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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel5. April 2003

US-Aussenminister Powell in Brüssel / Bundeskanzler Schröder im Bundestag

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Die europäische Tagespresse beschäftigte sich in dieser Woche neben dem Kriegsgeschehen im Irak auch mit den jüngsten politischen Bemühungen, die transatlantischen Spannungen und die Zerstrittenheit der Europäer in der Außen- und Verteidigungspolitik zu überwinden.

Der Schweizer TAGES-ANZEIGER sah im Brüssel-Besuch von US-Außenminister Colin Powell die Chance, den in Folge des Irak-Kriegs abgebrochenen transatlantischen Dialog wieder aufzunehmen, Zitat:

"Zwar dürfte die Verlockung bei einzelnen Regierungen groß sein, noch einige Zeit zu schmollen. Nach dem aggressiven und rücksichtslosen Vorgehen Washingtons wäre diese Haltung verständlich. Doch die Europäer sollten der Versuchung nicht erliegen. Auch ist die Rolle, die Washington den internationalen Organisationen im Nachkriegs-Irak zugedacht hat, in keiner Weise schmeichelhaft. Ein Karikaturist hat die Situation treffend dargestellt, als er Präsident George W. Bush auf einem Panzer in den Irak einfahren ließ und dahinter zwei Putz- und Aufräumkolonnen zeichnete, auf deren Fahrzeugen groß die Schriftzeichen 'Uno', 'EU' und 'Nato' prangten. Aber die Europäer werden kaum etwas an dieser ihnen zugedachten Rolle ändern können, wenn sie den von Powell ausgelegten diplomatischen Faden nicht aufnehmen. Die EU- und Nato-Länder müssen vielmehr die Lehren aus dem Scheitern der Diplomatie im Vorfeld des Irak-Kriegs ziehen."

Ähnlich sah das auch das spanische Blatt EL PERIÓDICO DE CATALUNYA aus Barcelona, das aber gleichzeitig auch auf die jüngsten Differenzen zwischen Amerikanern und Briten hinwies:

"Der Besuch von US-Außenminister Colin Powell in Brüssel ist der erste Schritt zur Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den USA und Europa. Die Geschichte lehrt, dass keine Allianz einen Sieg überdauert. Nach dem Irak-Krieg wird nicht nur Washington als Supermacht eine Schlüsselrolle spielen, sondern auch Tony Blair. Zwischen dem britischem Premierminister und dem US-Präsidenten George W. Bush bestehen deutliche Differenzen. Bush betrachtet den Irak-Krieg als die einseitige Ausübung militärischer Übermacht. Für Blair ist der Konflikt dagegen eine Angelegenheit der internationalen Gemeinschaft. Ob sich London damit durchsetzt und ob die Vereinten Nationen beim Wiederaufbau im Irak eine Rolle spielen, hängt maßgeblich von der Einigkeit unter den europäischen Regierungen ab."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT stellte fest:

"US-Außenminister Colin Powell tut sein Bestes. Er hofft sogar, dass die NATO eine Friedenstruppe für den Nachkriegs-Irak stellt. Aber er befindet sich zwischen zwei Feuern: Europa, unter Führung von Blair, will eine wichtige Rolle für die UN, doch die Neo-Konservativen im Pentagon wollen das nicht. Da zeichnet sich wieder ein zähes diplomatisches Gefecht ab. Doch wenn jeder das Megaphon daheim lässt und diesmal 'stille Diplomatie' wählt, müsste eine praktikable Formulierung gefunden werden."

Das niederländische ALGEMEEN DAGBLAD befürchtete allerdings:

"Wenn die Briten ihre Haltung beibehalten und die UN wirklich rehabilitieren wollen, entsteht eine neue Situation. Dennoch ist die Möglichkeit groß, dass sich Washington nicht darum kümmert. In diesem Fall wäre der Bruch zwischen den USA und Europa praktisch nicht mehr gut zu machen. Die NATO würde nach 50 Jahren ihre Bedeutung als Bündnis größtenteils verlieren."

