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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

26. Mai 2002

US-Präsident George W. Bush in Berlin

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Die Europa-Reise von US-Präsident George W. Bush, insbesondere sein Besuch in Berlin, war in den europäischen Tageszeitungen das meistkommentierte Ereignis dieser Woche. Große Beachtung fand Bushs Rede vor dem Deutschen Bundestag, die bei vielen Kommentatoren allerdings Enttäuschung hervorrief.

"Viele Worte, wenig Inhalt" war denn auch die Meinung der liberalen österreichischen Tageszeitung DER STANDARD:

"Was der US-Präsident über gemeinsame Werte und die Verteidigung der Zivilisation gegen den Terrorismus sagte, brachte weder inhaltlich noch in den Formulierungen Neues. Allenfalls war der Versuch zu erkennen, das Pathos in Grenzen zu halten und umstrittene Zuspitzungen wie die 'Achse des Bösen' durch unverfänglichere Begriffe wie 'strategische Herausforderung' zu entschärfen. Indem er den 11. September mit dem ersten Tag der Berlin-Blockade durch die Sowjets verglich, sprach Bush andererseits die Gastgeber nicht ungeschickt auf der emotionalen Ebene an. Das angekündigte Grundsätzliche zur Zukunft der transatlantischen Partnerschaft blieb hingegen aus. Auf die Kritik vieler Europäer an einer wachsenden Tendenz seiner Regierung zum Unilateralismus, zum Vorrang des nationalen Interesses vor der globalen Perspektive - Beispiele Klimaschutz, Außenhandel, internationaler Strafgerichtshof - ging der US-Präsident höchstens andeutungsweise ein."

Ähnlich urteilte der in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER:

"Gerade in Europa macht sich seit Monaten ein latenter Antiamerikanismus breit. Nicht jener dumpfe, der im rechtskonservativen Lager und links außen zum Selbstverständnis gehört. Breite Gesellschaftsschichten empfinden Bushs Politik als arrogant und gespeist von einem Allmachtsgefühl. Der Eindruck, dass die USA ihre ökonomische und militärische Überlegenheit rücksichtslos ausspielen, hat sich verstärkt. Gegenüber solchen Sorgen fand Bush keine Worte. Bis auf wenige Passagen über das Verhältnis zu Russland blieb er ohne Überzeugungskraft, unverbindlich und schwammig."

"Besuch vom Kriegsherrn" überschrieb das österreichische Massenblatt KURIER seinen Kommentar:

"Das Versprechen, die Europäer zu konsultieren, wenn die Kriegspläne konkret werden, ist nur ein Placebo. Bush hat in Berlin die Führungsrolle seines Landes in strategischen Fragen bekräftigt. Wenn Gefahr droht, wird Washington seine militärische Macht ohne Rücksicht auf zögerliche Verbündete einsetzen. Saddam Hussein ist für die republikanische Administration eine solche Gefahr. Diese Entschlossenheit kontrastiert mit dem Zaudern der Europäer. (...) Die USA nehmen wenig Rücksicht auf differenzierte Wünsche der Verbündeten. Derzeit wird die transatlantische Beziehung durch tiefes Misstrauen belastet."

Das britische Wirtschaftsblatt FINANCIAL TIMES meinte, Bush habe das Misstrauen und die Sorgen der europäischen Verbündeten nicht zerstreuen können, dies vielleicht auch gar nicht gewollt:

"Der US-Präsident lobte die europäische Unterstützung für den Anti-Terror-Kampf, machte aber zugleich deutlich, dass sich die USA von einer Ausweitung der Aktionen nicht abhalten lassen werden. In der Rede fehlte ein echtes Verständnis für die europäischen Sorgen um den zerbrechlichen Zustand des transatlantischen Verhältnisses. In Europa hält das Misstrauen darüber an, dass Bush letzten Endes seinen eigenen Weg gehen wird, was immer die Verbündeten auch sagen. Es mag sein, dass Bush diese Botschaft vermitteln wollte. Wenn das so ist, dann muss Europa damit leben. Aber dann muss Bush sich auch an das europäische Murren gewöhnen."

In der französischen Zeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg war zu lesen:

"Der Präsident der Vereinigten Staaten glaubte, mit seiner gestrigen Rede vor dem deutschen Bundestag den Europäern eine Moralpredigt halten zu müssen. Vor offenbar wenig überzeugten Abgeordneten, vom üblichen Beifall einmal abgesehen. Der 'große Bruder' Amerika bietet dem 'alten Kontinent' neue Verpflichtungen an. Neue Schläge gegen all jene, die eine Bedrohung für die 'Zivilisation' darstellen. Offen gestanden weiß es längst alle Welt, dass der Irak ein diktatorischer Staat ist. Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Länder, die von der amerikanischen Öl-Lobby unterstützt werden. Offen gestanden fängt man langsam an, diese Art von 'Glaubensbekenntnis' leid zu werden."

Das niederländische unabhängige ALGEMEEN DAGBLAD bemängelte:

"Die unterschwelligen Gegensätze zwischen Washington und seinen europäischen Bündnispartnern kommen bei den direkten Kontakten kaum zur Sprache. Die beiderseitigen Empfindlichkeiten und die Tatsache, dass sie aufeinander angewiesen bleiben, verhindern die öffentliche Konfrontation. Viel, wenn nicht gar alles, wird darum mit dem Mantel der Liebe zugedeckt. Aber dass sich in den transatlantischen Beziehungen etwas zusammenbraut, kann man kaum noch bestreiten. (...) Der Bush-Besuch kommt eigentlich zum ungünstigen Zeitpunkt. Es ist zu spät, um Gegensätze als Missverständnis abzutun, und es ist zu früh, um sie ordentlich aufzulösen, sofern dies überhaupt möglich ist. Die Amerikaner zeigen sich gegenüber europäischer Kritik ziemlich unempfindlich. Ihre Flucht nach vorn vergrößert die bestehende Kluft nur noch mehr."

Die konservative polnische Zeitung RZECSPOSPOLITA meinte:

"Das alte, träge und satte Europa glaubt, dass es die Vereinigten Staaten nicht mehr nötig hat. Die Lektion des 11. September wurde nicht wiederbelebt, jedenfalls nicht in allen Ländern. Nur Großbritannien hat sich nicht von der Unterstützung der USA in Afghanistan abgewandt. Der Grund für diesen Zustand sind die im sich vereinigenden Europa weiter bestehenden Egoismen und der Antiamerikanismus nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Politik und Diplomatie. (...) Der Berlin-Besuch war nur eine Etappe auf dem Weg nach Moskau. Indem er den neuen Charakter der Beziehungen mit Russland ankündigte, (...) gab Bush den Europäern zu verstehen, dass sie für die USA nicht der einzige Partner auf dem Kontinent sind."