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Die Zerstrittenheit der syrischen Opposition

Kersten Knipp16. Mai 2012

Die syrische Opposition ist in ideologischen und taktischen Fragen uneins. Allein die Gegnerschaft zum Assad-Regime eint sie. Über die Folgen des Richtungsstreits sprach DW mit der Soziologin und Aktivistin Huda Zein.

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Demonstranten protestieren vor der syrischen Botschaft in Amman gegen das Assad-Regime, 9.3. 2012. (Foto: AP)
Bild: AP

Frau Zein, die syrische Opposition ist in sich selbst zerstritten. Es gibt eine Reihe von Fragen, in denen sich die verschiedenen Gruppierungen nicht einigen können. Was sind die wichtigsten Streitpunkte?

Huda Zein: Ein ganz wesentlicher Punkt ist die Frage der Intervention. Soll das Ausland militärisch eingreifen oder nicht? Der Syrische Nationalrat (SNC) fordert das, während die andere große oppositionelle Gruppierung, das Nationale Koordinationskomitee für den demokratischen Wandel (NCC), strikt dagegen ist. Ebenso uneins sind sie in der Frage nach einer Bewaffnung der Freien Syrischen Armee: Während der SNC dafür ist, lehnt der NCC den bewaffneten Weg ab und plädiert stattdessen für stärkeren zivilen Widerstand und eine Verhandlungslösung. Allerdings geht es auch ihm ausdrücklich um Verhandlungen über einen Übergang Syriens in eine Demokratie - und nicht um den Verbleib Assads an der Macht.

Auch von der Zukunft Syriens haben die beiden Gruppen unterschiedliche Vorstellungen.

Das stimmt. Zwar sprechen beide Gruppierungen von einem neuen, einem zivilen und demokratischen Syrien. Aber das NCC formuliert Vorstellungen, die viel weiter gehen: Es fordert eine klare Trennung zwischen Staat und Religion sowie gesetzlich verbriefte Rechte für alle Bürger, ungeachtet ihrer konfessionellen Zugehörigkeit.

Die syrische Soziologin Huda Zein (Foto: privat)
Huda ZeinBild: Huda Zein

Wie erklären sich diese unterschiedlichen Vorstellungen?

Das NCC ist insofern homogener als der Nationale Rat, als die in ihm vertretenen Gruppen alle dem linken Spektrum entstammen. Zwar gibt es auch gemäßigt islamische Mitglieder, aber der Tendenz nach ist das NCC eher nach links ausgerichtet. Der SNC ist dagegen viel konservativer ausgerichtet. Er wird von den Muslimbrüdern dominiert, die natürlich ihre Vorstellungen durchzusetzen versuchen.

Während das NCC überwiegend in Syrien selbst agiert, hat der SNC seinen Sitz im Ausland, genauer: in der Türkei. Hat das auch Auswirkungen auf die Politik der beiden Gruppierungen?

Ja. Das NCC agiert natürlich unter ungleich schwierigeren Sicherheitsbedingungen als der SNC. Aber dafür ist der NCC in gewisser Weise unabhängiger. Der SNC steht unter dem Einfluss des Westens, derjenigen Länder, aus denen heraus er agiert. Man kann beobachten, dass verschiedene regionale Staaten - Saudi Arabien, Katar, die Türkei - großen Einfluss auf seine Entscheidungen und Äußerungen haben. Dasselbe gilt für die Freie Syrische Armee, deren militärische Führung sich ebenfalls im Ausland aufhält.

Soldaten der Freien Syrischen Armee beim Straßenkampf in Homs, 22.4. 2012. (Foto:AP)
Erhalten Befehle aus dem Ausland: Soldaten der Freien syrische ArmeeBild: dapd

Der SNC ist im Ausland viel bekannter als das SNC. Welche Folgen hat dieses mediale Ungleichgewicht?

Während der SNC in den internationalen Medien präsent ist und aus dem Ausland auch finanzielle Unterstützung erhält, ist das NCC vor allem auf sich selbst angewiesen, finanziell wie medial. Darum scheint es im Ausland so, als vertrete allein der SNC die syrische Bevölkerung. Einerseits trifft das zu, andererseits muss man aber auch sagen, dass keine der beiden Gruppierungen die gesamte syrische Opposition vertritt. Keine von ihnen hat hier ein Monopol.

Welche Folgen hat die Zerstrittenheit der Opposition?

Vor allem hat das die Konsequenz, dass sich die syrische Bevölkerung allein gelassen fühlt. Die Menschen haben den Eindruck, dem Regime ganz allein gegenüber zu stehen. Sie erhalten weder von der internationalen Gemeinschaft noch von den Staaten innerhalb der Region Unterstützung. Außerdem hat die Zerstrittenheit der beiden Gruppen bislang verhindert, dass sie sich auf eine gemeinsame politische Führung einigen konnten. Das wäre aber sehr wichtig, denn nur so lassen sich politische Forderungen durchsetzen. In letzter Zeit haben sich zudem weitere Oppositionsgruppen unterschiedlichster Couleur gebildet. Aber auch sie sind bislang noch zerstritten und haben sich nicht zur Zusammenarbeit entschließen können.

Szene aus Damaskus vor dem syrischen Wahlkampf, 1.5. 2012 (Foto: Reuters)
Vergebliche Vielfalt. Szene aus dem syrischen WahlkampfBild: Reuters

Welche Hilfe könnte die Internationale Gemeinschaft denn sinnvollerweise leisten?

Sie sollte mit allen Oppositionsgruppierungen Gespräche führen, und nicht nur mit einer einzigen. Auf diese Weise könnte sie einen gewissen Einfluss oder gar Druck auf sie ausüben, um sie an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. So könnten sie einen gemeinsamen Plan für den Widerstand gegen Assad und für die weitere Zukunft Syriens entwickeln. Sinnvoll wären außerdem humanitäre Hilfe, kalkulierte Sanktionen sowie weitere politische Druckmittel. Das schließt verstärkte und ernsthafte Anstrengungen für die Schaffung friedlicher Alternativen ebenso ein wie internationale Gespräche mit allen Konflikt- und Interessenparteien und mit allen Oppositionskoalitionen.

Das klingt fast, als hätten die beiden Oppositionsgruppen einen großen Teil der Arbeit noch vor sich.

Ja, unbedingt. Die beiden großen Oppositionsgruppen tragen historische Verantwortung für den revolutionären Widerstand und für die Zukunft Syriens. Und keine der beiden hat ihre Aufgabe bislang angemessen erfüllt. Beiden fehlen umfassende Konzepte für die Übergangszeit wie auch die Zeit nach Assad. Die bisherigen Entwürfe weisen zwar einen Weg, reichen aber nicht aus. Es fehlt ein umfassendes Konzept, für die Zeit nach dem Sturz des Regimes, damit das Land nicht ins Chaos stürzt. Denn Syrien ist mit seinen vielfältigen, fragmentierten Strukturen ein wunderbares Land. Die Menschen dort kämpfen für die wichtigsten Rechte überhaupt: für Freiheit und Würde. Dafür bezahlen sie einen sehr hohen Preis. Die Internationale Gemeinschaft sollte sie untersützen.

Dr. Huda Zein ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin
am "Centrum Naher und Mittlerer Osten" der Universität Marburg. Sie ist außerdem Mitglied in Führungsrat des NCC, des Nationalen
Koordinationskomittees.