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"Flugzeug im Sturm"

Ralf Bosen6. Juni 2012

Nach Plänen der EU soll ein Spitzenteam Vorschläge zur Rettung der Eurozone liefern. Doch EU-Parlamentspräsident Schulz zeigt sich im DW-Interview desillusioniert. Er fordert konkretes Handeln.

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European Parliament President Martin Schulz holds a news conference during a European Union summit in Brussels January 30, 2012. European leaders will struggle to reconcile austerity with growth on Monday at a summit due to approve a permanent rescue fund for the euro zone and put finishing touches to a German-driven pact for stricter budget discipline. REUTERS/Eric Vidal (BELGIUM - Tags: POLITICS BUSINESS)
Martin SchulzBild: REUTERS

Unter den Spitzenvertretern der Europäischen Union scheint man sich einig zu sein, dass die Währungsunion mit nur kurzfristigen und kleinen Maßnahmen nicht zu retten ist. Bis zum EU-Gipfel am 28. Juni soll ein Team um EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy weitreichende Reformpläne vorlegen, um die Krise dauerhaft zu entschärfen. Neben Van Rompuy arbeiten Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi an den Vorschlägen. Diese Entwicklung ist Thema des Gesprächs mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Deutsche Welle: Herr Parlamentspräsident, bis zum nächsten EU-Gipfel soll ein Team um EU-Ratschef Van Rompuy Pläne für eine EU-Reform vorlegen. Inwieweit werden die Vorstellungen des Parlaments in die Reform-Überlegungen einfließen?

Martin Schulz: Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, werden die Maßnahmen - insbesondere zur verstärkten Bankenregulierung, zur Schaffung eines Einlagefonds, der Banken stabilisieren soll, all das was man unter Bankenunion zurzeit diskutiert - Maßnahmen sein, die das Europäische Parlament schon im Jahr 2010 vorgeschlagen hat. Das ist das übliche Vorgehen. Wir schlagen im Europa-Parlament Gesetzesmaßnahmen vor, die in der Regel mit einer Schrecksekunde von zwei Jahren von den Regierungschefs aufgenommen werden und anschließend als Masterplan bezeichnet werden. Insofern war Parlament schon vor zwei Jahren weiter, als es die Masterplaner heute sind.

Im Zusammenhang mit den Reformen ist von einer vertieften Wirtschaftsunion die Rede. Bundeskanzlerin Merkel sprach sogar davon, dass man eine politische Vision für Europa aufzeichnen müsse. Läuft Merkel und die Union möglicherweise Gefahr, Erwartungen zu wecken, die angesichts der Krisenlage nicht erfüllbar sind? Wie schätzen Sie das ein?

Wir hatten am 23. Mai den 24. Gipfel seit Beginn der Krise. Und jeder Gipfel gilt zwischenzeitlich als historisch. Das läuft jetzt seit fast vier Jahren so. Und jetzt stehen wir wieder vor einem neuen Gipfel mit einem Masterplan und einer politischen Vision von einer Europäischen Union. Ja, wenn es denn mal so käme, wären wir sehr froh.

Schulz steht neben Papandreu bei einer offiziellen Begrüßung (Foto: dpa - Bildfunk)
Bei seinem Griechenland-Besuch im Februar traf Schulz Giorgos Papandreaou, Chef der Sozialistischen ParteiBild: picture-alliance/dpa

Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich das Flugzeug in einem Sturm befindet und die Piloten darüber nachdenken, ob man nicht die Motoren ausbauen könnte. Was wir brauchen, sind beim nächsten Europäischen Rat ganz konkrete Maßnahmen zur Investitionsanregung. Was machen wir mit den 15 bis 20 Milliarden nicht genutzten Fondsmittel der Europäischen Union? Was machen wir zur Beschäftigung von jungen Leuten in Ländern mit einer Arbeitslosigkeit von 20 bis 50 Prozent? Was machen wir mit der Energieeffizienz-Richtlinie?

