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Interview mit Buchautor Manfred Paulus

20. Juni 2011

Schärfere Gesetze gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution fordert Kriminalhauptkommissar a.D. und Buchautor Manfred Paulus. Denn bislang könnten sich die Kriminellen in juristischen Nischen bequem einrichten.

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Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a.D. und Buchautor des Titels "Frauenhandel und Zwangsprostitution. Tatort Europa" (Foto: privat)
Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a.D.Bild: privat

Manfred Paulus ist Erster Kriminalhauptkommissar a.D. und hat als leitender Beamter bei der Kriminalpolizei in Ulm zweieinhalb Jahrzehnte lang gegen die Kriminalität im sogenannten Rotlichtmilieu gekämpft. Er hat das Buch "Frauenhandel und Zwangsprostitution. Tatort Europa" geschrieben und leistet bis heute als Pensionär Präventionsarbeit in den Herkunftsländern der betroffenen Frauen. Andrea Grunau hat mit ihm gesprochen.

DW: Herr Paulus, ist Deutschland bisher ein guter Standort für Menschenhändler?

Manfred Paulus: Deutschland ist zumindest kein schlechter Standort für Menschenhändler. Das zeigt ja auch der Anteil von ausländischen Frauen, die wir heute in Deutschland im Milieu haben. Die Städte gehen von fünfzig, teilweise sogar bis zu achtzig Prozent aus, die allermeisten davon heute aus Osteuropa und Südosteuropa. Deutschland ist Wunsch- und Zielland Nummer Eins, wenn Sie so wollen.

Das Buch "Frauenhandel und Zwangsprostitution. Tatort Europa" von Manfred Paulus
Cover des Buches "Frauenhandel und Zwangsprostitution. Tatort Europa" von Manfred PaulusBild: VDP Sachbuch

Woran liegt das?

Nun, die Bedingungen bei uns sind nicht gerade täterfeindlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind eher täterfreundlich. Wenn ich an das Prostitutionsgesetz von 2002 denke - in seiner praktischen Auswirkung ist es sicher ein Zuhälter-Schutzgesetz. Es kann nicht sein, dass ich Bordellbetreibern und Zuhältern ein Weisungsrecht einräume, selbst wenn es eingeschränkt ist. Wer soll das denn einschränken? Das ist geradezu absurd und spielt natürlich den Tätern in die Hände.

Was müsste geschehen?

Ich glaube, wir müssen mehr kontrollieren, wir müssen den Stellenwert des Delikts erhöhen. Die Opfer können nicht zu uns kommen, wir müssen zu ihnen gehen. Was die letzten Jahre geschehen ist, das verhindert eher Kontrollen. Wir haben das Geschlechtskrankheitengesetz abgeschafft. Das war immer eine Möglichkeit für die Polizei, Kontakte zu knüpfen, Opfer zu erkennen, Verbrechen zu erkennen. Diese Möglichkeit haben wir nicht mehr. Mit dem Prostitutionsgesetz wurde die Förderung der Prostitution gestrichen. Das war ein Ermittlungstatbestand, den haben wir nicht mehr. Der Menschenhandel, der Frauenhandel boomt, auch nach Deutschland hin, und das darf nicht verkannt werden. Die Polizei muss hier weiterhin kontrollieren. Natürlich gehört auch dazu, dass angemessene Urteile ergehen. Wir stellen vermehrt fest, dass es bei den Gerichten immer wieder zu Deals zugunsten der Täter kommt.

Es wird argumentiert, dass manche der von Menschenhandel betroffenen Frauen vorher wissen oder ahnen, dass sie in Deutschland der Prostitution nachgehen sollen, dass sie also freiwillig im Milieu arbeiten. Was sagen Sie dazu?

Da kann ich dazu sagen, dass sich keine Frau freiwillig im Viertelstundenrhythmus oder im Stundenrhythmus mehr oder weniger appetitlichen Freiern oder perversen Freiern hingibt, ohne letztlich etwas davon zu haben. Viele Frauen sind eben fremdbestimmt im Milieu, sie können nicht tun und lassen, was sie selber wollen. Also dieses Wort freiwillig ist sehr, sehr gefährlich, meine ich. Die Drohung gegen den kleinen Bruder oder die Eltern oder ähnliches genügt meistens zur Einschüchterung.

Warum ist es so schwer, gegen die Kriminalität im Rotlichtmilieu vorzugehen?

Ich glaube, es ist keinem anderen gesellschaftlichen Bereich gelungen, Rechtsstaatlichkeit so auszuhebeln wie diesem Milieu im Rotlicht. Die fragen nicht nach unseren Gesetzen, die haben eigene Gesetze. Sie haben eigene Wertvorstellungen und eine eigene Sprache. Sie haben eigene Ermittler, eigene Richter und eigene Henker, wenn es sein muss. Sie fragen nicht nach unserem System, und die Abgeschlossenheit des Milieus macht es natürlich auch den Gerichten schwer. Sie haben hier häufig nicht die Zeugenaussagen, die wir brauchen, die werden häufig wieder umgekippt.

Warum trauen sich viele Frauen nicht, gegen die Täter auszusagen?

Das tun sie deshalb nicht, weil der Druck, die Drohungen von Zuhälterseite überwiegen. Die Milieugesetze haben den obersten Grundsatz: Alles was gesagt oder getan wird und dem Milieu schaden könnte, das ist Verrat. Und Verrat ist die größte Verfehlung, die man im Milieu begehen kann. Das lernen die Frauen in ihrer ersten Lektion, da haben sie oft deutschen Boden noch gar nicht betreten, dass sie sich an diese Milieugesetze halten müssen. Und sie lernen im übrigen keine anderen Gesetze kennen. Sie erreichen auch das Deutschland nicht, das wir kennen. Die landen in dieser Subkultur Rotlichtmilieu mit ihren eigenen Gesetzen. Und da lernen sie sehr schnell, denen ist nachzukommen. Tun sie das nicht, dann werden sie das sehr schnell zutiefst bereuen.

Sind sie der Meinung, dass Politik und Gesellschaft in Deutschland sich genügend für die Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution engagieren?

Da ist eine Doppelmoral erkennbar. Jeder verdammt diese Kriminalität zutiefst - und abends gehört man dann zu den Kunden. Das haben Sie auf allen Ebenen, es bricht ja immer wieder durch, auch bei Prominenten und Leuten, die mit Macht und Einfluss ausgestattet sind. Auch die verkehren im Milieu. Das ist übrigens eine Milieustrategie, diesen Personen sich zu nähern, eine Strategie, die doch immer mehr aufgeht. Es sind natürlich Machtverschiebungen, die sich daraus ergeben, zugunsten des Milieus. Das hat mich auch oft frustriert, aber das sollte uns noch mehr zum Kampf gegen diese Kriminalität aufrufen. Wenn man die Opfer sieht, das ist schon dramatisch, was sich hier im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland zum Teil abspielt.

Interview: Andrea Grunau
Redaktion: Hartmut Lüning