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ISIS zerstört Iraks Kulturschätze

Judit Neurink/sh12. Juli 2014

Zerstörte schiitische Moscheen und Sufi-Schreine rund um Mossul: Zur Zeit kursieren im Netz dutzende Bilder verwüsteter Baudenkmäler, die auf das Konto von ISIS gehen. Archäologen und die UNESCO sind alarmiert.

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Die Zerstörung der Kulturdenkmäler im Irak
Bild: DW/J. Neurink

Diese Vorfälle sind vermutlich nur der Anfang, warnt Simone Mühl, eine deutsche Archäologin, die jahrelang im Irak gearbeitet hat. Sie hat bei Facebook eine Seite für gefährdetes Kulturerbe im Irak eingerichtet, um Informationen über bedrohte Altertümer des Landes zu verbreiten: 18 Kulturschätze hat die Extremistenorganisation "Islamischer Staat" (IS), die sich früher ISIS nannte, als explizite Ziele für Zerstörungen deklariert. Andere sind einfach durch den Konflikt bedroht, durch Kugeln und Bomben: Sie werden zum kulturellen Kollateralschaden.

Die IS-Milizen starteten ihren Kulturkampf in Mossul bereits eine Woche, nachdem sie die Stadt erobert hatten - sie rissen Statuen berühmter Dichter und Historiker mit dem Bulldozer nieder. Ihre Begründung: Ihre Führung hätte angeordnet, "falsche Götzen" zu verwüsten. Kurz darauf folgten die Schreine. Als Bürger sie tagsüber bewachten, um sie zu schützen, kamen die Bulldozer einfach in der Nacht wieder.

Die Hauptangst der Archäologen: Die IS-Rebellen wiederholen, was sie in Syrien bereits getan haben. Aus reinen Propagandazwecken zerstörten sie unschätzbar wertvolle Überreste der assyrischen Herrschaft, sagt Simone Mühl: "Sie machen die Verwüstung zu einem Medienereignis."

Welt-Kulturerbe in Gefahr

Historische Stadt Hatra. (Foto:picture-alliance/dpa)
Die historische Stadt Hatra: Experten fürchten, dass auch sie zerstört werden könnteBild: picture-alliance/dpa

Die Gegend um Mossul ist für seine knapp 1800 archäologischen Stätten berühmt. Einige von ihnen sind 7000 Jahre alt, viele wurden noch gar nicht ausgegraben. Zwei der wichtigsten gehören sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe: Der Tempel von Assur aus der Zeit des assyrischen Reichs (2500-605 v. Chr.) und Hatra, die Hauptstadt eines mesopotamischen Kleinfürstentums aus der griechisch-römischen Zeit.

Aber die berühmteste Stätte ist Ninive, eine mesopotamische Stadt am Stadtrand des heutigen Mossuls. Überreste eines Palasts zeugen vom Wirken König Sanheribs, einem der berühmtesten assyrischen Herrscher. Außerdem sollen dort einst die Hängenden Gärten von Babylon angelegt worden sein, die zu den sieben Weltwundern der Antike zählen. Eine nahe gelegene Moschee soll die Überreste des Propheten Jona enthalten - es gibt Meldungen, wonach sie der Zerstörungswut der Aufständischen bereits zum Opfer gefallen ist.

Flehentliche Bitten der UNESCO

Zerstörung der Kulturdenkmäler im Irak. (Foto: Judit Neurink)
Zahlreiche Statuen und Schreine wurden bereits von den IS-Rebellen zerstörtBild: DW/J. Neurink

Archäologin Mühl hält die Verwüstungen für Teil einer größeren Strategie. "IS will nicht nur andere religiöse Ansichten zunichte machen, sie wollen auch die Identität der Menschen stehlen." Aber es gibt auch pragmatische Gründe für ihr Handeln - das hat sich in Syrien gezeigt. Laut der UNESCO hat die Gruppe dort von den Plünderungen und dem Verkauf von Antiquitäten finanziell enorm profitiert: Nach der Übernahme der Stadt Rakka räumten sie die Museumsräume leer: Einige der wertvollsten Stücke tauchten später in der Türkei und dem Libanon wieder auf - und wurden Syrien wieder zurückgegeben. Aber der Großteil der Beute blieb verschwunden, für viel Geld verkauft.

Aus Angst, dass dem Kulturerbe Iraks das gleiche Schicksal droht, hat die UNESCO die an dem Kampf Beteiligten inständig darum gebeten, sich von der Zerstörung jeglichen Kulturguts fernzuhalten, einschließlich der religiösen Stätten. Für die Organisation sind Plünderungen Kriegsverbrechen, die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. UNESCO arbeitet deshalb mit Interpol zusammen und sensibilisiert Nachbarländer für den Handel.

Millionen durch Antiquitätenverkauf

Überreste der letzten Synagoge im Irak. (Foto: Judit Neurink)
Überreste der letzten Synagoge im Irak - IS hat die Stätte nun unter ihrer KontrolleBild: DW/J. Neurink

Wie viel bislang ungesehen über die Grenzen gegangen ist und wie viel Profit IS bereits daraus schlagen konnte, wurde deutlich, als einer der Aktivisten in Mossul von irakischen Sicherheitskräften gefangen genommen wurde, wie die britische Zeitung "Guardian" kürzlich berichtete. Es stellte sich heraus, dass die Gruppe durch den Verkauf der Artefakte 875 Millionen US-Dollar in bar und in Form von Vermögenswerten erzielt hatte.

Laut "Guardian" hatte IS alleine durch den Ausverkauf der Schätze aus den Kalamun-Bergen westlich von Damaskus etwa 36 Millionen US-Dollar verdient. Ihre Besitzer wechselten die geplünderten Antiquitäten, die teilweise bis zu 8.000 Jahre alt waren, auf dem Schwarzmarkt. Nach anderen Berichten haben es IS-Mitglieder geschafft, seltene Manuskripte aus der Handschriftenabteilung der Hauptbibliothek Mossul an sich zu reißen - einige über 800 Jahre alt, darunter auch religiöse mit Blattgold verzierte Bücher. Ein alter Koran aus Mossul wurde in der benachbarten Türkei abgefangen, als er zum Verkauf auf dem Schwarzmarkt angeboten wurde.

Hoffen auf säkulare Kräfte

Archäologin Mühl hofft, dass andere Mitglieder in der IS-Koalition die sich abzeichnende Katastrophe bremsen können. Sie setzt ihre Hoffnung auf die weltlicher orientierten Kräfte in der Gruppe, etwa ehemalige Mitglieder der Baath-Partei und Offiziere, die unter Saddam Hussein gedient haben. "Die Baath-Partei war nie an der Zerstörung des Kulturerbes interessiert, sie haben sie für ihre Zwecke benutzt", sagt Mühl. "Saddam Hussein war begierig darauf, seinen Namen in die restaurierten Steine zu prägen, so wie es bereits assyrische Könige ihrer Zeit gemacht haben."