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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

2. Dezember 2001

Die Auslandspresse: Der Parteitag der Grünen, Joschka Fischer und Afghanistan

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Viele ausländische Tageszeitungen gingen in dieser Woche auf den Parteitag der in der Afghanistan-Frage gespaltenen deutschen Grünen ein. Dabei beschäftigten sich einige Blätter auch mit der Rolle, die Außenminister Joschka Fischer einerseits für seine Partei, andererseits aber auch für die Afghanistan-Verhandlungen auf dem Petersberg bei Bonn spielt.

Doch zunächst zum Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen, dessen Ausgang die linksliberale spanische Zeitung EL PAIS aus Madrid so kommentierte:

"Die Grünen in Deutschland haben die schwerste Krise ihrer Geschichte überstanden. Die Frage ist, wann die nächste kommt. Eine neue Krise scheint bereits vor der Tür zu stehen. Ganze Regionalverbände verlangen eine Verurteilung des Krieges in Afghanistan und damit den Auszug aus der Koalition mit der SPD.
Die Grünen scheinen sich bewusst zu sein, dass sie für die Sozialdemokraten verzichtbar sind. Die SPD kann mit jeder anderen Partei eine Koalition eingehen. Mit einem Auszug aus der Regierung hätten die Grünen sich ihrer wichtigsten Trümpfe beraubt. Dazu gehört Außenminister Joschka Fischer, der beliebteste Politiker in Deutschland. Die Grünen haben in Rostock nicht Selbstmord begangen.
Aber niemand kann sagen, ob sie nicht bald einen neuen Versuch unternehmen, sich selbst zu richten."

In der schweizerischen NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG war zu lesen:

"Irgendwie kann man die Wut der Basis nachvollziehen. Unter dem gnadenlosen Druck des Bundeskanzlers sind praktisch alle einstigen Hegemonialbereiche grüner Politik zu leeren Hülsen verkommen: So hat der Verkehr trotz der Ökosteuer kein bisschen abgenommen; bei der inneren Sicherheit oder der Zuwanderung hat sich die SPD rein bürgerlicher Positionen bemächtigt; und auch der Ausstieg aus der Atomenergie gestaltet sich so, als hätten ihn die Kraftwerksbetreiber gleich selbst entworfen. Dies alles waren Kröten, die zahlreiche Grüne kaum mehr zu schlucken vermochten. Für sie ist die Bilanz des bisherigen Regierungsengagements verheerend.
Nichts als Demütigungen hat ihnen die ersehnte Teilhabe an der Macht gebracht. Und nun haben sie auch noch die letzte Grenze überschreiten müssen. Schröder, der einzige Exekutor rot-grüner Regierungspraxis, ist für die Hüter der reinen grünen Lehre endgültig zum roten Tuch geworden."

Der Kommentator der in Wien erscheinenden liberalen Zeitung DER STANDARD meinte, die Grünen dürften aber trotzdem stolz auf sich sein:

"In keiner anderen deutschen Partei wurde das Thema Afghanistan auf hohem Niveau und mit derartigem Anstand diskutiert, die Grünen waren das wahre Spiegelbild der deutschen Gesellschaft. Nicht die Genossen der SPD, die sich mit Hurra hinter Frontmann Schröder sammelten, nicht die Bürgerlichen von CDU/CSU, bei denen inhaltliche Diskussionen nicht mehr geführt werden, nicht die Freidemokraten, denen es scheinbar nur mehr um den Wiedereinzug in die Regierung geht - die Grünen zeigten, dass komplexe Fragen eben auch komplex in aller Öffentlichkeit besprochen werden müssen. (...) Deutschland und damit Europa braucht diese Grünen, auch wenn vieles in der Partei in sich widersprüchlich erscheint. Aber ein sozial und ökologisch modernisiertes republikanisches Deutschland, das frei ist von romantischen Vorstellungen einer Kuschelgesellschaft, muss nach den Terroranschlägen vom 11. September seine internationale Rolle neu definieren - die Grünen zeigten, wie man das angeht."

Nach Ansicht der italienischen Tageszeitung LA STAMPA aus Turin geht Außenminister Fischer gestärkt aus dem Parteitag hervor:

"Nachdem er einen schwierigen Parteikongress überstanden hat, bei dem er seine Parteifreunde von der Notwendigkeit des militärischen Eingreifens in Afghanistan überzeugte, kommt ein als Außenminister und Vermittler vollkommen legitimierter Joschka Fischer nach Bonn.
Trotz der inneren Uneinigkeit über die militärische Intervention wird das gesamte Deutschland an der vordersten Front der diplomatischen Szene stehen",

bemerkte LA STAMPA, stellte aber hinsichtlich des Fortgangs der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg auch die besorgte Frage:

"Werden die Anstrengungen der UN und Joschka Fischers Deutschland ausreichen, damit Bonn den ersten Schritt zu einer Stabilisierung bringt und nicht ein Aufsehen erregendes Scheitern?"

Die in Paris erscheinende, linksliberale Tageszeitung LIBERATION äußerte folgende Hoffnung:

"Könnte doch der Geist von Bonn, der früheren deutschen Hauptstadt, auf die unterschiedlichen Gruppierungen Afghanistans abfärben, die sich um den Verhandlungstisch versammelt haben. (...) Die Intervention der Amerikaner und der Sturz der Taliban bietet eine einzigartige Gelegenheit, Afghanistan wieder zu einen. Wenn man diese Chance nicht ergreift, dann wird es lange dauern, bis sich eine neue bietet."

Zur Reaktion des deutschen Außenministers auf Berichte, die USA könnten den militärischen Kampf gegen den Terrorismus auf andere Länder ausdehnen, schrieb die konservative norwegische Tageszeitung AFTENPOSTEN aus Oslo:

"Wir lesen mit großer Beunruhigung die begründeten Spekulationen über Angriffspläne der USA gegen andere Länder als Afghanistan. Die Warnung des deutschen Außenministers Joschka Fischer vor Gefährdung der internationalen Koalition und seine Kritik an Kräften in den USA, die neue militärische Ziele nach Afghanistan suchen, ist berechtigt. Selbst eine verletzte Supermacht muss begreifen, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht zur Begleichung nationaler Rechnungen missbraucht werden darf. Dazu ist er zu wichtig."