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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel17. Januar 2003

Deutsch-französische EU-Initiative / Deutsch-französische Irak-Politik

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Auf große Resonanz stieß in dieser Woche das Treffen zwischen dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Paris.

Während die europäische Tagespresse ausführlich das Für und Wider des von beiden vorgelegten Plans für eine neue Führungsstruktur der Europäischen Union beleuchtete, kommentierte die INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE auf ihrer Titelseite die Äußerungen Chiracs und Schröders zum Irak-Konflikt:

"Jacques Chiracs Erklärung, die Haltung Frankreichs und Deutschlands zum Irak-Konflikt sei identisch und von gleicher Natur, ist eine dehnbare und schwer zu glaubende Beschreibung einer angeblich beiderseits des Rheins herrschenden Eintracht. (...) Nähere Erläuterungen zu ihrer "neuen identischen Sicht" lieferten Frankreich und Deutschland nicht. So erscheint diese Formulierung ziemlich nichtssagend angesichts des Widerspruchs, der einerseits in der deutschen Weigerung besteht, sich an einem Krieg gegen den Irak zu beteiligen, und andererseits in der Tatsache, dass Chirac am 7. Januar die französischen Streitkräfte zu erhöhter Einsatzbereitschaft aufrief."

Das größere Presseecho rief die deutsch-französische Initiative für eine doppelte EU-Präsidentschaft hervor, die von der spanischen Zeitung EL PAIS eindeutig begrüßt wurde:

"Der deutsch-französische Vorstoß ist genau das, was das neue Europa brauchte. Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder taten einen entscheidenden Schritt nach vorn. Deutschland und Frankreich überwanden in einer entscheidenden Phase ihre Differenzen und machten gegenseitig Zugeständnisse. Mit einer doppelten Präsidentschaft bliebe das institutionelle Gleichgewicht in der EU gewahrt. Der Vorschlag ist nicht genau das, was der deutschen Außenminister Joschka Fischer sich vorgestellt hatte. Auch den kleineren EU-Staaten gefällt die Idee nicht. Sie würde aber mehr Kontinuität im Rat der EU bedeuten, weil der Präsident nicht zwei Mal im Jahr wechseln würde."

Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA stellte fest:

"Ein solches Europa der Zukunft in der deutsch-französischen Version ist in der Lage, Entscheidungen in seinen Beziehungen mit der Welt zu treffen, auch wenn ein gemeinsamer Standpunkt vorläufig noch viel Zeit und Anstrengungen erfordert."

Überwiegend positiv urteilte auch die dänische Tageszeitung JYLLANDS-POSTEN:

"Deutschland und Frankreich haben einander Recht gegeben. Die Deutschen wollen wie viele kleinere EU-Länder eine stärkere Kommission, aber nur sehr ungern einen starken Präsidenten für den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Frankreich sieht das zusammen mit Großbritannien und Spanien genau umgekehrt. Der Kompromiss besteht nun darin, dass die EU beides bekommen soll. Eine EU mit zwei Köpfen als Lösung ist vielleicht gar nicht mal so dumm. Die EU hat Bedarf an mehr Effizienz und Entscheidungsfähigkeit auch da, wo die Mitgliedsländer nicht mehr viele nationale Kompetenzen an supranationale Organe abgeben wollen. Dafür könnte ein EU-Präsident stehen, der länger als jeweils ein halbes Jahr amtiert. Aber die EU benötigt auch eine Kommission, die stark genug ist, um die Kooperation und Gesetzgebung auf allen Gebieten voranzutreiben, auf denen sich die Mitgliedsländer für eine gemeinsame Ausübung ihrer Souveränität entschieden haben. Das könnte ein vom Parlament gewählter Kommissionschef sichern."

Die liberale schwedische Tageszeitung DAGENS NYHETER kam zu folgendem Schluss:

"Das strebsame alte Paar Frankreich und Deutschland hat mit seinem Vorschlag wahrscheinlich das Richtige getroffen. Er wiegt auf jeden Fall in der derzeit entscheidenden Phase der Arbeit im (europäischen) Zukunft-Konvent schwer."

Das sah die britische FINANCIAL TIMES nicht anders und erläuterte:

"Es war nur eine Frage der Zeit, wann Frankreich und Deutschland ihr Gewicht spüren lassen würden. Diese Zeit ist jetzt mit dem Kompromiss über wichtige Elemente der zukünftigen Organe der EU gekommen. Deutschland hat seine Bedenken gegen eine Doppelpräsidentschaft aufgegeben. Frankreich hat den deutschen Wünschen nachgegeben, den EU-Kommissionspräsidenten vom Europaparlament wählen zu lassen. Damit wird die demokratische Legitimität und die Wirksamkeit der Kommission erhöht. Die deutsch-französische Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt. Mit ihm wird die wachsende Bedeutung des Konvents für die Zukunft der Union unterstrichen."

Die französische Tageszeitung LE MONDE meinte, das weitere Vorgehen verlange von Frankreich und Deutschland viel Taktgefühl, denn:

"... die Partnerländer betrachten die deutsch-französische Zusammenarbeit mit gemischten Gefühlen. Sie erkennen, dass ohne Einigung zwischen Paris und Berlin Europa stagniert oder Rückschritte erleidet - auf der anderen Seite kritisieren sie im Fall einer Einigung zwischen beiden Ländern ein 'Direktorium', das sie vor vollendete Tatsachen stellt. Frankreich und Deutschland müssen Takt beweisen, wenn sie ihre Vorschläge vorbringen und vor allem unterstreichen, dass ihr Duo im Interesse von ganz Europa ist."

