1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel27. September 2003

Schröders Aussöhnung in USA / Stoibers Wahlsieg in Bayern

https://p.dw.com/p/47AH

Der glänzende Sieg der Christlich Sozialen Union bei der Landtagswahl in Bayern und die Aussöhnung zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush waren in dieser Woche herausragende Kommentarthemen der europäischen Tagespresse. Schröders Begegnung mit Bush am Rande der UN-Vollversammlung in New York beurteilte die russische Zeitung KOMMERSANT so:

"Das Treffen (...) war von symbolischer Bedeutung. Nicht nur, weil dies die erste richtige Begegnung der beiden seit mehr als einem Jahr war. (...) Die Meinungsverschiedenheiten sind Vergangenheit - das war die wichtigste Botschaft der beiden Politiker an die Welt. Deutschland ist damit dem Vorbild Russlands gefolgt. Die Deutschen bleiben in der 'Europäischen Troika', sind aber wieder offen auf die Amerikaner zugegangen. Als einziger prinzipieller Gegner Washingtons bleibt jetzt nur noch Frankreich übrig."

Dazu meinte die unabhängige französische Tageszeitung LE MONDE:

"Was den Irak angeht, so hat die Entente von Paris und Berlin der Anti-Kriegs-Position Gewicht verliehen. In Deutschland denken aber manche, dass Europa dadurch geschwächt worden sei, weil Deutschland nicht mehr seine traditionelle Rolle als Mittler zwischen Paris und Washington hat spielen können. Zumindest ist durch das Zusammengehen aber das Tabu aufgebrochen worden, wonach Deutschland grundsätzlich auf die USA ausgerichtet sein müsse, was die deutsch-französischen Beziehungen lange belastet hat. Diese Entente verdient es, weiter gepflegt zu werden. Bekäme die Front Risse, wäre das katastrophal wie nichts anderes für Europa als Ganzes, denn es würde die Washingtoner Gegner des europäischen Einigungsprozesses bestärken."

Die österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien kommentierte:

"Indem Schröder gemäßigtere Positionen eingenommen oder sich gar nicht erst festgelegt hat, vergrößerte er seinen außenpolitischen Spielraum: mehr in Richtung Bushs, einen Schritt weg von Chirac. Ob dies Deutschland längerfristig nützt oder Schröder damit seinen Ruf, in außenpolitischen Belangen ein unsicherer Kantonist zu sein, weiter festigt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist schon zu beobachten, dass die deutsche Regierung in der Außenpolitik nun mit mehr Selbstbewusstsein auftritt."

Die in Amsterdam erscheinende niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT warnte:

"Schröder muss aber aufpassen, dass das neue Selbstvertrauen nicht in Selbstüberschätzung ausartet. Wer sich freigekämpft hat, bekommt auch größere Verantwortung auferlegt. (...) Der Umgang mit der Macht stellt für viele Deutsche noch ein Problem dar. Wenn in Mittel- und Osteuropa, dem politischen Hinterland, unerwartet ethnische Konflikte ausbrechen sollten, ist Deutschland militärisch nicht in der Lage, einzugreifen. Gute Beziehungen zu den USA liegen daher auch im Interesse des erwachsen gewordenen Deutschlands. Schröder hat das begriffen."

Die römische Zeitung LA REPUBBLICA beschäftigte sich mit dem Wahlausgang in Bayern am vergangenen Sonntag und stellte fest:

"Das ist das Waterloo des Kanzlers Schröder und der rot-grünen Macht in Berlin. Und es ist eine Wende in der Geschichte der deutschen Demokratie: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg erringt eine demokratisch und freiheitlich gewählte Regierung zwei Drittel der Sitze in einem Länderparlament. Es handelt sich nicht nur um eine Antwort aus regionalen Faktoren und Stimmungen: Das Signal der Unzufriedenheit in Richtung der Regierungspolitik in Berlin ist klar, erbarmungslos und unmissverständlich. Der Ansehensverlust des Kanzlers ist drastisch, er ist der wahre Verlierer von München: Wenn es am Sonntag nicht Landtagswahlen in Bayern, sondern Bundestagswahlen gegeben hätte, hätte Schröder sie verloren."

Ähnlich urteilte auch die spanische Zeitung ABC aus Madrid:

"Edmund Stoiber verhilft der CSU in Bayern zu einem Wahlsieg von historischer Bedeutung. Die SPD fällt in diesem wichtigen Bundesland auf unter 20 Prozent der Wählerstimmen zurück. Bundeskanzler Gerhard Schröder muss für den Niedergang in der Haushalts- und Außenpolitik zahlen. Er erhält die Quittung rascher als erwartet. Die CSU hat sich zu einer Partei entwickelt, wie sie sich jeder Politiker wünscht. Sie garantiert quasi eine Beschäftigung auf Lebenszeit, denn sie gewinnt seit fast einem halben Jahrhundert eine Wahl nach der anderen. An das kurze sozialdemokratische Intermezzo in Bayern erinnert sich heute niemand mehr."

Der Kommentar der britische Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES:

"Die Wahl ist ein persönlicher Triumph Stoibers. Nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr war er als Führer der Mitte-Rechts-Opposition in Deutschland schon abgeschrieben worden. Doch jetzt könnte er 2006 als möglicher CDU/CSU-Kanzlerkandidat zurückkehren."

Der in Wien erscheinende KURIER analysierte die Gründe für den hohen Wahlsieg der CSU:

"Stoibers Sieg war kein Selbstläufer, trotz der dramatischen Krise der SPD. Bayern als Gegenmodell zum Rest der Republik ist auch in schwerer Zeit lebenswerter – abzulesen an den Zahlen für fast alle Kriterien, spürbar im Lebensstandard und -gefühl der Menschen. Weil die CSU seit fünfzig und Stoiber seit zehn Jahren den Freistaat zum Erfolg machen, sehnt man sich nicht nach Wechsel und akzeptiert die Anomalie der Überdosis CSU. Und auch die ist ein Erfolgsmodell: Keine Partei weit und breit gleicht mit so wenig Druck, aber umso mehr Einfühlungsvermögen oft widersprüchliche Bedürfnisse aller Bevölkerungsschichten aus. Dogmatismus, auch konservativer, ist ihr seit Stoiber fremd, Einigkeit eisernes Prinzip. Deshalb wählt sie auch die Mehrheit der jungen Frauen, Arbeiter, Arbeitslosen, Erstwähler und Studenten – also Ex-SPD-Klientel."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG befasste sich mit den möglichen Auswirkungen des Wahlausgangs auf die Schwesterpartei CDU:

"Allerdings herrscht die größte Unruhe nicht beim blendenden Taktiker und taktischen Blender Gerhard Schröder, sondern in der Führungsetage der CDU selbst. Schon längst wetzen dort die Rivalen der Parteichefin Merkel die Messer. Sie wollen an die Macht, und sie wollen die Kanzlerkandidatur für 2006 erringen. Nun sehen sie sich nicht nur mit Merkel, sondern schon wieder mit Stoiber konfrontiert, der sich eine formidable Basis für seine bundespolitischen Ambitionen geschaffen hat. Das könnte die CDU ungebührlich viel Energie kosten, um sich mit der bayrischen Schwesterpartei zu arrangieren. Stoiber also als Wahlhelfer Schröders? Genau darauf könnte es nach dem fulminanten Sieg der CSU vom Sonntag hinauslaufen."