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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel 28. Juni 2003

EU-Agrarreform / EU-USA-Gipfel / Reformpolitik in Deutschland

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Die Agrarreform der Europäischen Gemeinschaft, deren Verhältnis zu den USA und die Reformbemühungen in Deutschland waren in der vergangenen Woche herausragende Kommentarthemen der europäischen Tagespresse.

Zur Agrarreform war im niederländischen Blatt DE TELEGRAAF zu lesen:

"Vollkommen ist die Vereinbarung über eine neue europäische Landwirtschaftspolitik nicht, historisch ist sie sicher. Zum ersten Mal erhalten die Bauern Beihilfen, die nicht an die Produktion gebunden sind. (...) Leider wird die Entkoppelung von Beihilfen und Produktion nicht völlig durchgeführt. Die Mitgliedstaaten können künftig noch immer einen wichtigen Teil der Landwirtschaftsbeihilfen auf die herkömmliche Weise vergeben oder ihren Bauern aus der eigenen Kasse Bonbons zukommen lassen. (...) Um den traditionellen Querkopf Frankreich zu gewinnen, waren Zusagen dieser Art notwendig. Das ist schade. Aber die EU hat mit der neuen Vereinbarung auf jeden Fall die richtige Richtung eingeschlagen."

Das meinte auch die italienische Zeitung LA REPUBBLICA aus Rom:

"Am Donnerstag, just zur Zeit, wenn man morgens seinen Cappuccino trinkt, ist nach einem wahren Verhandlungsmarathon, der 17 Stunden gedauert hat, die wichtigste Reform auf den Weg gebracht worden, die das 'grüne Europa' bisher jemals erlebt hat. (...) Man hat in der EU diese unverkäuflichen Überschüsse nicht mehr finanzieren können. Die gedrosselte Produktivität hatte zwar schon vor Jahren durch verschiedene Anpassungen begonnen, die mitunter schmerzhaft waren, etwa mit der Milchquote, sowie anderen Maßnahmen, die die Produktion in verschiedenen Sektoren wie bei Getreide und Fleisch gebremst haben. Aber dieses Mal ist die Reform viel radikaler und trifft den Mechanismus an der Wurzel."

Das sah die dänische Tageszeitung BERLINGSKE TIDENDE jedoch ganz anders:

"Es ist Ausdruck für einen trostlosen Zustand, wenn EU- Agrarkommissar Franz Fischler einigermaßen zu Recht die Reform der EU-Agrarpolitik als fundamentale Veränderung bezeichnen kann. Denn die Landwirtschaft bleibt ja nach wie vor ein Gewerbe, das ein Drittel seiner Einnahmen aus Staatskassen und gesetzlichen Ansprüchen bekommt. Der Durchbruch besteht darin, dass die direkte Aufrechterhaltung von Mindestpreisen ein bisschen beschnitten wird. Aber das Geld geht stattdessen direkt an die Bauern, so dass die Steuerzahler bei diesem Geschäft nichts sparen. (...) Die Agrarpolitik der EU ist eine Missgeburt. Sie kostet die Steuerzahler und Verbraucher enorme Summen. Sie stellt ein Hindernis für den Wohlstand auf der ganzen Welt dar. Es ist traurig, dass die neue Reform offensichtlich das Weitestgehende unter allen Möglichkeiten war."

Unterschiedlich bewertet wurde auch das Gipfeltreffen der Europäischen Union und der USA vom Mittwoch in Washington. Die spanische Tageszeitung ABC aus Madrid meinte:

"Auf dem Gipfel von Washington haben die USA und die EU die transatlantischen Kontakte in vollem Umfang wiederhergestellt. Das irakische Unwetter in den Beziehungen ist überwunden. Deutsche und Franzosen akzeptierten ein gemeinsames Sicherheitsmodell, das auf dem weltweiten Kampf gegen den Terror, auf der Prävention und auf der Durchsetzung des internationalen Rechts basiert. Zwischen den USA und der EU bestehen auch weiterhin viele Differenzen. Aber keine davon bedeutet ein unüberwindbares Hindernis. Es wird immer wieder Streit, Spannungen und Handelskonflikte geben. Aber die engen transatlantischen Bindungen werden dadurch wohl kaum in Frage gestellt werden."