Pessimistisch beurteilte die dänische Tageszeitung JYLLANDS POSTEN aus Århus die künftige Rolle von Europäischer Union und NATO:

"Europa steht mit stark gestutzten Flügeln da. Zutiefst zersplittert in der Frage des Krieges gegen Saddam Hussein, werden EU und NATO wohl eine Zeit lang keine optimalen Aussichten auf Beeinflussung der Weltereignisse erlangen. Ob einem das gefällt oder nicht, so verfügen nur die USA über militärische Stärke, wenn es darauf ankommt. Lösungen müssen deshalb unter Einschluss der USA gefunden werden. Mit der starken Bedeutung für die Weltwirtschaft nach der Erweiterung könnte die EU entscheidenden Einfluss auf die internationale Gemeinschaft bekommen. Aber die Krise der UN hat offenbart, dass die Union diese Rolle nicht spielen kann, denn sie würde Einigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik erfordern. Die Aussichten darauf sind trübe."

Die französische Regionalzeitung OUEST-FRANCE aus der Bretagne betonte die Notwendigkeit, eine europäische Verteidungungspolitik aufzubauen:

"Wenn wir gegenüber den USA glaubwürdig sein wollen und künftige Mitglieder der EU, die sich nur unter dem Schutz des amerikanischen Adlers sicher fühlen, zuversichtlich stimmen wollen, ist die europäische Verteidungungspolitik eine Priorität. Wir werden sie aber nicht ohne unsere Nachbarn von der anderen Seite des Ärmelkanals aufbauen können. Deshalb muss das Ende des Monats geplante Gipfeltreffen zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg unbedingt erweitert werden. Es wäre völlig falsch, dabei zu umgehen, was man nicht umgehen kann: Die wichtige Rolle der Briten in diesem Bereich."

In diesem Zusammenhang ging die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz auf die jüngste Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard
Schröder ein:

"Schröder plädierte für die Fortentwicklung der europäischen Sicherheitspolitik zu einer 'Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion', damit Europa seine Verantwortung wahrnehmen könne. Und man müsse, sagte der Kanzler wörtlich, 'ernsthaft über die militärischen Fähigkeiten nachdenken'. Was dies in deutsche Regierungspraxis umgesetzt heißt, hatte Schröder erst letzte Woche illustriert. Zunächst, und sehr zum Aufatmen zahlreicher Realpolitiker in Deutschland und im Ausland, deutete er eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben an. Dann stellte er diese umgehend wieder in Abrede. Sicherheit, das scheint die Quintessenz all des Gesagten und Verneinten zu sein, ist ein immer stärker bedrohtes Gut, aber ihre Gewährleistung darf weiterhin nichts kosten. Aus dieser europäischen Gratis-Logik haben sich die Amerikaner nach jahrelangen Ermahnungen nun wohl definitiv ausgeklinkt. Nur scheint man das in Berlin noch nicht begriffen zu haben."

Das österreichische Blatt DER STANDARD kritisierte:

"Schröders Ausblick steht in krassem Gegensatz zur Realität. Schon in der deutschen Regierung scheiden sich die Geister bei der Frage nach der Umsetzung: Während Schröder dafür plädiert, dass sich dem Treffen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs Ende April, bei dem es um verstärkte militärische Zusammenarbeit geht, möglichst alle EU-Staaten anschließen, lässt Außenminister Joschka Fischer die Kerneuropa-Idee wieder aufleben. Er spricht sich dafür aus, dass sich einige Staaten zusammentun und bei diesem Integrationsschritt vorangehen. Dies würde aber die Spaltung innerhalb der EU vertiefen - noch vor der Erweiterung der EU auf 25 Staaten, die eine Einigung noch schwieriger machen wird. Auch zwischen Deutschland und Frankreich gibt es Gegensätze. Während Berlin auf eine Einbindung Großbritanniens pocht, sieht Paris keine zwingende Notwendigkeit dazu. Ohne Großbritanniens militärische Kapazitäten ist das Projekt aber gescheitert."