1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel8. Februar 2003

US-Außenminister vor Weltsicherheitsrat / Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen

https://p.dw.com/p/3FXs

Die europäische Tagespresse beschäftigten in der vergangenen Woche vor allem zwei Ereignisse: der Ausgang der Wahlen in den deutschen Bundesländern Niedersachsen und Hessen und die Irak-Rede von US-Außenminister Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Die französische Tageszeitung LE MONDE machte die Skepsis deutlich, mit der die meisten Kommentatoren auf Powells Auftritt reagierten:

"Man hatte den 'Tag der Beweise' erwartet; herausgekommen ist der 'Tag der wiederholten Verdächtigungen'. Powell hat auf der Grundlage ausgewählter Argumente - Waffen und die Verbindungen zu El Kaida - lediglich Möglichkeiten erwähnt und keine Tatsachen präsentiert. Kann man einen Krieg auf der Grundlage von Verdächtigungen beginnen? Auf diese Frage antwortet eine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat mit Nein. Die gleiche Mehrheit meint, dass man stattdessen den UN-Inspekteuren mehr Zeit für ihre Waffenkontrollen lassen sollte."

In der BERNER ZEITUNG aus der Schweiz hieß es:

"Entweder ihr seid mit uns, oder ihr seid bedeutungslos - das ist der Kern der Botschaft des US-Außenministers an die andern 14 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Die USA, das lässt sich aus Powells Rede herauslesen, werden den Krieg gegen den Irak ohnehin entfesseln. Wer dann mit im Boot ist, wird belohnt (das haben NATO-Neulinge und Kandidaten in Osteuropa rasch erkannt und sich als Amerikafreunde geoutet), wer draußen bleibt, wird die Konsequenzen tragen müssen. Powells Dokumente waren, verglichen mit dieser unterschwellig verbreiteten Botschaft, von geringer Bedeutung. (...) Sein Auftritt im Sicherheitsrat war nicht mehr als ein Zwischenspiel in diesem vom US-Präsidenten inszenierten Welttheater."

Die Moskauer Tageszeitung KOMMERSANT kritisierte:

"Die Normen des menschlichen Zusammenlebens gebieten, dass selbst ein überführter Verbrecher das Recht auf einen Verteidiger hat, auf ein öffentliches Verfahren, auf mildernde Umstände, unvoreingenommene Geschworene. Das wichtigste ist das öffentliche Verfahren. Weiß irgendjemand genau, wessen der Irak schuldig ist? In welchem Paragrafen steht das? Welche Strafe ist dafür vorgesehen? Zur Zeit sieht es danach aus, dass die Vereinigten Staaten das internationale Recht laufend umschreiben, um aus dem Irak einen Verbrecher zu machen."

Das italienische Blatt LA STAMPA aus Turin sah es so:

"Die Rede Powells war noch nicht zu Ende, da stimmte die Hymne der unerschütterlichen Skeptiker in der Welt an, der Chor des 'Das-Überzeugt-mich-nicht', das Gemurmel des 'Das-ist-nichts-Neues', dieser Kehrreim, der vorschriftsmäßig von einem gelangweilten Schulterzucken begleitet wird. Aber diese Demonstration der Ungläubigkeit wäre ebenso grell ausgefallen, wenn Powell die Kopie einer Satellitenaufnahme vorgelegt hätte, die Saddam Hussein ganz eindeutig mit der Verantwortung zur Produktion von Massenvernichtungswaffen in Verbindung gebracht hätte. Sie hatten den 'rauchenden Colt' verlangt, und selbst, wenn Powell diesen vor die Kameras gebracht hätte, hätten sie behauptet, er 'rauche' in Wirklichkeit gar nicht (...)."

Meistkommentiertes deutsches Ereignis waren die Wahlen in Niedersachsen und Hessen. Dazu das dänische Blatt POLITIKEN:

"Die Niederlage für den sozialdemokratischen Bundeskanzler hätte schlimmer nicht sein können. Auf Gerhard Schröders Wange wird man noch monatelang den Abdruck der Ohrfeige sehen können, die ihm die Wähler verpasst haben. (...) Die Ursachen sind klar. Schröder wurde für den rotgrünen Schlingerkurs und die gebrochenen Wahlversprechen nach dem knappen Wahlsieg am 22. September bestraft. Statt Steuererleichterungen bekommen die Deutschen Steuererhöhungen. Statt mehr Wirtschaftswachstum gibt es ein Minus."

Die britische TIMES fällte ein vernichtendes Urteil:

"Die vernichtende Niederlage der Sozialdemokraten bei zwei wichtigen regionalen Wahlen, Niedersachsen und Hessen, bedeutet eine erniedrigende Ablehnung eines Bundeskanzlers, der vom Weg abgekommen zu sein scheint und nun auf dem Pfad in Richtung Desaster schlafwandelt. (...) Die Öffentlichkeit erlebt einen Kanzler, der mehr damit beschäftigt ist, Berichte über sein Haar oder seine Ehe vor Gericht anzufechten, als der Realität ins Auge zu sehen. Die SPD sollte seinen Rücktritt fordern. Keine politische Schönfärberei kann das Fehlen von Führungsstärke in der größten Wirtschaft der EU verbergen."

