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Internationale Pressestimmen von Sonntag, 03. Februar 2002

3. Februar 2002

Haushaltsdefizit / Afghanistan-Engagement / V-Mann-Affäre

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Neben der Afghanistan-Politik und der Panne beim Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD stand in dieser Woche vor allem die Entwicklung der deutschen Staatsfinanzen im Focus der ausländischen Tagespresse.

Der Kommentator der in London erscheinenden FINANCIAL TIMES ging auf die Empfehlung der EU-Kommission ein, Deutschland wegen seines Haushaltsdezifits von 2,7 Prozent zu verwarnen und schrieb:

"Man kann die Schadenfreude kaum verbergen. Die Zwangsjacke, die allen Euro-Mitgliedstaaten verpasst wurde, trägt das Markenzeichen Deutschland. Sie wurde geschneidert, um die Ausgabelust von Ländern wie Italien oder Belgien zu bremsen. Nun ist Deutschland das erste Land, für das das Tuch zu knapp geschnitten wurde. Die Warnung der EU-Kommission an Deutschland ist von großer Wichtigkeit. Sie bedeutet nicht, dass der Euro gescheitert ist, aber sie ist eine Warnung an die politischen Führer der EU, dass das Projekt erst halb fertig ist. Wir haben die Münzen und die Noten, warten aber noch auf die ökonomische Dimension der Einheitswährung."

Die spanische Zeitung EL MUNDO aus Madrid stellte fest:

"Andere Länder, sogar das chronisch defizitäre Italien, haben es geschafft, ihre Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten. Eine Verwarnung Deutschlands würde die anderen Regierungen an ihre enorme Verantwortung erinnern. Ohne ein strenges Vorgehen werden die Vorteile der gemeinsamen Euro-Währung bald verspielt sein."

Die in Mailand erscheinende italienische Tageszeitung CORRIERE DELLA SERRA kommentierte:

"Vor einem Jahr war die Entscheidung, die Wirtschaftspolitik des kleinen Irland zu bestrafen, so leicht gefallen, dass es fast so schien, als handele es sich um einen automatischen Vorgang. Dieses Jahr geht es hingegen darum, dem deutschen Riesen auf die Füße zu treten, und das obendrein in einem Jahr, in dem Deutschland zu den Urnen gerufen ist."

Die Schweizer NEUE ZÜRCHER ZEITUNG setzte sich kritisch mit der Sparpolitik von Bundesfinanzmister Hans Eichel auseinander:

"Gewiss trifft es zu, dass Deutschland große Mühe hat, den Stabilitätspakt einzuhalten. So gesehen ist der Brüsseler Warnschuss richtig und wichtig. Aber das wahre Problem liegt tiefer, nämlich im Unvermögen, eine wachstumsorientierte Finanzpolitik zu betreiben. Schon seit vielen Jahren wird im Rahmen der Haushaltskonsolidierung nicht beim Staatskonsum und bei den staatlichen Sozialausgaben gebremst, sondern bei den für das Wirtschaftswachstum und damit für die Zukunftssicherung wichtigen öffentlichen Investitionen sowie bei den Forschungs- und Bildungsausgaben. Dass Deutschland im Euro-Raum mittlerweile zu den Ländern mit besonders geringem Wachstum gehört, erklärt sich mit anderen Worten zu einem guten Teil mit seinem finanzpolitischen Kurs. Eine Wende ist leider nicht in Sicht. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen."

Unter der Überschrift "Vom Primus zum Klassenletzten" war in der konservativen österreichischen Zeitung DIE PRESSE aus Wien zu lesen:

"Gerhard Schröder ist nicht zu beneiden. Zentrale Kabinettsmitglieder des deutschen Kanzlers stellen sich immer öfter als Lachnummer zur Schau, und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das gilt noch viel mehr in wirtschaftlicher Hinsicht: Der einstige Primus Deutschland AG ist auf die Verliererstraße geraten. Und Schröder scheint nicht in der Lage zu sein, einen Kurswechsel herbeizuführen. (...) Auf Besserung sollte man nicht hoffen, zumindest nicht bedingt durch eine politische Wende. Auch was Edmund Stoiber bisher von sich gegeben hat, ist wenig ermutigend."

Die in Brüssel erscheinende belgische Tageszeitung LE SOIR wies darauf hin, dass die klamme Haushaltslage ein stärkeres Engagement Deutschlands in Afghanistan verhindere:

"Kanzler Gerhard Schröder unterstreicht in seinen Reden gern die neue internationale Rolle Deutschlands. Aber wenn es konkret wird, muss der sozialdemokratische Parteichef sich häufig eingestehen, dass sein Land weder über die militärischen Kapazitäten noch über die finanziellen Mittel verfügt, die seinen politischen Ambitionen entsprechen würden. (...) 'Wir haben weder genug Soldaten noch die nötige Ausrüstung', erklärte am Dienstag der Bundeswehrverband und erinnerte daran, dass die Armee bis zum Jahr 2006 in einer Strukturreform steckt. (...) Zweites Handicap: Bei einem öffentlichen Defizit, das an drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts heranreicht, steht Deutschland mit leeren Taschen da. (...) Eine Erhöhung des Militärbudgets ist da undenkbar."

Die linksliberale dänische Tageszeitung INFORMATION aus Kopenhagen kommentierte die Ungereimtheiten im Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Verfahren unterbrochen, nachdem bekannt geworden war, dass ein Belastungszeuge jahrelang Spitzel des Verfassungsschutzes war. Dazu meinte das dänische Blatt:

"Alle Parteien und Kommentatoren sind sich darin einig, dass die NPD verboten werden sollte. Dass dieses Verbot nun in Gefahr gebracht worden ist, stellt eine Katastrophe dar. Von allen am härtesten davon getroffen wird Bundeskanzler Schröder. Er schickt sich nicht nur an, einen äußerst wichtigen Rechtsstreit zu verlieren. Seine Regierung ist ernsthaft in Misskredit gebracht. Und die Opposition kann sich nebenbei ins Fäustchen lachen."

Zur Debatte über das Für und Wider verdeckter Informanten merkte der in Zürich erscheinende TAGESANZEIGER an:

"Manchmal lohnt es sich, auch im Eifer kurz darüber nachzudenken, ob noch alle Koordinaten stimmen. Bei der Lektüre deutscher Zeitungen kann der Eindruck entstehen, als sei es grundsätzlich verwerflich, verdeckte Informanten - so genannte V-Leute - in möglicherweise verfassungsfeindliche Organisationen einzuschleusen. Bei solcher Kritik ist Vorsicht geboten. Nur zur Erinnerung: Als nach dem 11. September Spuren der Terroristen nach Hamburg führten, lautete der tagespolitisch wohlfeile Vorwurf, die Geheimdienste hätten sich besser in islamistische Organisationen infiltrieren sollen. Ein Skandal wäre es, wenn V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv Material produzierten, das dann die Verfassungsfeindlichkeit ihrer Organisation belegen sollte. Nur zur Erinnerung: Belege für solche Umtriebe der deutschen Behörden gibt es derzeit nicht. Dass der Verdacht dennoch hartnäckig verbreitet wird, ist wohl kaum ein Dienst am Rechtsstaat."