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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel30. September 2002

Deutsch-amerikanischer Streit um Irak-Politik

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Auch in der vergangenen Woche war der deutsch-amerikanische Streit um einen möglichen Präventivschlag gegen den Irak eins der herausragenden Kommentarthemen der ausländischen Tagespresse.

Dazu war in der BASLER ZEITUNG zu lesen:

"Das deutsche Nein zum Waffengang mag ursprünglich durch Wahlkampf-Erwägungen und durch die Not Schröders, sich seiner eigenen SPD und ihrer Tradition wieder anzunähern, so schrill ausgefallen sein. Jetzt aber hat dieses Nein durch die Volkswahl ein starkes Gewicht bekommen. Es demonstriert neues Bewusstsein: Wir sind Verbündete mit dem Recht auf Mitsprache und Widerspruch. Diese Neuigkeit erklärt die anhaltend harschen Reaktionen in den USA. Deren Administration fürchtet zu Recht, dass das deutsche Beispiel Schule machen könnte. Tony Blair, der treueste US-Gefolgsmann, erlebt ein Popularitätstief; Silvio Berlusconi, der zweittreueste, weiß, dass in seinem Land eine Mehrheit, angeführt von Papst und Bischöfen, gegen den Präventivkrieg ist. Der Wille, den Krieg partout zu vermeiden, ist alles andere als ein 'deutscher Sonderweg'."

Ähnlich sah es der in London erscheinende linksliberale GUARDIAN:

"Mit Schröders Wiederwahl wird die deutsche Frage im positiven Sinne und im europäischen Rahmen aufgeworfen. Mit seinem Widerstand gegen das imperialistische Abenteurertum der USA ist eine starke deutsche Identität hervorgetreten - eine Identität des Friedens und nicht des Krieges. Schröder ist auch zum Sprecher einer gemeinsamen europäischen Ordnung geworden, die von der Achse Blair-Bush bedroht ist. Die deutsche Frage aus vergangenen Zeiten ist durch die amerikanische Frage ersetzt worden. Premierminister Blair sucht Führungskraft jenseits des Atlantik, der Rest von uns richtet den Blick über den Rhein hinaus."

Die liberale österreichische Zeitung DER STANDARD kommentierte das Verhalten Washingtons so:

"Die Reaktion der USA zeigt, dass Washingtons neue Doktrin des aggressiven Unilateralismus für Freunde genauso gilt wie für Feinde. Hier soll ein aufmüpfiger Verbündeter durch öffentliche Demütigung in die Schranken gewiesen werden und für die anderen europäischen Staaten ein Exempel statuiert werden, dass man Amerika nicht kritisieren darf. Doch diese Taktik wird nicht aufgehen. Mit Ausnahme der Briten ist Berlin den anderen EU-Partnern näher als Washington. Wenn die USA Schröders Friedensangebote ignorieren, schwächen sie das Bündnis und zimmern genau an jener antiamerikanischen Front, die sie eigentlich verhindern wollen."

Die unabhängige französische Tageszeitung LE MONDE meinte:

"Paris hat eine schwierigere und ehrgeizigere Haltung eingenommen als Deutschland: Es hat nicht von vorneherein ausgeschlossen, sich einer Intervention gegen Irak anzuschließen, wenn sie von der Uno entschieden würde. Es ging darum, die kriegerischen Auswüchse einzudämmen und zu versuchen, die USA auf die Schienen der internationalen Legalität zurückzubringen. So gesehen hat Berlin zweifellos bisher als mächtige Verstärkung Frankreichs gedient: Die radikale Missbilligung durch einen der wichtigsten - und folgsamsten - Alliierten, der viel weniger als Paris des Anti-Amerikanismus verdächtig ist, kam nicht ungelegen, um die amerikanische Kriegsbegeisterung zu zügeln und George W. Bush anzuregen, zumindest zunächst einmal über die Tribüne der Vereinten Nationen zu gehen. Joschka Fischer und Gerhard Schröder haben in den vergangenen Wochen Sorgen zum Ausdruck gebracht, die die Sorgen sehr vieler Europäer sind: empfindlicher als Amerikas öffentliche Meinung für die zusätzlichen Leiden, die eine Intervention in Irak für die Zivilbevölkerung brächte, empfänglicher gegenüber der Verständnislosigkeit und Frustrationen in der arabischen und moslemischen Welt - und schließlich auch anspruchsvoller in ihren Fragen nach dem Warum, dem Wie und der Zeit nach einem Krieg in Irak. Es ist nicht ungehörig für Europa, wenn dieses Glockengeläut von offiziellen Stimmen getragen wird, die für weit viel breitere Schichten stehen als nur die deutschen Pazifisten."