Die römische Zeitung LA REPUBBLICA stellte fest:

"Der Pazifismus hat nicht genügt. Das harte Nein zu einem Irakkrieg hat den Kanzler Schröder und seine rotgrüne Regierung nicht vor einem kleinem Stalingrad gerettet, das zu einer historischen Doppelniederlage bei den Landtagswahlen geworden ist. Für Schröder, der auf internationaler Ebene immer stärker isoliert ist und zudem einem wirtschaftspolitischen Bankrott und dem Ausnahmezustand bei der Arbeitslosigkeit gegenüber steht, wird von nun an alles noch schwieriger."

Ähnlich urteilte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:

"Schröder und mit ihm seine bedauernswerten SPD-Statthalter in der Provinz büßen nun für das Chaos in ihrer Steuer- und Wirtschaftspolitik, für die Arbeitslosen, die Budgetschummeleien, die Rentenprobleme und die Wirren in der Gesundheitspolitik. Und man muss es sagen: Auch der Befreiungsschlag mit der Kriegsangst hat bei den Wählenden nicht verfangen. Die Leute in Niederschlochtern oder Oberquembach haben der SPD diese billige Masche nicht abgenommen. Das spricht für sie."

Die spanische Tageszeitung EL PAÍS kommentierte:

"Niemand zweifelt daran, dass CDU und CSU heutzutage nur dort Erfolge feiern können, wo die Sozialdemokraten sie ihnen schenken. Und dies tut die SPD mit Begeisterung, wie man in den vergangenen Monaten sehen konnte. Das Wahlergebnis ist eine klare Erniedrigung für die Sozialdemokraten in zwei Bundesländern, in denen der Kampf für Gleichberechtigung und soziale Errungenschaften mehr als ein Jahrhundert alt ist. Es ist aber auch eine letzte Warnung an das rotgrüne Tandem, nicht länger die unerlässlichen Reformen für ein Land zu verschleppen, dessen Wirtschaft stagniert und wo es viereinhalb Millionen Arbeitslose gibt. (...) Deutschland ist heute wegen seiner Unschlüssigkeit und Verzagtheit in sich wandelnden Zeiten das große kranke Land der EU. Vielleicht überzeugen so eindeutige Wahlergebnisse die Regierung davon, dass die Zukunft mehr Courage braucht."

Die Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES aus London meinte:

"Schröder hat nun die Wahl: Er kann entweder auf die Sirenengesänge seiner Parteilinken hören und als der Mann in die Geschichte eingehen, der seine Partei zusammenhielt, aber Deutschland ruinierte. Oder er kann mithelfen, Deutschland zu retten, und dabei den Ruin der SPD riskieren."

Zum Problem der Mehrheit von CDU/CSU im Bundesrat bemerkte der niederländische TELEGRAAF:

"Die CDU hat zugesagt, im Bundesrat keine Blockadepolitik zu betreiben, sondern konstruktiv mit dem zweiten Kabinett Schröder zusammenzuarbeiten, 'sofern es um vernünftige Politik geht'. Das bedeutet eigentlich nur eins: Schröder muss die politischen Wünsche und Forderungen der CDU gehörig berücksichtigen. Superminister Wolfgang Clement (SPD) aus dem Arbeits- und Sozialressort muss vor jeder Präsentation von Plänen erst bei Friedrich Merz, dem Fraktionsspezialisten der CDU, zur Beichte gehen. Die 'unsichtbare' große Koalition ist ein aufgezwungenes Riesenbündnis, das eine schlechte Grundlage bildet für ein entschlossenes Anpacken der enormen Probleme in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht."

Dazu noch einmal LE MONDE aus Paris:

"Wegen der schlechten Wirtschaftslage und nicht eingehaltener Versprechen hat Schröder das Vertrauen der Deutschen verloren. Er wird jetzt mit allen Mitteln manövrieren müssen, um seine Projekte umzusetzen. Dies wird ihm hoffentlich gelingen, weil die politische Lähmung Deutschlands gekoppelt mit der Wirtschaftspanne dem übrigen Europa und Frankreich schweren Schaden zufügen könnte. Diese schwierige Politik des Kompromisses ist die letzte Chance für Schröder. Der Kanzler hängt vom guten Willen der Rechten und der Linken ab. Er muss verhandeln, denn Deutschland muss aus der Lähmung herauskommen."

Die dänische Zeitung INFORMATION aus Kopenhagen gab zu bedenken:

"Was die Wähler eigentlich von der konservativen CDU erwarten, erscheint unklar. Die deutschen Probleme sind ja nicht erst aufgetaucht, als Schröder 1998 Kanzler wurde. Sie hatten schon lange unter seinem Vorgänger Helmut Kohl von der CDU bestanden, der in seinem 16 Jahren an der Macht auch keine Strukturreformen am Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen und bei den Renten zu Wege brachte."