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Zwischen Angst und Hoffnung

Birgit Svensson23. Dezember 2014

Verfolgt und verschleppt: Der Terror des IS hat hunderttausende Christen aus dem Irak vertrieben. Die Verbliebenen fordern Schutz durch UN-Truppen - und freuen sich auf Weihnachten. Ein Ortsbesuch von Brigit Svensson.

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Irakische Christen feiern eine Messe in Bagdad (Foto: AFP)
Bild: Ahmad Al-Rubaye/AFP/Getty Images

"Die Christen im Irak sind wie die Glut, die noch unter der Asche glimmt." Pater Joseph ist aus dem Libanon nach Alqosch gekommen, um seinen Glaubensbrüdern in schweren Zeiten beizustehen. Im Kloster "Unserer lieben Frau" am Fuße der Dohuk-Berge wird emsig der Heilige Abend vorbereitet. Gläubige stellen Kerzen auf und hängen rote und weiße Tücher in die Räume - das Weihrauchfass wird vorbereitet. Die Krippenfiguren liegen noch in mit Stroh bedeckten Kartons. Als der Angriff von Daesh kam, waren sie im Keller eingemauert - für alle Fälle.

Mit dem arabischen Wort Daesh werden hier die Kämpfer der Dschihadistenmiliz vom "Islamischen Staat" (IS) bezeichnet. Auch für die Christen ist Daesh zum Schreckgespenst geworden. Über zwei Millionen Menschen sollen laut UN-Angaben vor dem IS auf der Flucht sein. Anfang August überrannten die Kämpfer auf ihrem Weg in die Kurdenmetropolen Erbil und Dohuk die 60.000 Einwohner zählende Christenstadt Karakosh und alle Dörfer, die dazwischen liegen. Erst in Tilkef, nördlich von Mossul, konnten sie gestoppt werden. Von dort sind es nur noch 20 Kilometer nach Alqosch.

Christen sterben aus

Der Pater nimmt das Jesuskind aus dem Karton und platziert es in die Krippe. "Das Wichtigste ist jetzt, die Zukunft vorzubereiten", sagt Joseph aufmunternd zu seinem Glaubensbruder Gabriel. Die Vergangenheit sei dunkel. Zwei Drittel der irakischen Christen sind in den vergangenen zehn Jahren entweder ermordet worden oder haben das Land verlassen. "Zuerst wütete Al Kaida und jetzt Daesh." Christen werden massakriert, durch Bomben getötet, erschossen oder verschleppt, um Lösegeldzahlungen zu erpressen. Ihre Kirchen werden zerstört und in Brand gesteckt. Das Kloster St. Georg in Mossul, dem Alqosch untersteht, sei von den islamistischen Gotteskriegern besetzt und zum Frauengefängnis umfunktioniert worden, hat der libanesische Pater erfahren. In der einst christenreichen Stadt Mossul lebe heute kein Christ mehr. Joseph schätzt, dass lediglich noch etwa 300.000 Chaldäer im Zweistromland ausharren - von früher 1,2 Millionen. Die Chaldäer bilden die größte Gruppe der Christen im Irak. Sie sind der katholischen Kirche in Rom verpflichtet - feiern die gleichen Feste.

Alqosh Pater Gabriel und Pater Joseph vor dem Kloster in Alqosch (Foto: Svensson)
Pater Gabriel (li.) und Pater Joseph vor dem Kloster in AlqoschBild: DW/B. Svensson