Das Pariser Nachrichtenmagazin L'EXPRESS stellte fest:

"(Die Deutschen) haben am Sonntag weder für die Linke noch gegen die Rechte gestimmt. Sondern gegen Amerika, gegen den Willen von George Bush, für die Welt zu entscheiden und Saddam Hussein mit Gewalt zu stürzen. Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben nicht nur auf dem Pazifismus der Deutschen geritten, sondern auch ihr Verlangen zum Ausdruck gebracht, auf's Neue zu existieren, mit dem nationalen Willen, sich auf der internationalen Bühne Gehör zu verschaffen. Und für sich selbst zu entscheiden, nachdem sie der Nazismus zu mehr als einem halben Jahrhundert diplomatischen Vasallentums verdammt hat."

In der linksliberalen dänischen Tageszeitung INFORMATION hieß es:

"Innenpolitische Absichten haben deutlich die deutsche (Irak-) Politik diktiert. (...) Aber außenpolitische Entscheidungen aus innenpolitischen Motiven hat US-Präsident Bush wohl wie kein anderer vorgemacht. Das gefährlichste Beispiel ist die Folgsamkeit seiner Regierung gegenüber Sharons Terror gegen die Palästinenser."

Die Schweizer NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisierte:

"Jetzt, da sich der beißende Wahlkampf-Rauch verzogen hat, wird das ganze Ausmaß des Flurschadens sichtbar werden, den Schröder mit seinem Irak-Abenteuer angerichtet hat. Viele in (Bundeskanzler Schröders) Lager - und zu Recht auch andere - hatten sich über den Tabubruch des FDP-Politikers Möllemann weidlich empört, als dieser seine Antisemitismus-Debatte lostrat. Was anderes als ein Tabubruch aber ist die gravierende und bewusst herbeigeführte Störung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses zu Gunsten von ein paar billigen Stimmen im Endspurt der SPD-Kampagne? (...) Man darf jetzt gespannt darauf sein, wie Schröder versuchen wird, die Sache gerade zu biegen und sich den Amerikanern wieder anzudienen. Mit dem Abgang der unglücklichen Ministerin (Herta) Däubler-Gmelin, deren antiamerikanische Ausfälle eine logische Konsequenz von Schröders Vorstoß darstellen, ist es nicht getan."

Gelassener sah es die Kommentatorin der NEW YORK TIMES.

"No more Bratwurst" überschrieb sie ihren Leitartikel, in dem sie der eigenen Regierung vorwarf, sich wie "beleidigte Cheerleader" zu verhalten und "pubertäre Foltermethoden" anzuwenden, die vermutlich darin gipfeln könnten, deutsche Bratwurst vom Speiseplan des Weißen Hauses zu verbannen. Weiter hieß es:

"... die Bush-Falken scheinen die Lehren der Geschichte vergessen zu haben. Wollen wir wirklich die Deutschen dafür bestrafen, dass sie Pazifisten sind? Wenn diese Typen erst einmal in die andere Richtung fahren, werden sie nicht mehr wissen, wo die Bremsen sind."