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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Siegfried Scheithauer1. März 2003

Deutsche Außenpolitik im Irak-Konflikt / Amerikanische Pläne für Nachkriegs-Irak / Neue Rechts-Regierung in Israel / Kriegsverbrecher-Tribunal verurteilt Biljana Plavsic

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Der Widerstand Deutschlands gegen einen Irak-Krieg, gemeinsam mit Frankreich und Russland, beschäftigt weiterhin die Kommentatoren der Weltpresse.

Die Pariser Zeitung LE MONDE resümierte:

"Die Irak-Krise hat zwei Grundprinzipien der deutschen Außenpolitik seit den 50er Jahren erschüttert: die Solidarität mit den USA im Rahmen der Atlantischen Allianz und das Prinzip, nicht zwischen Paris und Washington wählen zu müssen. Ein wichtiger Aspekt ist der Pazifismus. Die heutigen Regierungsmitglieder haben an den Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg teilgenommen. Diese gleichen Führer haben erstmals seit 1945 deutsche Soldaten auf dem Balkan und in Afghanistan eingesetzt. Wichtig ist jedoch für die rot-grüne Regierungskoalition, sich nicht in die Isolation drängen zu lassen. Früher konnte Deutschland nicht zwischen Washington und Paris wählen. Heute kann sie es sich nicht leisten, sich mit beiden zu überwerfen."

Die Moskauer Tageszeitung KOMMERSANT kommentierte nach dem Kurzbesuch von Bundeskanzler Schröder beim russischen Präsidenten Putin:

"In Moskau ist man sich nicht hundertprozentig sicher, dass Frankreich und Deutschland dem starken Druck der Amerikaner in der Irak-Frage standhalten werden. Russland möchte auf keinen Fall im UN-Sicherheitsrat allein dastehen. Dann wäre Moskau in der misslichen Lage, dass jede seiner Entscheidungen eine Niederlage bedeuten würde.Der einzig annehmbare Ausweg aus dieser Lage ist, eine Abstimmung über die amerikanisch-britische Resolution zu verhindern."

Das niederländische Blatt DE VOLKSKRANT mahnt:

"Eine Haltung des 'friss oder stirb' ist nicht vertretbar. Die Franzosen und Deutschen müssen begreifen, dass der Prozess der Abrüstung einen endgültigen Schlusspunkt braucht, auf den man hinarbeiten kann. Die Zukunft der westlichen Zusammenarbeit steht auf dem Spiel. Es geht um die Wahl zwischen Weltordnung und Durcheinander."

Die Londoner TIMES sieht vor allem den französischen Präsidenten Chirac in Zugzwang und gibt zu Bedenken:

"Chirac hat von seinen Vorstellungen einer multi-polaren Welt gesprochen, in der Europa - mit anderen Worten Frankreich - eine gewichtige Rolle spielt. Bisher ist es ihm leicht gefallen, sich in dieser Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Schröder statt mit Präsident Bush und Premier Blair zu verbünden. Doch Mitte März wird die Situation für ihn komplizierter: Dann kommt der entscheidende Moment, entweder eine Invasion des Irak zu unterstützen oder zuzulassen, dass die Militäraktion ohne Einfluss Frankreichs stattfindet."

Auch bei der Debatte über die Zukunft des Irak nach einem möglichen Krieg wird in mehrfacher Weise auf Deutschland angespielt:

"Deutsche Lektionen" titelt der britische GUARDIAN und widerspricht jüngsten Erklärungen des amerikanischen Präsidenten Bush:

"Wenn Amerika seine Feinde besiegt, sagt US-Präsident Bush, hinter lässt es keine Besatzungs-Armeen, sondern Demokratie und Freiheit. 'Es gab eine Zeit', fuhr er fort, 'als viele sagten, die Kulturen Japans und Deutschlands seien unfähig, demokratische Werte aufrecht zuerhalten. Nun, sie hatten Unrecht.' Tatsächlich aber hat B u s h Unrecht. Das japanische Volk erhielt das Wahlrecht 1925, nicht 1945, und das deutsche Wahlrecht datiert zurück auf das Jahr 1849 - als in Bushs Land noch die Sklaverei erlaubt war. Man darf wohl behaupten, dass Deutsche eine mindestens so starke demokratische Tradition haben wie Amerikaner. Abgesehen davon besteht kein Zweifel, wer die jüngste Wahl in Deutschland gewonnen hat, was mehr ist, als über die Vorgänge gesagt werden kann, die Bush ins Amt gebracht haben. Ein bisschen historische Bescheidenheit könnte dem Präsidenten nicht schaden."

Die amerikanische Zeitung BOSTON GLOBE warnte:

"Es wäre gefährlich leicht für die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner, einen Krieg gegen Saddam Hussein zu gewinnen, aber den folgenden Frieden zu verlieren. (...) Untrennbar verbunden mit dem Ziel einer demokratischen, repräsentativen Führung ist die Notwendigkeit einer 'Ent-Baathifizierung', wie es die Iraker nennen. Dies wäre so etwas wie die Ent-Nazifizierung von West-Deutschland nach der Niederlage des Dritten Reichs. Saddam hat die arabisch nationalistische Baath-Partei in sein Instrument zur Beherrschung eines faschistischen Polizeistaats verwandelt, der eng verflochten ist mit seinem Personenkult."

Zahlreiche Meinungsmacher melden sehr polemisch Zweifel an, ob im Irak "Demokratie durch Bomben" erzwungen werden könne.

