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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

(Michael Wehling)26. Juli 2003

Einigung auf Gesundheitsreform

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Mit Blick auf Deutschland befassten sich die Kommentatoren in den europäischen Tageszeitungen in dieser Woche vor allem mit der Einigung zwischen Koalition und Opposition über die Gesundheitsreform.

Die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERA analysiert zusammen mit der Gesundheitsreform auch den Rücktritt von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel.

'Nach so einem Tag wird es schwierig sein, die Legende des blockierten Riesen weiter aufrecht zu halten, diesen Gemeinplatz des starken, aber gelähmten Deuschlands, das unfähig ist, sich zu rühren und gemäß den Anforderungen in den Zeiten der Globalisierung zu modernisieren. Innerhalb von wenigen Stunden sind zwei Pfeiler des Systems in seinen Grundfesten erschüttert worden, was sich als Anstoß zu einer lang erwarteten Ära des strukturellen Wandels erweisen könnte. Die Einigung über die Reform im Gesundheitswesen und der Rücktritt von Klaus Zwickel von der Spitze der IG Metall haben zwar nichts miteinander zu tun. Aber die Symbolhaftigkeit, in der die Geschichte nun einmal ein Meister ist, lässt beide Ereignisse wie eine Bewegung in Richtung Erneuerung erscheinen. Und lässt die Erwartungen eines weniger verschwenderischen und belastenden Sozialstaates aufkommen sowie von flexibleren Beziehungen in der Arbeitswelt, die weniger von der Allmacht der Gewerkschaften bestimmt werden.' Soweit das italienische Blatt Corriere delle Sera.

In der französischen Zeitung LE MONDE heißt es:

'Deutschland bewegt sich und Europa muss sich darüber freuen. Der erzielte Kompromiss zwischen der sozialdemokratischen Regierung und der christdemokratischen Opposition über die Gesundheitsreform ist von erstrangiger Bedeutung. Dadurch wird eine Erleichterung eines der weltweit kostspieligsten bürokratischen Systeme erreicht. Darüber hinaus bestärkt sie den Kanzler in seinem Bemühen, einige Strukturreformen durchzusetzen und der wichtigsten europäischen Wirtschaftskraft neue Dynamik zu verleihen.'

Die in London erscheinende FINANCIAL TIMES warnt davor, die Gesundheitsreform zu zerreden.

'Die von der Regierung Schröder angekündigte Gesundheitsreform hat bei Wirtschaftsexperten, Branchenvertretern, Gewerkschaften und Verbraucherverbänden einen Sturm der Kritik entfacht. Der Hauptvorwurf lautet, dass die Reform sozial ungerecht sei, weil der normale Kassenpatient und die Arbeitnehmer die größte Last tragen müssten. Die Kritiker haben durchaus Argumente, wenn sie sagen, die Reform sei nicht ausreichend,um die Macht der Lobby-Gruppen von Ärzten, Apothekern und der Pharma-Industrie zu verringern und damit die Effizienz zu steigern. Das Entscheidende ist aber, dass die Reform umgesetzt und nicht durch Grabenkämpfe aufgehalten wird. Eine Reform des Arbeitsmarktes und des Rentensystems muss dann folgen.'

Im niederländischen Blatt DE VOLKSKRANT ist zu lesen:

'Die ... Einigung über die Krankheitskosten stellt für Deutschland einen Durchbruch dar: Endlich wagen es deutsche Politiker, von den Bürgern Opfer zu verlangen, um die aus dem Ruder gelaufenen sozialen Kosten einzudämmen. ... Der Fortschritt passt in das Reformklima, das herrscht, seit sich Bundeskanzler Schröder im März öffentlich zur Reform des Wohlstandstaats bekannte. ... Kritiker verweisen darauf, dass sich Regierung und Opposition nicht auf strukturelle Reformen einigen konnten. So bleibt die starre, teure und bürokratische Finanzierung des Gesundheitswesens bestehen. ... Die Geld verschlingende Struktur des Systems bleibt unverändert. Es wurde ein Aderlass statt einer echten Heilung. ...Die wirklich schwierigen Entscheidungen sind nur verschoben worden.'

Die im österreichischen Graz erscheinende KLEINE ZEITUNG notiert:

Kranksein wird teurer, für Zahnersatz muss jeder selber vorsorgen. Der erzieherische Wert dieser Eigenbeteiligung ist zu begrüßen. Denn wie auch anderswo gilt: Was es umsonst oder sehr günstig gibt, wird meist nicht geschätzt. Die große Strukturreform ist es nicht geworden, aber die Gesundheitskosten werden in den kommenden Jahren gedämpft. Das ist in einem Bereich, in dem verbissen wie sonst kaum wo Pfründen verteidigt werden, schon sehr viel wert. Die Regierung wird ohnehin am Ball bleiben müssen und es vielleicht in ein, zwei Jahren schaffen, richtige Strukturreformen anzupacken.'

El PAIS aus der spanischen Hauptstadt Madrid bemerkt:

'Deutschland verfügt heutzutage über eines der besten Gesundheits- Systeme der Welt, das fast alle Behandlungen inklusive der zahnärztlichen abdeckt. ... Wegen der Alterung der Bevölkerung und den steigenden Kosten einer immer raffinierteren medizinischen Versorgung ist es aber unmöglich geworden, dieses System zu finanzieren.'

Die französische Zeitung LA TRIBUNE fordert die oppositionellen Sozialisten in Paris auf, sich an der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung ein Beispiel zun nehmen:

'Die politischen Sitten in Frankreich sind zu weit von der politischen Kultur des Kompromisses in Deutschland entfernt. Man darf allerdings hoffen, dass die Einigung in Berlin der französischen sozialistischen Partei zu denken geben wird, die aus taktischen Gründen für ein radikale Opposition gegen die Gesundheitsreform hierzulande optiert hat. ... Ebenso wie in Deutschland ist auch in Frankreich die öffentliche Meinung von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt.

Abschließend ein Blick in die österreichische Zeitung DER STANDARD: Das Blatt aus Wien macht sich Gedanken über den Zustand der Opposition in Deutschland:

'Die deutsche Opposition zerfleischt sich derzeit lieber selbst, als die Regierung zu kritisieren. Dass der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber auf einem CSU-Parteitag den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch abwatscht, ist - gelinde ausgedrückt - ungewöhnlich. Denn Koch war bisher Stoibers treuester Mitstreiter, wenn es um die Einhaltung der konservativen Linie ging. ...Solange Deutschlands größte Oppositionspartei so mit sich selbst beschäftigt ist und es nicht schafft, sich auf eine einheitliche Position zu verständigen und eigene Vorschläge zu Reformen und der Finanzierung der Steuersenkung vorzulegen, ist sie nicht regierungsfähig.'