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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Christian Walz 19. Mai 2002

Parlamentswahl Niederlande / Wahlkampf Deutschland

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"Europas Sozialdemokratie gerät ins Hintertreffen": In dieser Einschätzung waren sich in dieser Woche die internationalen Zeitungen nach der Parlamentswahl in den Niederlanden einig.

Die britische Tageszeitung THE GUARDIAN schrieb:

"Das Wahlergebnis in den Niederlanden war der dritte Schub nach rechts bei den drei letzten großen Parlamentswahlen in der Europäischen Union. Wenn jetzt auch noch der Mitte-Links-Kanzler Gerhard Schröder im September in Deutschland abgewählt wird und die bereits angeschlagenen französischen Sozialisten im Juni verlieren, werden die meisten der 15 EU-Regierungen rechts sein. Und viele werden sich dabei auf kleinere Parteien stützen, die sehr weit rechts stehen. Das Thema Einwanderung dürfte der wichtigste Konfliktstoff zwischen Rechts und Links werden."

"Es kommt selten vor, dass der Wählerwille so klar zum Ausdruck kommt wie bei der Parlamentswahl in den Niederlanden am Mittwoch", bemerkte die BASLER ZEITUNG:

"Die etablierten Parteien in den Niederlanden stehen nun vor der Wahl, ob sie so weitermachen wie zuvor, ob sie die politischen Neulinge, die die Emotionen der letzten Wochen ins Parlament gespült haben, isolieren, ignorieren und spalten wollen - oder ob sie radikale Schlussfolgerungen aus dem Wahlergebnis ziehen. Das hieße dann nicht nur, die bunte Liste der Erben des Rechtspopulisten Fortuyn in eine Koalition aufzunehmen und ihren Forderungen nach weniger Einwanderung und mehr innerer Sicherheit nachzukommen, sondern auch einen Generationenwechsel in den eigenen Reihen zu vollziehen."

DER STANDARD aus Österreich meinte, der Politik in Westeuropa stehe nun ein Erneuerungsprozess bevor:

"Die Politik hatte den Niederländern zwar genügend "Brot" gegeben, das Angebot an "Spielen" für das Volk jedoch sträflich vernachlässigt. Der ermordete Rechtspopulist Pim Fortuyn, ein Medienmensch par excellence, stellte Fragen, die sich die Etablierten nicht zu stellen getrauten - natürlich ohne Antworten zu haben. Die etablierten Parteien hatten hingegen nur Antworten auf Fragen, die in den Niederlanden niemand mehr stellte. Die Wähler wollen offenbar, dass die Parteien nicht nur Hirn, sondern auch Herz ansprechen."

Ähnlich die Analyse der französischen Zeitung LE FIGARO:

"Nun ist es nicht mehr möglich, jene Fragen zu ignorieren, die die extreme Rechte stellt. Man kann sich nicht im Namen der Moral so verhalten, als gäbe es dieses Phänomen nicht. Es darf keine Tabu-Themen mehr geben!"

Das italienische Blatt LA REPUBBLICA beschäftigte sich ebenfalls mit dem Rechtsruck in den Niederlanden. Zitat:

"Nach rechts, nach rechts. Europa setzt seinen Weg fort. Die Front ist gefallen, in Rom, in Kopenhagen, in Lissabon, in Paris und nun auch in Den Haag. Der nächste Termin steht jetzt in Berlin an."

Und damit direkt zum Wahlkampf in Deutschland, den die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz näher beleuchtete. Besondere Beachtung fand dabei, dass der Jenoptik-Chef und frühere baden-württembergische CDU-Regierungschef Lothar Späth im Falle eines Wahlsieges der Union Wirtschaftsminister werden soll.

"Mit der Personalie Späth machte Unions-Kanzlerkandidat Stoiber geschickt vergessen, dass er wirtschaftspolitisch kaum andere Rezepte anzubieten hat als Schröder. Aus wenig viel zu machen; diese Kunst scheint die SPD gründlich verlernt zu haben. Ihr gelingt es nicht, die Leistungen ihrer Regierungszeit werbewirksam an den Mann zu bringen, zumal sie sich darauf beschränkt, Stoiber zu verunglimpfen. Mit den personalisierten Attacken hofft man, dem aus Sicht des Willy-Brandt-Hauses drängendsten Problem -der Apathie der eigenen Funktionäre und der traditionellen Wählerschichten- beizukommen."

Zum Abschluss dieser Pressestimmen noch zwei Kommentare, die auf die Kanzlerkandidatur von FDP-Chef Guido Westwerwelle eingingen.

"Ein Schuss Größenwahn oder zumindest Großmannssucht gehört schon dazu, wenn sich Westerwelle als Kanzlerkandidat präsentiert", urteilte die österreichische KRONENZEITUNG:

"Der Aufwärtstrend wie kürzlich bei der Landtagswahl in Sachsen- Anhalt lässt die Liberalen in Optimismus schwelgen. Und den möchten sie auch den Wählern vermitteln. Sie sollen für die FDP stimmen, nicht nur aus Verdrossenheit über die anderen Parteien, sondern weil sie damit etwas bewegen und verändern und Macht erobern können."

Und der TAGES-ANZEIGER aus Zürich stellte fest:

"Guido Westerwelle hat es in relativ kurzer Zeit verstanden, das angegraute Image seiner Partei aufzupolieren, es auf Kompatibilität mit der jüngeren Generation zu trimmen. Seine Devise ist es, den "Weg zur Modernisierung Deutschlands mit Fröhlichkeit zu beschreiten". Und bisher hat es ihm nicht geschadet, dass die Fröhlichkeit dabei stärker im Vordergrund stand als die Modernisierung. Nach der Wahl könnte der Spaß für manche vorbei sein. Für Guido Westerwelle allerdings eher nicht. Denn der ist zwar dann bestimmt nicht Kanzler. Aber wetten, dass der nächste Vizekanzler Guido Westerwelle heißt?"