbesuch in Afghnanistan aufhielt, entging er nur knapp einem Selbstmordanschlag. Die Kommentatoren der ausländischen Tageszeitungen haben dazu und zur aktuellen Lage in Afghanistan Stellung genommen.

Dazu die spanische Zeitung EL PAIS aus Madrid:

"Der Cheney-Besuch war geheim gewesen und kurzfristig anberaumt worden. Dies beweist, dass die Taliban Informationen aus erster Hand erhalten und kurzfristig zuschlagen können. Die Taliban gewinnen an Stärke, je mehr die afghanische Regierung zu einem dekorativen Organ verkommt. Die Streitkräfte der NATO sind nicht ausreichend. In der Bevölkerung macht sich zunehmend Skepsis gegenüber den Versprechungen des Westens breit."

Auch die italienische CORRIERE DELLA SERA aus Rom sieht den wachsenden Einfluss der Taliban mit Sorge:

"Der Attentäter hatte wohl kaum die Hoffnung, dass er sein Ziel tatsächlich treffen würde, aber es ist ihm doch gelungen das zu demonstrieren, was die Taliban deutlich machen wollen: Dass sie in Afghanistan in der Lage sind zuzuschlagen, und zwar auf wen auch immer, wann auch immer und wie auch immer."

DIE PRESSE aus Wien bemerkt:

"Das Konzept, das sich die Amerikaner, die Nato, der Westen zur Befriedung Afghanistans zurechtgelegt haben, ist gewiss nicht falsch: den Widerstand der Taliban militärisch bekämpfen, gleichzeitig durch Wiederaufbauhilfe die 'Herzen und Hirne' der Zivilbevölkerung gewinnen und so den 'Nährboden' für die Taliban austrocknen. Auch die Einbindung Pakistans, wo die Taliban ihr Rückzugs- und Rekrutierungsgebiet haben, in die Konfliktlösung ist ein richtiger Ansatz zur Lösung des Taliban-Problems. Aber offensichtlich hapert es nach wie vor bei der Umsetzung all dieser an sich richtigen Maßnahmen."

Die französische Zeitung "LE FIGARO" aus Paris zieht diese Bilanz:

"Neben der oftmals kritisierten Kriegsführung mit den für die Zivilbevölkerung folgenschweren Militäroperationen wirft auch die Politik des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai Fragen auf. Die Korruption verantwortlicher Politiker in Afghanistan, das Scheitern des Kampfes gegen den Mohnanbau und der fehlende Rechtsstaat, all das trägt nicht dazu bei, Rückendeckung in der Bevölkerung zu bekommen. Auf regionaler Ebene erschwert Pakistan, wo die Taliban Rückzugsgebiete finden oder ihre Angriffe starten können, die Aufgabe der internationalen Truppen. US-Vizepräsident Dick Cheney hat den pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf deshalb nachdrücklich gewarnt. Das ist ein erster Schritt, dem aber ohne weiteres Zögern eine allgemeine Wiederherstellung der Ordnung folgen sollte, wenn denn alle gemeinsam den Krieg gegen die Taliban gewinnen wollen."