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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel 21. September 2002

Irak-Kontroverse / Bundestagswahlkampf

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Die deutsche Haltung in der Irak-Frage und der Bundestagswahlkampf waren die herausragenden Kommentarthemen der ausländischen Tagespresse in der vergangenen Woche.

Das Nein des Bundeskanzlers zu einem Krieg gegen den Irak stieß in der angloamerikanischen Presse naturgemäß auf harsche Kritik. So war in der WASHINGTON POST zu lesen:

"Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder beharrt weiter darauf, dass seine Regierung auf keinen Fall einen Angriff gegen den Irak unterstützen wird - auch wenn diese Aktion von den Vereinten Nationen beschlossen wird. Deutsche Experten sagen, diese Haltung wird es Schröder erlauben, im Kampf um seine Wiederwahl einen Sieg zu erringen. Wenn das so ist, wird es ein teurer Sieg sein: Herr Schröder wird sich selbst an der Spitze einer Regierung wiederfinden, deren internationales Prestige und Einfluss sich bedeutend verringert haben."

Noch schärfer formulierte es die konservative britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH aus London:

"Wer auch immer die Bundestagswahl gewinnt, das deutsche Volk wird der Verlierer sein. Dieser Wahlkampf war für das Ansehen des Landes im Ausland katastrophal. Kanzler Schröder und sein Herausforderer Edmund Stoiber sind zwei mit allen Wassern gewaschene Provinzpolitiker - doch etwas Staatsmännisches haben sie beide nicht. Schröder hat die pro-westliche Politik, die ihm und seinem populären Außenminister Joschka Fischer im Fall von Kosovo und Afghanistan so gut bekommen ist, zu Gunsten eines 'deutschen Weges' aufgegeben. Stoiber hat den Fehdehandschuh nicht aufgenommen; er war zu ängstlich, um Präsident Bush entschlossen zu unterstützen. Nach Schröders offener Verachtung für die UN-Resolutionen zum Irak kann es nun gar nicht zur Debatte stehen, dass Großbritannien, Frankreich und Amerika Deutschland einen permanenten Sitz im UN- Sicherheitsrat zugestehen. Die Unreife der in die Jahre gekommenen Studenten-Rebellen, die Deutschland jetzt regieren, wird ihre Landsleute teuer zu stehen kommen. Für Jahre werden sie den Preis dafür bezahlen: Isolation."

Erstaunt stellte die französische Regionalzeitung LE TÉLÉGRAMME aus Brest fest:

"Auch die Kehrtwende von Saddam Hussein hat Gerhard Schröder nicht aus dem Sattel gehoben. Im Gegenteil, der Bundeskanzler hat UN-Generalsekretär Kofi Annan die Entsendung deutscher Experten an der Seite der Inspekteure vorgeschlagen. Das Komischste dabei ist, dass die bakteriologischen und chemischen Waffen, die nun kontrolliert werden sollen, zum großen Teil von deutschen Laboratorien entwickelt wurden."

Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA ging auf die strittigen Äußerungen von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin ein, die nach dem Bericht einer Lokalzeitung die Irak-Politik des US-Präsidenten mit Methoden Adolf Hitlers verglichen haben soll. Dazu hieß es in dem Mailänder Blatt:

"Ein deutscher Journalist schreibt, dass eine sozialdemokratische Ministerin Bush mit Hitler vergleicht. Sie bestreitet das zwar, der Bundeskanzler verteidigt sie, aber zwischen Washington und Berlin wird die Wunde in den diplomatischen Beziehungen, die bereits im Streit um einen Irakkrieg aufgerissen ist, immer größer. Sicherlich ist der Ton in der Wahlkampagne (...) etwas arg zugespitzt, aber die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem mächtigsten Land Europas waren niemals zuvor so schlecht wie heute."

