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Islam und Christentum: Zwingende Gegensätze?

Peter Philipp 17. September 2001

Das Gefühl von Überheblichkeit und Minderwertigkeit zwischen Islam und Christentum muss abgebaut werden.

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Wenn das so ist: Warum dann gibt es die Bilder von Freuden-Kundgebungen in einigen palästinensischen und libanesischen Orten? Warum wird auch von anderswo kaum versteckte Genugtuung gemeldet?

Die Gründe hierfür können nur im Unbewussten liegen. In einem tief sitzenden Minderwertigkeits-Komplex, der hier scheinbar kompensiert wird durch plötzliche Macht und das Bezwingen dessen, dem man sich bisher schutzlos ausgeliefert zu sein fühlte. Und es ist natürlich auch ein Konflikt zwischen verschiedenen Religionen, weil diese für unterschiedliche Kulturen stehen, für unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme. Für Macht und Ohnmacht.

Ohne dass dies natürlich durchgängig zuträfe: Das Christentum wird vor allem in der islamischen Welt nun einmal verstanden als die Religion der Reichen, Mächtigen und – wie es im Iran immer wieder formuliert wird – des Hochmuts und der Arroganz. Und dem Islam bleibt dann – trotz des Reichtums der muslimischen Ölstaaten – die Rolle des Unterprivilegierten, des Unterdrückten und Entrechteten.

Klischees, die jederzeit widerlegt werden könnten, die sich aber dennoch in den Köpfen allzu vieler Muslime festgesetzt haben. Und die von Radikalen zu ihrem eigenen Nutzen weiter gepflegt und kultiviert werden.

Palästina-Konflikt als klassisches Beispiel

Der Palästina-Konflikt ist ein klassisches Beispiel hierfür: Seit der ersten Ansiedlung von Juden in ihrer historischen Heimat argwöhnen die Araber im allgemeinen und die Palästinenser im speziellen, dass dies ein Komplott der Europäer und Amerikaner sei, um die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Versuche, dies abzuwehren, gingen in viele Richtungen. Nationalismus konnte die Entwicklungen ebenso wenig abwehren wie Panarabismus. Auch die zeitweilige Hinwendung zum Sozialismus hat solches nicht bewerkstelligt. An die Stelle dieser Ideologien ist seit Jahren die Religion getreten. Nicht als geistige oder geistliche Antwort, sondern als vermeintliches Machtinstrument. Unter anderem, weil über eine Milliarde Moslems weltweit eben eine formidable Heerschar abgeben.

Militante islamistische Regime und islamistische Terrorgruppen nutzen solche Klischees, um ihre eigenen unlauteren Ziele zu verfolgen. Und es kann ihnen nur recht sein, wenn sie damit – obwohl eine Minderheit - die Mehrheit der muslimischen Welt in den westlichen Staaten in Misskredit bringen.

Denn so falsch und verwerflich Verallgemeinerungen auch sind: In Situationen wie der gegenwärtigen Fahndung nach den Hintermännern der Anschläge von New York und Washington wäre es ein Wunder, könnte man hysterische Folgen verhindern. Plötzlich werden alle Araber verdächtigt oder alle Moslems - auch die, die in den Staaten der westlichen Welt leben. Und diese können dort noch so gut integriert gewesen sein: Sie werden durch diese Verdächtigungen allein schon empfänglicher für das demagogische Argument der westlichen "Arroganz".

Anfälligkeit für Hetze und Demagogie

Umso schlimmer, als ihre Integration in die westlichen Gesellschaften selten als gelungen bezeichnet werden kann: Nordafrikanischen Einwanderern in Frankreich nützt der französische Pass oft genau so wenig wie den Kindern türkischer Einwanderer in Deutschland ihr perfektes Deutsch: Für Schwachköpfe sind und bleiben sie "Ausländer". Also Fremde. Und das wird durch die ebenso lange wie mühselige und auch unselige Debatte über Einwanderungsgesetze, Asylpolitik, doppelte Staatsbürgerschaft, islamischen Religionsunterricht oder die multikulturelle Gesellschaft nur noch vertieft. Oder genauer: Durch die scheinbare Unfähigkeit unserer Gesellschaft, sich rasch auf menschliche und menschenwürdige Lösungen für diese Fragen zu einigen.

Bleiben die Lösungen aus, dann droht hier und da natürlich größere Anfälligkeit für Hetze und Demagogie, letztlich auch für terroristische Ideologien. Und das auf beiden Seiten: Ausländerfeindlichkeit oder Nord-Süd-Überheblichkeit sind doch Ansätze dazu.

Die vermeintlichen und wirklichen Differenzen und diiie Gefühl von Unterlegenheit und Überlegenheit müssen abgetragen werden. Der interkulturelle und interkonfessionelle Dialog darf nicht Sache für Schöngeister sein, sondern Teil des Alltags im globalen Dorf. Erst wenn das der Fall ist und noch nicht der Unterschied zwischen reich und arm, aber doch zwischen Minderwertigkeitsgefühl und Überheblichkeit beseitigt ist, wird auch der Nährboden für religiös motivierten Terrorismus absterben.