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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel19. April 2003

Der Kanzler und Europa / Der SPD-Chef und die Basis

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Die Kommentatoren der europäischen Tagespresse richteten in dieser Woche ihre Blicke wieder nach Deutschland. Auf besonderes Interesse stießen der Widerstand der SPD-Linken gegen den Reformkurs des Bundeskanzlers und dessen Bemühungen, die transatlantischen und innereuropäischen Verstimmungen zu überwinden.

Unter dem Titel "Blair und Schröder wieder ein Paar" ging die Mailänder Tageszeitung CORRIERE DELLA SERA auf das Treffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem britischen Premier Tony Blair am Dienstag in Hannover ein:

"Blairs Besuch ermöglicht es Deutschland, sich mit Leichtigkeit vom 'Achsen-Image' frei zu spielen, das unweigerlich mit dem russisch-französisch-deutschen Treffen von St. Petersburg verbunden ist. Die Wiederbelebung der früheren Übereinstimmung mit dem Freund und Kollegen aus London macht nämlich die vielen Botschaften der Entspannung glaubwürdig, die Berlin in den vergangenen Wochen an die Adresse Washingtons geschickt hat. Auf der anderen Seite nützt dem britischen Premier die deutsche Unterstützung, um in seinem Kampf für die Einbeziehung der Vereinten Nationen in den Wiederaufbau des Irak den Druck auf den amerikanischen Verbündeten zu erhöhen."

Die russische Tageszeitung WREMJA stellte fest:

"Noch vor eineinhalb Jahren konnte sich Berlin auf beste Beziehungen zu den Weltmächten verlassen. Doch seit das Verhältnis zu den USA gestört ist, finden sich die Deutschen in einem Lager wieder, durch das das Problem Irak wie ein tiefer Riss geht. Deutschland braucht dringend wie nie zuvor langfristige Partnerschaften. Deshalb bemühen sich Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer seit dem Ende des Irak-Krieges intensiv um Wiedergutmachung. Die Deutschen sind dabei, eingestürzte Brücken wieder aufzubauen."

Die kroatische Zeitung VJESNIK aus Zagreb sah es so:

"Schon monatelang hat der deutsche Bundeskanzler keinerlei Kontakt mehr mit dem amerikanischen Präsidenten und jetzt scheint es, dass er alles dran setzen will, um mit Hilfe von Blair doch noch wenigstens einen Fuß in die Tür des Weißen Hauses zu bekommen. Eine Brücke für Schröder könnte die künftige Rolle der Vereinten Nationen sein, die er, genauso wie Blair, wieder aktiv bei der Lösung von Problemen im Nachkriegs-Irak sehen will. Die Chancen, dass dem Deutschen das gelingen könnte, stehen aber nicht gut".

Die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich kommentierten Schröders europapolitische Initiative:

"Des deutschen Kanzlers Ruf nach 'mehr Europa' ist immerhin ein Ansatz. Er ist geboren aus der Erkenntnis, dass der alte Kontinent erst sich selbst stärken muss, um dann der Macht Amerika gegenübertreten zu können. Doch muss dies scheitern, solange Frankreich sich als Westentaschen-Hegemonialmacht begreift, unter deren verblasster Tricolore die EU-Kohorten anzutreten haben. Schröder hat Recht. Europa muss sich emanzipieren. Doch nicht nur von den USA, sondern auch von einem Präsidenten in Paris, der als Repräsentant des vergangenen politischen Jahrhunderts in Kaisers neuen Kleidern auftritt."

Die Schweizer NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beschäftigte sich mit dem Widerstand des linken SPD-Flügels gegen die von der Parteiführung geplanten Sozialreformen und schrieb:

"Der Missmut der eigenen Partei trifft Schröder in einem Moment, in dem die allgemeine politische Stimmung für die Regierung allmählich wieder freundlicher wird. Nachdem die Popularität der SPD in Umfragen seit der Bundestagswahl stetig gesunken ist, steigen seit kurzem die demoskopischen Werte leicht an. Auch in den Medien ist die Kritik an Schröder merklich leiser geworden. Der Kanzler hat sein Ziel, mit der 'Agenda 2010' die politische Initiative zurückzuerobern, mindestens zum Teil erreicht. Doch unterschätzte er offenkundig die durch seine sozialpolitischen Pläne ausgelösten Turbulenzen in der SPD. Der erzwungene Kurswechsel in der Frage des Sonderparteitages bedeutet für Schröder eine innerparteiliche Niederlage."

"SPD in rauer See" titelte die östereichische Zeitung DER STANDARD aus Wien und bemerkte:

"Schröder muss im Bundestag mit einer zarten Mehrheit von fünf Stimmen auskommen - ein paar linke Meuterer könnten den Kanzler ziemlich in die Bredouille bringen; zwölf Abtrünnige wurden bereits gezählt. Die Parteibasis könnte revoltieren, wenn sie durch die eigenen Genossen geschröpft werden sollte. Der altehrwürdigen SPD stehen stürmische Stunden ins Haus, sollte sie der Kanzler zu einer Ein-Mann-Schröder-SPD umbauen wollen. Erinnerungen an Exkanzler Helmut Schmidt werden wach. Der Hanseate scheiterte 1982, weil ihm die Partei in Sachen Nachrüstung die Gefolgschaft verweigerte. (...)

Aber auch wenn die SPD Reformen zustimmt, ist kein rettendes Land in Sicht. Schröders Pläne seien zu halbherzig, um eine wirtschaftliche Trendwende herbeizuführen, meinen Wirtschaftsforschungsinstitute. Auf Käpt'n Schröder warten schwere Brecher."