Mit dem Verlauf des Bundestagswahlkampfs setzte sich die linksliberale dänische Tageszeitung INFORMATION aus Kopenhagen kritisch auseinander:

"Der deutsche Wahlkampf ist zu einer Abart amerikanischer Gladiatorenkämpfe degeneriert. (...) Deutsche Politik handelt nicht mehr von Grundwerten. Alles steht zum Verkauf für ein paar Prozent in den Umfragen. Die Medien, die so fleißig vor der 'Amerikanisierung' warnen, marschieren mit Aufrechnungen voran, welcher Kandidat 'am überzeugendsten wirkt'. Sollte Kanzler Schröder gewinnen, wird der Sieg einen schalen Geschmack haben. Seine Wiederwahl beruht dann auf einem zentraleuropäischen Tiefdruck und einem irakischen Diktator. Sollte Stoiber gewinnen, geschähe das, weil er sich sozialdemokratischer als die SPD gibt. Und im letzten Moment die Zuwanderer tritt. Auch sein Sieg wäre schal".

Die liberale tschechische Tageszeitung MLADA FRONTA DNES aus Prag bemerkte:

"In Gummistiefeln und mit Sandsäcken im Fernsehen, mit dem Schreckgespenst Irak-Krieg im Internet, sogar mit türkischen Plakaten - das (war) der Wahlkampf in Deutschland, inspiriert von den Kampagnen in den USA. Und diesem Vorbild gemäß, trafen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber auch zwei Mal im TV-Studio live aufeinander. Doch ihre Strategen hatten so lange an äußerlichen Unterschieden gearbeitet, bis die beiden Hauptkontrahenten schließlich gleich aussahen. Und über das schlichte Design einiger Handzettel meinen PR-Experten, dass sich damit vielleicht Eis verkaufen ließe, aber sicher keine Partei."

Die konservative niederländische Tageszeitung DE TELEGRAAF meinte:

"Der große Unterschied in den Kampagnen der vergangenen Wochen bei Sozial- und Christdemokraten lag in der Fähigkeit der SPD, bei aktuellen Entwicklungen deutlich Position zu beziehen, während im Lager der Christdemokraten lange und sichtbar gezweifelt wurde. (...) Wenn man die Bilanz der vergangenen vier Jahre zieht, hat die SPD den Sieg nicht verdient. (...) Falls Schröder wirklich am Sonntag gewinnt, hat er in den kommenden vier Jahren viel gut zu machen."

Die britische FINANCIAL TIMES aus London kommentierte:

"Deutschland wählt. Das sollte eigentlich ein Grund zur Erleichterung sein. Bisher sind in Deutschland nicht die intoleranten, populistischen Bewegungen aufgetaucht, die sich in Frankreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Italien und Österreich gezeigt haben. Wenn demokratische Respektabilität im gemäßigten Zentrum angesiedelt ist, bleibt Deutschland ein Stützpfeiler der Berechenbarkeit. Aber da hört das Lob schon auf. Die großen Parteien haben in diesem Wahlkampf das wahre Ausmaß der Probleme des Landes verheimlicht und keine radikalen Konzepte zu ihrer Lösung angeboten."

Zum Schluss die französische Zeitung DERNIÈRES NOUVELLES D´ALSACEE aus Straßburg, die sich mit der außenpolitischen Dimension der Bundestagswahl befasste:

"Deutschland sieht nun neuen Generationen entgegen, die weniger belastet sind durch die Kriegserinnerungen. Mit der Teilnahme an den Konflikten in Ex-Jugoslawien oder Afghanistan, mit der mehrfach bekräftigen Distanz gegenüber den amerikanischen Kriegsplänen in Irak, mit der Forderung nach einer Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, ohne die Debatte über die eigene Vertretung im Sicherheitsrat der UNO zu scheuen, und mit der Beanspruchung einer Präsenz der deutschen Sprache bei den europäischen Institutionen hat Deutschland in den letzten Monaten auf Gleichbehandlung gepocht. Diese Aussicht dürfte noch so manches Zähneknirschen, so manche Polemik auslösen - besonders in Frankreich, wo die Erinnerungen an den Krallenadler und an die Pickelhaube noch lebendig sind."