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Irak nach Truppenabzug

22. Dezember 2011

Wenige Tage nach dem Abzug der letzten US-Truppen wird der Irak von einer Anschlagsserie und einer schweren Regierungskrise erfasst. Das Land war auf die Souveränität nur schlecht vorbereitet, meint Daniel Scheschkewitz.

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Symbolbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Mit vorsichtigem Optimismus hatte die Weltöffentlichkeit den Abzug der letzten US-Truppen aus dem Irak am vergangenen Sonntag begleitet. Oberflächlich betrachtet schien das Land knappe neun Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner und der Befreiung vom Joch des Diktators Saddam Hussein auf einem halbwegs guten Weg in eine souveräne Zukunft zu sein. Ein trügerischer Eindruck, wie sich jetzt herausstellt: Über 70 Tote bei einer der schlimmsten Anschlagsserie seit Monaten und eine eskalierende Regierungskrise haben das Land an den Rand des Bürgerkriegs zurückgeführt.

Daniel Scheschkewitz, Zentrale Programmredaktion (Foto: DW)
DW-Redakteur Daniel ScheschkewitzBild: DW

Dabei stehen die jüngsten Anschläge und die sich zeitgleich zuspitzende Regierungskrise allem Anschein nach in keinem ursächlichen Zusammenhang. Die Anschläge richteten sich gegen Angehörige aller ethnischen Gruppierungen, sie ereigneten sich sowohl in schiitischen wie in sunnitischen Wohnvierteln der Hauptstadt. Sie dürften auf das Konto von Terroristen im Umfeld der irakischen Al Kaida gehen, denen so kurz nach dem Abzug der Amerikaner an einem schlagkräftigen Existenzbeweis gelegen war.

Am Rande eines Konfessionskrieges

Und dennoch könnten die Anschläge Wasser auf die Mühlen des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki sein, der dem sunnitischen Vizepräsidenten Tarik al Haschimi die Planung terroristischer Aktivitäten unterstellt und ihn von der regierungsgesteuerten Justiz per Haftbefehl suchen lässt. Haschemi ist in den kurdischen Norden des Landes geflohen, wohin der Arm der staatlichen Justizbehörden nicht reicht. Die Terroranschläge und die Regierungskrise haben jedoch eines gemein. Sie zeigen, dass die Sicherheitslage im Irak ebenso brüchig ist, wie die politische Machtteilung fragil war. Das Land steht am Rande eines Konfessionskrieges, dem nun auch keine Besatzungstruppen mehr Einhalt gebieten könnten.

Schiiten versuchen Macht zu konsolidieren

Unter Führung der USA hatten sich die Religionsgruppen auf eine fragile Machtteilung geeinigt. Demnach hat der schiitische Ministerpräsident einen sunnitischen und einen kurdischen Stellvertreter, desgleichen der Parlamentspräsident. Doch der dem Iran nahestehende Ministerpräsident al-Maliki hat die Zeiten der Quoten für beendet erklärt. Ihm geht es um die Konzentration aller Macht in seinen Händen. Nicht umsonst erließ er den Haftbefehl gegen den Sunniten Haschimi, einen der wenigen Sunniten die sich überhaupt am politischen Staatsaufbau beteiligt hatten, genau einen Tag nach dem Abzug der letzten amerikanischen Truppen. Im irakischen Staatsfernsehen wurden gleich darauf angebliche "Geständnisse" von Leibwächtern Haschemis ausgestrahlt.

Amerikas Versäumnisse

Nun rächt es sich, dass die USA in ihrer Besatzungszeit den Aufbau rechtstaatlicher Institutionen und unabhängiger Medien genauso vernachlässigt haben wie den notwendigen Aussöhnungsprozess im Bereich der Zivilgesellschaft. Hauptsache das Land sei bald in der Lage, die eigene Sicherheit zu organisieren, lautete die kurzsichtige Devise der USA. Doch selbst dazu dürfte das Land, nach allem was wir heute wissen, kaum in der Lage sein. Entgegen allen Ratschlägen führender Militärs hat Washington auf die Stationierung einer verbleibenden Resttruppe aus Geldmangel verzichtet. Das könnte sich jetzt rächen. Hinzu kommt ein mangelndes Verständnis für die tief verwurzelten kulturellen Gegensätze in einer Gesellschaft, die nur durch die brutale Allmacht eines Diktators zusammengehalten wurde.

Knappe neun Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins kämpfen in dem tief gespaltenen Land Schiiten und Sunniten erbittert um die Macht. Die nationale Versöhnung der vergangenen Jahre entpuppt sich als oberflächliches Stückwerk, von den Akteuren notdürftig inszeniert, ohne ein tragfähiges gesellschaftliches Fundament. Eine von den regierungstreuen Medien entfachte Hetze gegen die sunnitische Minderheit durchzieht das Land, und der Terror zeigt erneut sein hässliches Gesicht. Amerika geht, das Chaos kommt – ein von vielen befürchtetes Szenario droht schneller einzutreten, als selbst die schlimmsten Pessimisten es befürchtet hatten.

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Klaus Jansen