"Ist Bush naiv oder zynisch?" fragt zum Beispiel die österreichische Zeitung DIE PRESSE:

"Die USA hatten in den vergangenen Dekaden genügend Möglichkeiten, bei ihren arabischen Verbündeten auf mehr Demokratie zu drängen. Doch offenbar war es ihnen letztlich doch nicht ganz so wichtig, welche Rechte die Frauen in Saudi-Arabien haben, solange das Öl in ausreichendem Maße floss. Und auch gegen den autoritären Führungsstil Hosni Mubaraks hatte Washington nicht viel einzuwenden, solange sich Ägypten als gemäßigte Stimme im arabischen Chor der Missmutigen präsentierte. (...) Ja: Der Nahe Osten braucht mehr Demokratie, braucht wirtschaftlichen Aufschwung. Doch warum sollte gerade ein Krieg Vater all dieser Dinge sein? Demokratie (durch Bomben) von oben verordnet: Das kann nicht funktionieren."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz sieht blutige Zeiten in Bagdad auch nach einem möglichen Sturz der Führung:

"Die Schergen und Parteigänger Saddams werden die Wut und die Rachegelüste der Bevölkerung zu spüren bekommen. Viele werden auch die Gelegenheit benützen, offene Rechnungen jeder Art zu begleichen. Politische Gruppen, die bisher im Exil und im Untergrund agierten, werden versuchen, politische Stellungen zu besetzen und ihre Macht zu demonstrieren. Im Norden drohen Spannungen zwischen den Kurden, der turkmenischen Minderheit und türkischen Truppen. Die Waffen, die nach dem Sturz des Regimes außer jeder Kontrolle sind, könnten bei der Austragung dieser Konflikte sehr schnell zur Anwendung kommen."

LIDOVE NOVINY, eine Zeitung aus Prag, stellt einmal gegenüber:

"In Sachen Irak verfolgen die USA und das Terrornetz El Kaida die gleiche Absicht: den Sturz von Saddam Hussein. Während für die Terroristen die geradezu sozialistischen Wurzeln des Bagdader Regimes ein Gräuel sind, fürchtet sich Washington vor Saddams mutmaßlichen Massenvernichtungswaffen. Osama bin Laden kann sich nichts sehnlicher wünschen, als dass die USA den irakischen Machthaber beseitigen - e i n e r von Saddams Nachfolgern wird ihm sicher gewogen sein."

Einige Kommentatoren werfen ein Schlaglicht auf die neue Rechts-Regierung in Israel:

Wir zitieren dazu noch einmal DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden:

"Dass nun auch die Nationale Union, Stütze der jüdischen Siedler, der Regierung beigetreten ist, bedeutet nicht nur Bewahrung des Status quo, sondern auch die reelle Gefahr für eine weitere Verschärfung im Nahostkonflikt. Diese rechtsextreme Partei setzt sich öffentlich für die Vertreibung von Palästinenserführer Arafat und eine Wiederbesetzung der palästinensischen Gebiete ein. Der Friedensprozess ist damit mehr denn je festgefahren."

Auch das Urteil der dänischen Zeitung BERLINGSKE TIDENDE fällt negativ aus:

"Israel hat alles andere als eine Wunschregierung mit Ariel Scharon an der Spitze einer reinen Rechtskoalition bekommen. Ideal wäre es gewesen, wenn eine breite Sammlungsregierung aus Likud und Arbeitspartei die Zügel in die Hand genommen und eine dauerhafte Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern angestrebt hätte. (...) Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass diese enge und aussichtslose Rechtsregierung in Israel nur ein kurzes Leben führen wird."

Durchweg mit Skepsis ist das Urteil des Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag gegen die einstige Präsidentin der bosnischen Serben, Biljana Plavsic, aufgenommen worden.

So meinen die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE aus Frankreich:

"Die elf Jahre Gefängnis wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Biljana Plavsic als frühere Präsidentin der 'Republik Serbien' absitzen soll, wirken lächerlich gering, gemessen an der Elle der Massaker im jugoslawischen Bürgerkrieg. Besonders in Bosnien, wo die schreckliche Bilanz an die 200.000 Todesopfer von 1992 bis 1995 umfassen soll. (...) Aber das Internationale Tribunal in Den Haag entspricht nicht dem Nürnberger Prozess. Es versucht das Weltgewissen zu vertreten, das darum bemüht ist, die Mechanismen des Grauens aufzudecken, damit sie niemals mehr zur Anwendung kommen können (...) Ohne dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt, wird es im ehemaligen Jugoslawien nie zu einer Versöhnung kommen. Und auch nie zu politischer und demokratischer Stabilität".

Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA versucht trotz allem, ein Zeichen der Hoffnung zu senden:

"Wir werden sicher Stimmen hören, dass die Verurteilung von Plavsic Heuchelei sei, wenn gleichzeitig von den Großen der Welt wie China und Russland, die in den höchsten Gremien der UN sitzen, Verbrechen begangen werden, die nicht nur juristisch ungesühnt bleiben, sondern noch nicht einmal von der internationalen öffentlichen Meinung verurteilt werden. Das ist wahr, doch n i e bleiben alle Schuldigen ohne Urteil (...) Es bedeutet nicht, dass sich die Bedingungen nicht ändern können und die bislang Straflosen zu ihrer Überraschung zur Verantwortung für ihre Taten gezogen werden."