1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Duo Merkel-Hollande

Daphne Grathwohl15. Mai 2012

Der erste Staatsbesuch führt den neuen französischen Präsidenten François Hollande nach Berlin. Merkel und Hollande haben mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt, meint Frankreich-Expertin Claire Demesmay im DW-Interview.

https://p.dw.com/p/14vdB
Dr. Claire Demesmay, Leiterin des Programms Frankreich und deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Foto: privat
Bild: DGAP

Deutsche Welle: Frau Demesmay, in der Politik braucht man kein freundschaftliches Verhältnis, haben Sie in einem Interview für die Deutsche Welle gesagt. Worauf kommt es dann an?

Claire Demesmay: Ich glaube, dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Deutschland und Frankreich gut zusammenarbeiten. Die erste ist der Wille, mit dem Partner zusammenzuarbeiten. Die zweite Bedingung ist die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und seine Position zu verstehen. Und die dritte Bedingung ist, ein Vertrauensverhältnis aufbauen zu können. Zwischen Hollande und Merkel sind, glaube ich, die ersten beiden Bedingungen erfüllt. Das Vertrauensverhältnis braucht natürlich ein bisschen mehr Zeit. Dafür ist auch das Treffen am Dienstag in Berlin sehr wichtig, damit sich die beiden persönlich kennenlernen und sich ein solches Vertrauensverhältnis entwickeln kann.

Wie groß sind die inhaltlichen Unterschiede - nachdem der Wahlkampf vorüber ist - tatsächlich?

Es gibt schon große Unterschiede. Hollande setzt auf Wachstumsförderung, im Gegensatz zu Angela Merkel, die  für Sparpolitik und für strukturelle Reformen plädiert. Ich denke aber, dass sie Kompromisse finden werden, und zwar ziemlich schnell. Hollande ist nicht grundsätzlich gegen Haushaltsdisziplin - er hat immer gesagt, er nimmt Haushaltsdisziplin ernst. Und die Bundeskanzlerin ist natürlich auch nicht gegen Wachstum. Insofern erwarte ich nicht, dass Hollande den Fiskal-Vertrag neu verhandelt, aber dass er als Gegenleistung mehr Initiative für Wachstumsförderung verlangt. Und in diesem Bereich wird er Rückenwind von der deutschen Innenpolitik bekommen.

Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bei der die SPD gewonnen hat, ist Angela Merkel ziemlich unter Druck geraten. Und auch auf europäischer Ebene mehren sich die Stimmen gegen den Sparkurs. Wird die Bundeskanzlerin nun eher Zugeständnisse machen müssen?

Ich denke, dass beide Zugeständnisse machen werden. Hollande wird den Fiskalvertrag nicht neu verhandeln. Er wird auch mehr Haushaltsdisziplin umsetzen müssen. Das ist nicht nur eine Frage des innenpolitischen Willens, sondern auch eine Frage der externen Akteure. Frankreich steht unter Beobachtung von Rating-Agenturen. Hollande kann sich nicht den Luxus leisten, einfach neue Schulden zu machen. Und Angela Merkel wird auch Zugeständnisse im Bereich der Wachstumsförderung machen. Die Frage ist, wie diese Initiativen finanziert werden: Für sie kommt nicht in Frage, dass der Wachstum durch Schulden finanziert wird. Infrage käme ein anderer, flexiblerer Einsatz des Strukturfonds, oder eine andere Rolle für die europäische Investitionsbank. Aber man spricht auch von der Finanztransaktionssteuer, die im Wahlkampf in Frankreich eine große Rolle gespielt hat. Das wäre eine Möglichkeit für die beiden, einen Kompromiss zu schließen - und zwar einen, der für ganz Europa tragbar wäre.

Manche sagen, Hollande und Merkel würden vom Temperament her besser zusammenpassen als zuvor Sarkozy und Merkel, und könnten daher auch besser zusammenarbeiten. Wie ist Ihre Einschätzung?

Das glaube ich auch. Beide sind Pragmatiker, sie sind kompromissbereit. Was Hollande mit der Sozialistischen Partei in Frankreich erreicht hat, war nicht unbedingt einfach: Jahrelang war seine Partei sehr gespalten, und er konnte diese Partei einen. Das hat auch Merkel mit der CDU geschafft. Daraus schließe ich, dass beide pragmatisch denken, dass beide bereit sein werden, zeitnah mit dem anderen Partner zusammenzuarbeiten, und dass sie dabei nicht unbedingt ideologisch denken werden. Ich erwarte, dass sie Kompromisse machen können - deutsch-französische Kompromisse, deutsch-französische Zugeständnisse und, ja, vielleicht entwickelt sich daraus dann auch eine Freundschaft.

Dr. Claire Demesmay leitet das Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Sie ist spezialisiert auf die deutsch-französischen Beziehungen, die Europa- und Innenpolitik Frankreichs sowie auf deutsche und französische Migrations- und Integrationspolitik.