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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel21. Dezember 2002

Zuwanderungsgesetz gescheitert / Kanzler im Meinungstief

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Die Presse des Auslands und vor allem die der deutschsprachigen Nachbarländer beschäftigte sich in der vergangenen Woche hauptsächlich mit dem Scheitern des Zuwanderungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die Schweizer Zeitung DER BUND aus Bern meinte:

"Der Karlsruher Entscheid macht deutlich, dass ein in Einzelheiten umstrittenes, doch gleichzeitig wichtiges Gesetz durch eine politische Mehrheit zustande kommen muss und nicht durch rechtswidrige Verfahrenstricks. Auch Innenminister Otto Schilys Ankündigung, das Gesetz nochmals unverändert vor das Parlament zu bringen und danach in der Vermittlungskommission beider Kammern einen Kompromiss zu suchen, ist vernünftig. Doch auch die Opposition ist nun genötigt, nicht nur zu kritisieren, sondern inhaltliche Kompromisse einzugehen. Ob das fast seit Jahrzehnten diskutierte Einwanderungsgesetz ein Jahr früher oder später in Kraft treten kann, spielt letztlich keine Rolle mehr. Bei nüchterner Betrachtung kann man feststellen: Das Verfassungsgericht ist seiner Aufgabe nachgekommen, der Ball liegt wieder bei der Politik, wo er auch hingehört."

Die BASLER ZEITUNG kommentierte:

"Die rot-grüne Regierung ging beim Zuwanderungsgesetz mit der Brechstange zu Werke - jetzt steht sie vor dem Scherbenhaufen. Die Pleite war absehbar. (...) Weil die SPD ihre Unterlegenheit in der Länderkammer, dem Bundesrat, nicht einsehen wollte, nahm das Debakel seinen Lauf. Nun wollen, ja müssen Schily und die rot-grüne Regierung einen neuen Anlauf nehmen, weil sie das glitschige Dossier ja nicht einfach liegen lassen können. Nur: Für die Regierung wird jetzt alles noch schwieriger. Die Union hat nach dem Wahlsieg in Sachsen-Anhalt ihre Machtposition im Bundesrat ausgebaut. Erhält sie ihre Machtposition über die nächsten Landtagswahlen hinaus, so wird die Union die Ansprüche noch höher schrauben und einen Kompromiss weiter erschweren. Wie aus den (...) Scherben wieder ein Gesetz werden soll, ist rätselhaft."

"Eine Pechsträhne ohne Ende" titelte der Kommentator der SALZBURGER NACHRICHTEN und schrieb:

"... dieses "Zurück an den Start" (wirkt) doppelt bitter für die ohnehin schwächelnde Regierung: Zum einen wurde Rot-Grün zurechtgewiesen, weil es damals bei der Abstimmung im Bundesrat nicht korrekt zugegangen ist. Was die Opposition, der es seit dem knappen Verlust am Wahltag immer besser geht, frohgemut in weihnachtliche Jubelchöre einstimmen lässt. Zum anderen muss nun die leidige Sache mit der Zuwanderung wieder neu aufgerollt werden. Zwei Monate vor zwei Landtagswahlen kann es ab sofort unerfreulich werden. Nicht nur für die beteiligten Politiker, sondern auch für die Betroffenen. Diskussionen auf dem Rücken der besonders Schwachen in der deutschen Gesellschaft zeichnen sich ab. Ein kluges Ausländergesetz, das möglichst vernünftig und gerecht angelegt ist, ist nur bei außerordentlicher Besonnenheit zu erhoffen. Die Regierung ist in keiner beneidenswerten Situation: Zögert sie die Behandlung ihres Gesetzesentwurfs bis nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen hinaus, ist die Union dann vermutlich in einer noch stärkeren Position als bisher und wird einem Zuwanderungsgesetz ihren Stempel aufprägen wollen. Soll es aber so schnell wie möglich gehen, drohen Wahlkämpfe mit Ausländerthema."

Die österreichische Tageszeitung DER STANDARD stellte fest:

"Mit der Zurückweisung des Zuwanderungsgesetzes haben die deutschen Höchstrichter ein Prestigeprojekt von SPD und Grünen vorerst gestoppt. Die Koalition hat zu Recht einen Denkzettel aus Karlsruhe verpasst bekommen, weil sie das Gesetz auf Biegen und Brechen durchbringen wollte und dafür das Recht nach ihrem Gutdünken beugte. Jetzt ist von Regierung und Opposition gleichermaßen Verantwortung gefordert. (...) Die in den vergangenen Tagen erreichte Einigung zwischen Regierung und Opposition über die Arbeitsmarktkonzepte und die Zinsertragssteuer zeigt jedoch eines deutlich: Es nützt allen, wenn die Berliner Blockade aufgelöst und Reformen in Deutschland endlich angepackt werden."

Unter der Überschrift "Deutschland treibt dahin" kommentierte die NEW YORK TIMES das Erscheinungsbild des Bundeskanzlers:

"Weniger als drei Monate nach seiner Wiederwahl (...) scheint Gerhard Schröder vom rechten Weg abgekommen zu sein. Eigentlich sollte er sich bemühen, Deutschlands stagnierende Wirtschaft zu reformieren, die Bundeswehr zu modernisieren und das Problem der verschwenderischen EU-Agrarsubventionen in Angriff zu nehmen. Stattdessen hat er laviert und gezögert. Dass Schröder während des Wahlkampfs die nach der Wahl verkündeten Steuererhöhungen verschwieg, ließ seine Beliebtheitswerte sinken und führte zum Durcheinander in seiner Partei. Der Kanzler muss seine Balance wiederfinden und zum Nutzen der Europäischen Union eine konstruktive Führungsrolle übernehmen. Das erwarten die USA von einem ihrer wichtigsten europäischen Verbündeten."

Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA ging auf die Regierungserklärung Gerhard Schröders zur EU-Erweiterung und seinen anschließenden Kurzbesuch in Warschau ein:

"Der Kanzler hat in Kopenhagen mit seinem Handeln und (...) im Bundestag mit seinen Worten bestätigt, dass Polen im Westen einen guten und vertrauenswürdigen Nachbarn hat. Oft haben wir uns gefragt, wie wir eigentlich den 1991 (im Nachbarschaftsvertrag) festgeschriebenen partnerschaftlichen Charakter der deutsch- polnischen Beziehungen verstehen sollen, so lange uns eine Kluft trennt nicht nur mit Blick auf die Rolle und Bedeutung Deutschlands in Westeuropa, sondern vor allem angesichts der wirtschaftlichen Asymmetrie. Langsam haben wir gelernt, dass Partnerschaft nicht 'immer gleich und genau so' bedeutet, sondern vor allem, sich in den gegenseitigen Beziehungen sensibel und nach den besten Möglichkeiten beider Seiten zu behandeln."