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Iranisches Blog ganz vorn

Aya Bach2. Mai 2012

"Fenster der Angst": Die persische Internetseite ist der "Best Blog" 2012. Betreiber Arash Sigarchi legt die Finger in die Wunden der iranischen Politik – doch das kann er nur noch aus dem Exil.

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Iranische Frauen in einem Internetcafe (Foto:dapd)
Bild: AP

"Es ist ein absoluter Skandal", schreibt Arash Sigarchi in seinem Blog, "doppelt beschämend für die Islamische Republik Iran." Stein des Anstoßes: Ein hochrangiger iranischer Diplomat hatte in Brasilien junge Mädchen sexuell belästigt. In westlichen Zeitungen war das ungeschminkt zu lesen. Doch die iranische Botschaft spielte die Angelegenheit als "kulturelles Missverständnis" herunter. "Das Regime gibt vor, sich an religiöse Regeln zu halten", wettert Sigarchi weiter. "Außereheliche Beziehungen gelten als Sünde und Verbrechen. Und dann das: sich an Minderjährigen vergreifen!"

Gerichtsurteil: 14 Jahre Haft

Geschichten wie diese, die in iranischen Medien nicht oder anders dargestellt werden, finden sich im Blog "Fenster der Angst", das der Journalist Arash Sigarchi seit 2008 aus dem amerikanischen Exil in Washington, D.C. betreibt. Vier Jahre zuvor war er im Iran zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt worden. Der Grund: seine kritischen Worte als Journalist.

Arash Sigarchi (Foto: privat)
Arash Sigarchi, Gewinner der BOBs 2012 in der Kategorie "Best Blog"Bild: privat

Zwar gelang es mit Hilfe seiner Anwältin, der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, das Strafmaß auf drei Jahre zu reduzieren. Doch es folgten neue Rückschläge: Sein Bruder Ashkan kam bei einem Autounfall ums Leben. Schließlich erkrankte Arash Sigarchi auch noch während der Haft an Krebs. Doch aufgegeben hat er nicht. Bei alledem habe er sich einen unbestechlichen Blick bewahrt, sagt BOBs-Juror Arash Abadpour, der selbst aus dem Iran kommt: "Trotz allem, was Sigarchi erlebt hat, ist er als Journalist nicht emotional geworden." Von anderen Dissidenten sei ihm sogar schon einmal vorgeworfen worden, zu regierungsfreundlich berichtet zu haben. Doch er halte sich eben an Fakten.

Bekanntschaft mit der Zensur

Das ist Sigarchis Devise im "Fenster der Angst" – auch wenn er persönliche Erfahrungen und Ansichten einfließen lässt. "Aber bei allem, was ich poste, bemühe ich mich um Fairness, Ausgewogenheit und Wahrheit. Ich bin Journalist, und alles, was ich poste, wird als journalistische Nachricht wahrgenommen."

Dass er schreiben wollte, wusste Arash Sigarchi schon früh. Erste journalistische Erfahrungen machte er als 15-Jähriger. In der Provinz Gilan im Nordiran geboren, arbeitete er bald für eine regionale Zeitung und wurde deren Chefredakteur. Doch dann machte er Bekanntschaft mit der Zensur: Längst nicht alles, was ihm wichtig war, konnte er dort publizieren. Dazu zählten schon damals Berichte über Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung. Was war naheliegender, als unter die Blogger zu gehen. So entstand das "Fenster der Angst": "Ich habe das Blog damals so genannt, weil ich jeden Tag, wenn ich ein neues Fenster in meinem Browser geöffnet habe, auf schlechte oder beängstigende Nachrichten gestoßen bin."

Arash Abadpour (Foto: DW)
Jurymitglied Arash AbadpourBild: DW/Tobias Kleinod

Im Gefängnis die BOBs verfolgt

Inzwischen arbeitet Arash Sigarchi in Washington, D.C. für den Sender "Voice of America". Das "Fenster der Angst" betreibt er trotzdem weiter. Der Name des Blogs ergibt jetzt sogar noch mehr Sinn als früher, findet er: "Als Rundfunk-Mitarbeiter beobachte ich den Iran jeden Tag. In jedem Browser, den ich benutze, bekomme ich schlechte Nachrichten. Zum Beispiel über Hinrichtungen oder Inhaftierungen."

Dass er nun von der 12-köpfigen internationalen Jury der BOBs im Berliner Funkhaus der Deutschen Welle zum Gewinner in der Hauptkategorie "Best Blog" gewählt wurde, kam für ihn völlig überraschend. Aber er ist glücklich und stolz: "Ich habe die BOBs immer verfolgt, sogar als ich im Iran im Gefängnis war!" Dass der Blog Award der Deutschen Welle so eine weitreichende Wirkung haben würde, konnte das DW-Team nicht ahnen, als der Wettbewerb 2004 ins Leben gerufen wurde, um Meinungsfreiheit und offene Diskurse im Netz zu fördern.

BOBs-Jurysitzung in Berlin (Foto: DW)
BOBs-Jury-Sitzung in Berlin, in der Mitte Chefredakteurin Ute SchaefferBild: DW/Tobias Kleinod

Politik zur Verantwortung ziehen

Die Relevanz der BOBs betont auch Deutsche-Welle-Chefredakteurin Ute Schaeffer: "Die Deutsche Welle hat mit dem Wettbewerb in vielen Regionen der Welt einen guten Ruf". Best-Blog-Gewinner Arash Sigarchi stehe "exemplarisch" für die Realität vieler Blogger: "Iran steht wie Syrien und vielleicht auch Russland für Regime, die versuchen, sich zu konservieren. Für sie haben Blogger eine wichtige Funktion, weil sie schlicht und einfach Politik zur Verantwortung ziehen".

Für das Verhalten des iranischen Diplomaten in Brasilien hat Arash Sigarchi übrigens nicht nur seine Regierung zur Verantwortung gezogen. Sondern er hat sich in seinem Blog ans brasilianischen Volk gewandt: "Bitte akzeptieren Sie meine Entschuldigung als Iraner und beziehen Sie dieses schreckliche Verhalten nicht auf meine Nation."