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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel23. August 2003

Sahara-Geiseln freigelassen / Roland Schill entlassen

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Die Freilassung der in der Sahara entführten Touristen und die Entlassung des Hamburger Innensenators Roland Schill waren in dieser Woche die deutschen Themen, die in der ausländischen Tagespresse kommentiert wurden. Zu Forderungen einiger deutscher Politiker, die Geiseln sollten einen Teil ihrer Rettungskosten selbst bezahlen, bemerkte die überregionale österreichische Zeitung SALZBURGER NACHRICHTEN:

"Angesichts der eigenen großen Probleme hält sich das Mitleid für in Bedrängnis geratene Wüstenurlauber bei vielen in Grenzen. Wo früher eine ganze Nation, vom Boulevard angeheizt, mit den Entführten gebangt und mit den Befreiten gejubelt hätte, macht sich eine gewisse Distanziertheit, mitunter auch Neid über den Starstatus der ehemaligen Geiseln und deren zu erwartende TV- und Zeitungshonorare breit. All dies ist nur ein kleines Zeichen für die Verfassung der Gesellschaft. Aber es zeigt wie vieles andere, dass in Deutschland der große Verteilungskampf begonnen hat."

Der Kommentator der Schweizer Zeitung DER BUND aus Bern meinte:

"Wer sich in riskante Regionen begibt und damit Rettungsaktionen seines Heimatstaats provoziert, muss auch bereit sein, als Individuum einen Teil der Verantwortung zu tragen, sprich: die finanziellen Konsequenzen mitzutragen. Dies ist die eine Lehre, die sich aus der langen Geschichte um die nun befreiten Sahara-Geiseln ziehen lässt. Die andere verpflichtet dazu, den Blick schnell wieder auf wesentlichere weltpolitische Entwicklungen zu richten und damit die Dimensionen der Ereignisse zu wahren. Denn Geiselnehmer zählen bei der Planung ihrer Taten nicht zuletzt auf das überdrehte Medienecho in westlichen Ländern. Damit ist niemandem gedient, weder den betroffenen Geiseln, künftigen Reisenden noch den Krisenregionen, in denen sich die Entführungen ereignen."

Ein anderes Schweizer Blatt, der TAGES-ANZEIGER aus Zürich beschäftigte sich mit der Informationspolitik der betroffenen Regierungen:

"Die Krisenstäbe der jeweiligen Aussenministerien wussten viel mehr, als sie preisgaben. Wussten sie zum Beispiel von Beginn weg, wer die Entführer waren? Wenn ja, warum behielten sie die Erkenntnis für sich? (...) Wer also waren die Entführer? Die Frage ist auch nach der Lösung des Dramas keineswegs zweitrangig. Gerade im Nachgang zum 11. September. Waren es Gauner, Schmuggler, Wegelagerer? (...) Oder stellten sie politische Forderungen? All das und noch mehr wüsste man gerne aus erster, offizieller Hand. Von den Krisenstäben, den Unterhändlern, die lange genug geschwiegen haben."

Die BERNER ZEITUNG stellte die Frage nach dem Lösegeld:

"... Fragen tauchen zwangsläufig auf angesichts der vielen Rätsel, welche dieses spektakuläre Geiseldrama in der Wüste umranken. Etwa nach dem Lösegeld, über dessen Zahlung es nur noch wenige Zweifel gibt. Wer griff für die Freiheit der Geiseln in die Kasse? Und dies, obwohl alle Welt zuvor versicherte: 'Wir lassen uns nicht erpressen.'"

Unter der Überschrift 'Vorsicht, Saubermann!' ging die Zeitung LUXEMBURGER WORT auf die Entlassung des Hamburger Innensenators Roland Schill ein:

"Nun ist (nach Michel Friedman) ein anderer Saubermann von eigenen Gnaden gestolpert, der schillernde frühere Richter Ronald Schill, dessen rechtspopulistische Gesetz-und-Ordnung-Sprüche und fremdenfeindliche Parolen ihm und der von ihm gegründeten Partei einen gewissen Zulauf bescherten. Nach einem niederträchtigen Erpressungsversuch hat der Hamburger Erste Regierende Bürgermeister Ole von Beust den Innensenator Schill zu Recht fristlos gefeuert. (...) Fazit: Vor Saubermännern wird gewarnt, denn hinter der blitzblanken Fassade haben sie oft genug Dreck am Stecken."

Die österreichische Zeitung DER STANDARD meinte:

"Richter Gnadenlos, Hamburgs Haider, Rechts-Sprecher, Messias der Schrebergärtner, Law-and-Order-Fetischist - die Zahl der Spitznamen, die sich Ronald Barnabas Schill in seiner kurzen öffentlichen Karriere erarbeitet hat, ist beachtlich. Der kantige 1,93-Meter-Mann hat viel daran gesetzt, coram publico als harter Hund dazustehen. Hartherzige Rechtschaffenheit und drakonische Strafdrohung waren gewissermaßen seine Geschäftsgrundlage - von seinen Tagen als Hamburger Strafrichter Ende der 80er-Jahre bis zum vorerst letzten Karrieresprung in das Amt des Hamburger Innensenators, aus dem er jetzt unehrenhaft verjagt wurde. (...) Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Nötigung einer Amtsperson. Und wäre Schill sein eigener Strafverfolger, er müsste nach alter Gewohnheit auf die Höchststrafe für sich plädieren. Ob Hendldieb, Drogendealer oder eben mutmaßlicher Nötiger - wer delinquent wird, hat nach seiner Auffassung mit der vollen Härte des Gesetzes zu rechnen. Aus Prinzip."

Die BASLER ZEITUNG urteilte:

"Von welch niederträchtigen Instinkten sich der Mann leiten lässt, zeigte sich am Dienstag. Selbst wenn seine Darstellung zuträfe und nicht jene des Regierungschefs, müsste er sich fragen lassen, warum er denn zu der vermeintlichen Vetternwirtschaft so lange schwieg und seine Anwürfe erst jetzt formuliert, als sie ihm nützen sollen. Hier hat politische und menschliche Moral ihren Tiefpunkt erreicht."

Die Frage, wie es nun in Hamburg politisch weitergeht, beantwortete die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG so:

"Eine Alternative zur gegenwärtigen Dreierkoalition gibt es nicht, es sei denn, man wolle in Hamburg schon wieder an die Urne gehen. Daran hätten freilich höchstens die SPD und die Grünen ein Interesse. Solange die Schill-Partei gewillt ist, auch ohne ihren Gründer weiterzumachen - und alles deutet darauf hin -, wird sich in der Hansestadt nicht viel ändern. Beust hat die Arbeit mit den anderen Schillbürgern ausdrücklich gelobt, und deren Interesse an einer Erhaltung der gegenwärtigen Machtverhältnisse darf vorausgesetzt werden. Sollte die «Partei Rechtsstaatlicher Offensive» die nächsten Wahlen überleben, dann könnte dies just daran liegen, dass sie ihren Inspirator schon bei Halbzeit losgeworden ist."