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"Europa hat zu viele Grenzen"

Emir Numanovic26. November 2015

Südosteuropa braucht mehr Investitionen, fordern Wirtschaftsexperten beim Vienna Economic Forum. Doch die europäische Wirtschaft stockt - und es fehlt an Arbeitsplätzen.

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Symbolbild für Wirtschaftswachsum: Ansicht von Baukränen und einem Containerschiff (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images/A.-C. Poujoulat

Die europäische Wirtschaft braucht tiefgreifende Reformen: Davon ist Herbert Stepic überzeugt. Bei der Raiffeisen Bank International beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Finanzierung von Investitionen in Südosteuropa. "In erster Linie sollte Europa über seine hohen Steuern nachdenken. Steuersätze von etwa 40 Prozent können ganz schön abschrecken", sagt er auf dem Vienna Economic Forum in der österreichischen Hauptstadt. Das Ziel des Forums ist, die regionale wirtschaftliche Kooperation zu fördern. Zu den Mitgliedern gehören neben Österreich die Länder des Westbalkans und andere Staaten aus Mittel- und Osteuropa.

Ein weiteres Problem für Europa ist aus der Sicht von Stepic, dass es bei der Banken-Regulierung große Unterschiede zwischen den Ländern gebe: "Banken müssen jetzt genügend Eigenkapital haben, damit sie nicht mehr mit staatlichem Geld gerettet werden müssen. Doch wie viel Eigenkapital ist genug?" Er beklagt, dass es unterschiedlich geregelt sei. "In einem Land sind das sieben Prozent, in einem anderen 23, im dritten gar 50, und wenn eine Bank international tätig ist und Investitionen in Südosteuropa finanzieren will, dann hat sie hundert verschiedene Regularien zu erfüllen." Das erschwere Investitionen.

"Gute Beziehungen zwischen südosteuropäischen Ländern nötig"

Dabei seien diese gerade in Südosteuropa dringend notwendig - und sie müssten unbürokratisch ablaufen, damit Europa als gesamter Kontinent agieren könne und nicht nur als EU. Nur so könne Europa international konkurrenzfähig bleiben, nur so sei der europäische Markt groß genug, um mit den asiatischen oder amerikanischen Märkten zu konkurrieren, gibt auch Erhard Busek zu bedenken. Er ist der Präsident des Vienna Economic Forum (VEF). "In erster Linie sind ein guter interner Austausch und gute Beziehungen zwischen den südosteuropäischen Ländern selbst nötig, die dann sozusagen als 'Gesamtpaket' an die EU angebunden werden können und so auch zum gemeinsamen Wachstum beitragen können", sagt Busek.

Erhard Busek, Präsident des Vienna Economic Forum (Foto: DW)
Erhard Busek: Guter interner Austausch wichtigBild: DW/E.Numanovic

Bereiche, in die investiert werden kann, gibt es in Südosteuropa genug: Darüber sind sich die Experten beim Vienna Economic Forum einig. Dazu gehören in erster Linie Infrastruktur und Energie, Elektrizität, Telekommunikation und Tourismus. Hier ist die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung aktiv, bei der Holger Muent für Projekte in den Ländern des Westbalkans zuständig ist. "Unsere Konnektivitätsagenda deckt die Bereiche Straße, Bahn und Elektrizitätsverbindungen zwischen den Ländern ab. Zum Thema Eisenbahn haben wir gerade letztes Jahr ein großes Projekt in Mazedonien abgeschlossen, also Korridor 8, der eine Ost-West-Verbindung durch den Balkan herstellt." In diesem Jahr sei auch ein Eisenbahn-Projekt im Kosovo fertig geworden. "Im Straßenbereich hoffen wir, dass wir bis Ende des Jahres in Bosnien das Projekt Korridor 5c abschließen können, da arbeiten wir mit der europäischen Investmentbank zusammen", sagt Muent.

Bessere Zertifizierung von Produkten

All diese Verbindungen sollen dann an wichtige europäische Korridore angeschlossen werden, was den gesamten Raum der Europäischen Union näher bringt. Grundsätzlich gehe es aber darum, einen Raum zu schaffen, in dem der interne Austausch gut funktioniert - sowohl bei Waren als auch bei Dienstleistungen.

Beim Austausch von Waren könnte es aber noch Verbesserungen bei der Zertifizierung und Registrierung von Produkten geben, mahnen die Experten beim Vienna Economic Forum. Wenn ein Produkt beispielsweise bereits in Bulgarien zertifiziert wurde, sollte nicht dieselbe Prozedur in Rumänien wiederholt werden. Verbesserungen in diesem Bereich sowie die Förderung eines guten politischen Klimas allgemein hat sich der sogenannte Berliner Prozess auf die Agenda gesetzt: Jährlich treffen sich Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik, die daran arbeiten, die wirtschaftlichen Beziehungen der Westbalkan-Länder zu verbessern und Investitionen voranzutreiben.

Neue Verkehrswege in Südosteuropa

Einige europäische Unternehmen profitieren bereits davon. Verbesserungen im Straßennetz ermöglichen es zum Beispiel der österreichischen Post, in Südosteuropa zu wachsen. Sie ist mittlerweile in Kroatien, der Slowakei, der Türkei, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina präsent und mit 17.000 Zustellfahrzeugen auf den neuen Verkehrswegen unterwegs. Das hat den Umsatz des Unternehmens fast verzehnfacht, neue Arbeitsplätze geschaffen und damit auch die europäische Wirtschaft angekurbelt.

Holger Muent von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Foto: DW)
Holger Muent: Großprojekt in Mazedonien abgeschlossenBild: DW/E.Numanovic

Auch Unternehmen in Südosteuropa können die neuen Chancen und besseren Verkehrswege nutzen - ein Beispiel dafür ist das erfolgreiche bulgarische Pharmaunternehmen Sopharma. "Als wir noch ein kleiner Pharmaproduzent waren, hatten wir 200 Mitarbeiter", sagt Geschäftsführer Ognian Donev. "Heute sind wir eine Healthcare-Dienstleister und haben 1200 Mitarbeiter. Wir haben auf den Bedarf im Bereich der medizinischen Dienstleistungen reagiert und sind froh, dass auch die Banken dieses Potenzial erkannt und uns finanziert haben." Sopharma produziert inzwischen auch in der Ukraine, Serbien und Weißrussland. "Der Transport unserer Waren über die Grenzen hat von Anfang an gut geklappt. Das war für den Erfolg entscheidend", sagt Ognian Donev.

Doch ein Problem bleibt - auch mit besseren Verkehrswegen und intensiver wirtschaftlicher Kooperation. "Europa hat einfach zu viele Grenzen", sagt Herbert Stepic von der Raiffeisen Bank International. Wenn sie der Wirtschaft nicht im Wege stünden, wäre das im Interesse aller Europäer.