Skeptisch wurde die Initiative von der Pariser Tageszeitung LE FIGARO beurteilt:

"Die Frage stellt sich, ob ein solches zweigeteiltes System funktionsfähig ist. Beide Machtpositionen könnten sich sehr wohl gegenseitig lähmen, so wie es bei der Kohabitation zwischen einem Regierungschef und einem Präsidenten aus unterschiedlichen politischen Lagern in Frankreich der Fall war. Es ist bekannt, der Teufel steckt im Detail."

Auch die Schweizer NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gab zu bedenken:

"Dass der künftig vom Europäischen Rat bestimmte Präsident eher die Rolle eines zeremoniellen Staatsoberhauptes wahrzunehmen hätte, während dem vom Parlament gewählten Kommissionspräsidenten die Funktion eines Regierungschefs zukäme, bleibt vorderhand reine Spekulation. (...) Vor allem aber birgt die Tatsache, dass Chirac und Schröder zwar jeder dem anderen einen Schritt entgegengekommen ist, ohne dabei allerdings auf seine konträren Vorstellungen zu verzichten, noch einigen Konfliktstoff. Denn was zwischen Paris und Berlin wegen unvereinbarer Positionen einfach in der Schwebe gelassen wird, dürfte in eine geradezu programmierte Rivalität zwischen den beiden künftigen Präsidenten der EU ausarten."

Die Zeitung LUXEMBURGER WORT kritisierte:

"Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die scheinbar elegante Verbindung unterschiedlicher Integrationsmodelle als schiefe Konstruktion. Sie übertüncht nur mühsam unterschiedliche europa-politische Ansätze, ohne sie zu überwinden. Denn der Zugewinn an demokratischer Legitimität für die EU-Kommission wäre mit dem Machtzuwachs für den Rat (...) teuer erkauft. (...) Unklar bleibt auch, wie die Macht innerhalb dieses Direktoriums verteilt sein soll. (...) Ein Gerangel zwischen Präsident, Kommissionspräsident und Außenminister mit entsprechenden Dysfunktionen und Reibungsverlusten stünde ins Haus. Dem Vorschlag fehlt die Kraft (oder der Wille) zur radikalen Vereinfachung, um den durch viele Gipfel-Kompromisse entstandenen rechtlichen und institutionellen Wildwuchs zu lichten."

Auf völlige Ablehnung stieß der deutsch-französische Plan bei der niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT:

"Die Initiative repräsentiert das Schlechteste, was Europa zu bieten hat. Es werden ohnehin keine Knoten durchgeschlagen. Das hat in der Vergangenheit schon eine unübersichtliche, labyrintische Führungsstruktur entstehen lassen. Jetzt darf gefragt werden, ob dem Irrgarten nicht ein weiterer Pfad hinzugefügt wird. (...) Vor allem die großen Länder sind für eine Stärkung des Europäischen Rats. Viele kleinere sehen in der Kommission einen unparteiischen Puffer gegenüber den großen Ländern. Deutschland nahm eine Sonderposition ein: Es unterstützte die kleinen. Bundeskanzler Schröder ist aber nicht der Zuverlässigste. Er gab dem Druck Chiracs nach, der einen eigenen Präsidenten für den Rat will (...) Europa ist groß und komplex. Man muss aber fürchten, dass es zu klein ist für zwei Präsidenten."

Die BASLER ZEITUNG befürchtete Nachteile für die kleineren EU-Länder:

"Wenn Deutschlands Außenminister Fischer flötet, der Kommissionspräsident erhalte durch das EU-Parlament eine neue demokratische Legitimation, wirkt das wie eine billige Abfindung der Basisdemokraten. Solange die Kompetenzen des neuen EU-Präsidenten nicht feststehen, lässt sich schwer abschätzen, ob die kleinen EU-Staaten einen Schaden davontragen. Viel schwerer wiegt, dass in der laufenden Reformdebatte weiterhin offen ist, welches Gegengewicht die Rechte der (Klein-)Staaten sichert, wenn in den exekutiven EU-Gremien immer öfter Mehrheitsentscheide greifen."

Dem hielt das österreichische Massenblatt KURIER entgegen:

"... allen ist klar, dass eine demnächst aus 25 Familienmitgliedern bestehende EU mit ihrem jetzigen Aufbau ein Selbstblockierer-Verein würde. Dass große Staaten mehr Gewicht haben, ist beinahe ein physikalisches Gesetz. Würden die Kleinen das Lobbying lernen, könnten sie ein internes Gegengewicht schaffen. Und die EU könnte ein Gegengewicht zur Supermacht jenseits des Teiches werden."

Die österreichische Tageszeitung DIE PRESSE sah es so:

"Vordergründig geht es um ein tatsächliches Manko der Union: Das vielschichtige staatsähnliche Gebilde hat keine Persönlichkeit, mit der sich die Bevölkerung identifizieren könnte. Hintergründig geht es wohl um etwas anders: um pure Macht. Die großen Mitgliedstaaten - allen voran Frankreich - fürchten um ihren Einfluss, der sich durch die Erweiterung und eine stärkere demokratische Legitimation in der neuen EU-Verfassung reduzieren könnte. (...) Das Fatale am französischen Vorstoß ist nicht die Gefahr eines allmächtigen Führers. Es ist das Denken hinter diesem Wunsch - die Vorstellung einer Integration, die nicht mehr durch die Abwägung einer Vielfalt von politischen und nationalen Interessen gespeist wird, sondern durch ein Direktorium in Brüssel."