Die französische Zeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg stellte fest:

"Das politische Klima zwischen dem alten und dem neuen Kontinent wird sichtlich wärmer. Der Gipfel von EU und USA im Weißen Haus stand im Zeichen der Normalität und brachte gleichzeitig ein beachtliches Novum: Bislang war die EU in den Augen der Amerikaner nur ein Wirtschaftspartner. Am Mittwoch wurde die EU zum ersten Mal als souveräne Einheit behandelt, die ihre 15 Mitglieder vertrat. (...) Jenseits des Atlantiks macht man sich kaum Illusionen über den begeisterten Pro-Amerikanismus des 'neuen Europa': Die wirtschaftlichen Interessen der ehemaligen Volksdemokratien liegen in der EU. Sie werden schnell die Oberhand gewinnen. (...) Das alles sind Gründe, um die Beziehungen wieder neu zu knüpfen. Die USA brauchen Europa genauso wie Europa die USA braucht: Der Austausch zwischen der zukünftigen EU der 25 und Nordamerika stellt fast die Hälfte des Welthandels dar."

Dagegen machte der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz auf eine neue Missstimmung aufmerksam:

"Eine Art transatlantische Wiedervereinigung war geplant. Und die Europäer hatten sich vorab offensichtlich alle Mühe gegeben, die nach wie vor verstimmten Kollegen im Weissen Haus mit kleinen Zeichen der Zuneigung aufzuheitern: So schwenkte die EU in ihrer Sicherheitspolitik auf die harte Linie Washingtons ein. (...) Der US-Präsident hat es aber geschafft, mit seinem lächerlichen Angriff auf die kritische Haltung der EU zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln die Europäer vor den Kopf zu stossen. (...) Bushs Polemik entpuppt sich als plumper Versuch, bei der Biotech-Lobby zu punkten. (...) Wer solch billige Sprüche klopft, während sich die Diplomaten beiderseits des Atlantiks um ein Ende des Streits bemühen, zeigt zum wiederholten Male auf arrogante Weise, wie er sich um den Rest der Welt foutiert."

Die österreichische Zeitung DER STANDARD befasste sich mit den Reformbemühungen in Deutschland, Zitat:

"Endlich kommt Bewegung in die deutsche Politik. Von einer bevorstehenden Sommerpause ist in Berlin nichts zu merken. Die rot- grüne Koalition hat nach monatelangen Debatten über Reformen im Wirtschafts- und im Sozialbereich konkrete Gesetzestexte vorgelegt. (...) Es ist ein Sieg der Vernunft, dass Rot-Grün, die Union und die FDP bis Mitte Juli eine Einigung über die Gesundheitsreform zu Stande bringen wollen. Es ist zu hoffen, dass sie auch die anderen Projekte gemeinsam in Angriff nehmen. Nur mit einer informellen großen Koalition ist der notwendige Umbau in Deutschland voranzutreiben. Allein die Ankündigung, es gemeinsam anzupacken, hat schon Aufbruchsstimmung bewirkt."

Der Kommentator der britischen Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES schrieb:

"Angesichts einer Wirtschaftsflaute, einem Beinahe-Höchststand bei der Arbeitslosigkeit und fehlenden Anzeichen für eine Besserung hat Bundeskanzler Gerhard Schröder endlich doch den Stier bei den Hörnern gepackt und sich für Reformen entschieden. So will er versuchen, Jahre des Niedergangs umzukehren. Sein Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der hohen Lohnnebenkosten zu steigern. (...) Diese Woche hat einen Durchbruch bei der angestrebten Gesundheitsreform gebracht. Die Opposition hat starke Signale für ihre Bereitschaft zu einer beiderseitigen Einigung ausgesandt. Allerdings sind die Aussichten für eine Reform des Arbeitsmarktes weniger klar."