Alqosch hatte Glück im Unglück. Die historische Gemeinde, deren Wurzeln bis ins 8. Jahrhundert vor Christus zurückreichen, hat überlebt. Zwei Tage vor dem Angriff von Daesh am 7. August erhielt Pater Gabriel eine Warnung des kurdischen Geheimdienstes Asayesh, dass die Terrormiliz nicht nur die Jesidenstadt Sindschar, sondern auch weitere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen wolle. Binnen weniger Stunden war der Ort leergefegt. Fluchtartig verließen 1000 Familien ihr Zuhause und flüchteten in die Berge oder nach Dohuk. Alqosch und die umliegenden Dörfer wurden zu Geisterstädten. Mittlerweile ist der Großteil der Bevölkerung wieder zurückgekehrt. Auch in den jesidischen Nachbardörfern ist wieder Leben. Die Dschihadisten haben Alqosch und die umliegenden Orte nie betreten und konnten sie so auch nicht "entweihen", wie Gabriel es deutet. Etwa 300 Familien seien nicht wiedergekommen, dafür aber 400 Flüchtlingsfamilien aus dem noch immer vom IS besetzten Karakosh. Die Gemeinde von Alqosch verzeichnet einen kleinen Zuwachs. Zu Weihnachten würden sie alle noch näher zusammenrücken. Christen aus den umliegenden Dörfern kämen dann, um die Mette im Kloster zu feiern. Gabriel hofft, dass auch einige aus dem geschundenen Mossul dabei sein werden.

Blick auf das Dorf Karakosh (Foto: DW)
Einst ein sicherer Hafen für Christen: Karakosh in der Provinz NiniveBild: DW/B.Svensson

Chaldäer sind die größte Gruppe

Was die Chaldäer von den Katholiken unterscheidet, ist zum einen, dass ihre Priester nicht dem Zölibat unterliegen. Sie dürfen heiraten und eine Familie gründen. Zum anderen steht für sie nicht das Leiden Christi im Vordergrund, sondern seine Auferstehung. Am Kreuz in chaldäischen Kirchen hängt nicht der Leichnam des Gekreuzigten. Es ist leer. "Unser Glaube ist zukunftsorientiert", erklärt der Patriarch der Chaldäer, Louis Sako, die Philosophie seiner Religion. "Wir müssen weitermachen." Pater Joseph nennt pragmatisch die Forderungen, die ein Weitermachen voraussetzen: "Wir brauchen eine Region für Christen, die von unabhängigen Sicherheitskräften geschützt wird. Wir brauchen Uno-Truppen."

Zurzeit leben im Kloster neun Priester, zwei Novizen und 14 Waisenkinder. Es gäbe aber Platz für viel mehr. Doch der ambitionierte Ausbau ist wegen der Sicherheitslage auf Eis gelegt. Der Rohbau des angrenzenden Pilgerhauses lässt die Ausstrahlung erahnen, die Alqosch und sein Kloster einmal hatten. Auch die Renovierung der ehemaligen Eremitengebäude Sankt Hormizd aus dem 7. Jahrhundert stockt. Malerisch in die Felsen gehauen, sollten die Höhlen einmal als Meditationsräume für Christen aus aller Welt dienen. Mehr als Wasserleitungen und gemauerte Fensterrahmen weisen die Höhlenzimmer derzeit jedoch nicht auf.

Eingang des Felsenklosters Sankt Hormizd (Foto: Svensson)
Stein gewordene Vergangenheit: das Felsenkloster Sankt HomizdBild: DW/B. Svensson

Keimzelle des Christentums

An Religionstourismus ist derzeit nicht zu denken. Die Chaldäer wären schon froh, wenn sie die Flucht der Christen aus dem Irak stoppen könnten. "Damit die Menschen hierbleiben, brauchen wir außer Sicherheit auch Arbeitsplätze", sagt Pater Gabriel vorausschauend. "Sie müssen Vertrauen finden."

Für Weihnachten hat sich der chaldäische Geistliche etwas ganz Besonderes ausgedacht: Er hat eine Landkarte Iraks aus Pappe hergestellt und die wechselvolle Geschichte von der Zeit der Assyrer, seiner Vorfahren, bis heute darauf vermerkt. Die Provinz Ninive, in der sich Alqosch befindet, ist ein heller Schein, "die Entstehung des Christentums". Richtung Süden werden die Farben immer dunkler, bis schließlich das Schwarz dominiert. "Wir müssen im Licht bleiben", beschwört er die Umstehenden und auch sich selbst. "Auch wenn es manchmal an die Grenzen des menschlich Erträglichen geht."