Das Europa-Parlament steht Gewehr bei Fuß, eine Energieeffizienz-Richtlinie zu verabschieden, die 100.000 Arbeitsplätze schaffen könnte. Wer das nicht auf die Reihe kriegt, ist der Rat der Europäischen Staaten. Also, ich bin zwischenzeitlich desillusioniert, als dass ich glauben würde, dass diese groß propagierten Vorschläge wirklich die Wende bringen.

Ist also ein kurzfristiges Krisenmanagement im Moment nicht in Sicht? Eher politische Theorien?

Im vergangenen Jahr hatten das Europäische Parlament das sogenannte Sixpack angenommen: Sechs Richtlinien und Verordnungen zur Bankenregulierung, zur besseren Aufsicht auf die Haushalte, zum Ausgleich des wirtschaftlichen Ungleichgewichtes in Europa. Das ist am 26. Oktober 2011 als historischer Durchbruch gefeiert worden. Drei Wochen später hörten wir, das reicht nicht. Jetzt brauchen wir den Fiskalpakt. Jetzt haben wir den Fiskalpakt - der wird gerade ratifiziert – jetzt hören wir, wir brauchen eine Vision, wir brauchen einen Masterplan. Ja was denn jetzt? Ich dachte, mit dem Fiskalpakt hätten wir den richtigen Weg eingeschlagen.

Wir brauchen konkrete Maßnahmen wie in den Ausbau der Breitbandnetze oder in den Ausbau erneuerbarer Energien – kein Land braucht das übrigens mehr als Deutschland. Wir brauchen Investitionen in Forschung und Qualifizierung. Die kann man morgen beschließen. Wir brauchen regionale Strukturfördermaßnahmen für strukturschwache Regionen. Wir brauchen ein Mikrokreditprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen.

Éin Gruppenfoto der Gipfelteilnehmer (Foto:AP/dapd)
Die Teilnehmer des EU-Gipfels Anfang März in BrüsselBild: dapd

Lassen Sie uns über die Stimmung in Europa sprechen. Viele Spitzenpolitiker und Experten fordern ein „mehr an Europa“. Sie haben einige Punkte angesprochen. Allerdings gibt es immer mehr Kritik an der europäischen Idee. Was müsste die EU Ihrer Ansicht nach tun, um die Menschen wieder für die Idee eines geeinten Europas zu begeistern?

Ich glaube, die Idee des geeinten Europas ist unbestritten. Wenn ich mit Menschen rede, sagen die mir, dass wir im 21. Jahrhundert für die internationalen Handelsströme, für die internationalen Währungsströme, für die Wanderungsbewegungen, für den Kampf gegen den Klimawandel, transnationale Lösungen brauchen.

Das wir dafür die Kraft der Europäischen Union brauchen. Das ist unbestritten. Aber die Europäische Union muss auch ihre Arbeit tun können und deshalb sage ich Ihnen in der Beantwortung Ihrer Frage: Sie haben Recht. Zu dem Zeitpunkt, wo wir mehr europäisches Handeln brauchten, wenden sich immer mehr Menschen von diesem europäischen Handeln ab. Und warum? Es ist nicht die Europäische Union, die die Bundesrepublik Deutschland erschaffen hat. Es ist nicht die Europäische Union, die Frankreich erfunden hat. Es ist nicht die Europäische Union, die Schweden kreiert hat oder Italien. Es sind die Mitgliedsländer der EU, die die Europäische Union schaffen. Und die Europäische Union ist so stark, wie ihre Mitgliedsstaaten wollen, dass sie stark ist.

(Foto: REUTERS)
Schulz im Gespräch mit Bundeskanzlerin MerkelBild: Reuters

Die Krise Europas ist eine Krise der Uneinheitlichkeit des Handelns der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten. Und deshalb hoffe ich, dass es beim nächsten Gipfel endlich einen Wechsel gibt zu mehr Vorrang für die Gemeinschaftslösungen, statt  - wie wir heute sehen - 27 Regierungschefs, die immer mit einem Auge nach Hause schauen.

Martin Schulz (geboren am 20. Dezember 1955) ist Mitglied der SPD für die er seit 1994 im Europäischen Parlament sitzt. Seit Januar 2012 ist Schulz Parlamentspräsident.