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Von Hype, Hoffnung und Scharia-Räten

Pia Rauschenberger
31. August 2017

Islamic Banking galt vor wenigen Jahren noch als große Hoffnung der Branche. Inzwischen reiht sich eine Enttäuschung an die nächste. Aber für Pessimismus ist es zu früh - neue Märkte wecken neue Hoffnungen.

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Islamic Banking
Bild: AP

Die Liebe zu Allah ist ein kostbares Gut, heißt ein islamisches Sprichwort. Neben diesem einen kostbaren Gut haben die 1,6 Milliarden Muslime weltweit jedoch noch andere Güter und Geld, das sie anlegen wollen. Im Islam sind Zinsen und Glücksspiel verboten. Insofern sehen einige Gläubige es als haram (verboten) an, ihr Geld konventionell bei Banken anzulegen.

Diese Lücke wird durch Islamic Banking geschlossen. Islamische Banken und Fonds richten sich nach dem islamischen Recht, der Scharia. Die wichtigsten Unterschiede zu konventionellen Banken sind das Zinsverbot und das Verbot von Glücksspiel, also von Wetten und somit auch von Finanzderivaten. Außerdem sind Investitionen im Bereich von Waffen oder Drogenhandel, Alkohol, Tabak, Prostitution oder Schweinefleischkonsum laut Scharia unzulässig. Der zentrale Gedanke ist, dass die Bank ethisch und moralisch handeln soll.

Allahs Banker - Islamic Banking als ethische Alternative?

Wer sich bei einer islamischen Bank Geld für ein Haus leihen will, kann das aber trotzdem tun. In dem Fall würde die Bank das Haus selbst kaufen und dann in Raten zu einem höheren Preis an den Kunden weiterverkaufen. Die Bank macht also auch ohne Zinsen Profit.

Da spekulative Geschäfte mit Derivaten im islamischen Finanzwesen verboten sind, setzte man nach der Finanzkrise große Hoffnungen auf diesen Teil der Finanzbranche. Das System bleibt näher an der Realwirtschaft, sagen einige Experten. "Das ist ein Vorteil für die Stabilität von Finanzmärkten“, meint Matthias Casper, Professor an der Universität Münster, der zu islamischem Bankenwesen forscht. "Islamic Banking scheint eine stabilisierende Wirkung auf den Finanzmarkt zu haben."

Beim Islamic Banking werden keine Hypotheken zu Paketen gebündelt und in Tranchen weiterverkauft, auch wird nicht mit Kreditausfall-Swaps auf Unternehmenspleiten spekuliert oder an der Börse auf den Wertverlust einer Aktie gewettet. Geschäfte beziehen sich auf konkrete Güter. Die Risiken bleiben demnach überschaubar im Vergleich zum konventionellen Bankwesen. Das mag auch der Grund gewesen sein, warum sich 2015 die G-20-Finanzminister dafür aussprachen, Islamic Banking verstärkt in die globale Finanzierungsstruktur zu integrieren. 

Große Erwartungen

Und die Zahl der Muslime weltweit steigt. Noch 2015 wurde Islamic Banking deshalb als das nächste große Ding im Finanzwesen gehandelt. In den vier Jahren zuvor war der Markt rasant gewachsen. Unternehmensberatungen wie Deloitte gingen davon aus, dass das Volumen islamischer Finanzprodukte weiter steigen würde. Obwohl die großen Player in diesem Bereich aus den Golfstaaten und Malaysia kommen, waren auch die Europäer interessiert an dem islamischen Finanzsystem. Großbritanniens Premier David Cameron kündigte an, London zur Drehscheibe für islamische Finanzgeschäfte zu machen und eine islamische Staatsanleihe zu begeben. In Deutschland nahm die erste islamische Bank, die KT Bank, ihre Arbeit auf. 20.000 Privatkunden wolle sie bis Ende 2017 gewinnen, hieß es damals.

...und Enttäuschungen

Seitdem haben sich nur wenige der Hoffnungen erfüllt.  "Muslime nutzen auch nicht-muslimische Banken sehr gerne“, sagt der Islamwissenschaftler Thomas Volk von der Konrad Adenauer Stiftung. "In Indonesien, dem Land mit den meisten Muslimen, haben nur fünf Prozent eine islamische Bank." Großbritannien hat die Ausgabe einer islamischen Staatsanleihe nicht wiederholt. Die Ratingsagentur Standard & Poors schätzt, dass 2017 ein weiteres schwieriges Jahr für Islamic Banking werden könnte.

Institutionen fehlen

Eine globale Institution, die verlässlich und dauerhaft einschätzt, ob ein Paket islamkonform ist, gibt es nicht. Das ist ein Problem für Islamic Banking. Ein Problem, das mit dem Islam an sich verknüpft ist. "Die Scharia ist kein einheitliches Rüstzeug, an dem sich alle Muslime weltweit orientieren", sagt Thomas Volk, "sondern eine Sammlung von Texten aus Koran und Sunna. Die Scharia wird je nach islamischer Rechtsschule unterschiedlich interpretiert."

Banken und Unternehmen, die ein islamisches Finanzprodukt anbieten wollen, brauchen dafür ein Zertifikat. Das bekommen sie von einem Scharia-Rat, der besteht in der Regel aus drei muslimischen Rechtsgelehrten. Es gibt allerdings keinen international anerkannten Scharia-Rat. Unterschiedliche Scharia-Räte können Finanzprodukte unterschiedlich bewerten. "Außerdem könnte sich die Mehrheitsmeinung innerhalb der islamischen Community ändern“, gibt Casper zu Bedenken.

International macht das islamische Finanzwesen aktuell eher durch Chaos von sich Reden. Im Juni verkündete die Gasfirma Dana Gas aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, zwei ihrer islamischen Anleihen mit einem Gesamtvolumen von 700 Millionen US-Dollar seien nicht mehr islamkonform. Sie müssten daher umstrukturiert werden - zu für Investoren wesentlich schlechteren Bedingungen.

Die Deutsche Bank und andere Gläubiger reagierten erbost, im Oktober geht die Sache vor Gericht. Der Fall macht deutlich, dass im Islamic Banking international einheitliche Standards fehlen. 

„Ist das wirklich gelebtes Zinsverbot?"

Einen weiteren Schwachpunkt im islamischen Finanzwesen sieht Thomas Volk in der Art, wie islamische Banken Geld verleihen, ohne Zinsen zu nehmen. Vordergründig geht es dabei um einen Warengeschäft, allerdings gibt es die Ware nur auf dem Papier. Der Kreditnehmer kauft der Bank die "Ware" ab, zahlt aber in Raten. Die Bank kauft die "Ware" sofort wieder zurück, allerdings zu einem niedrigeren Preis, den sie dem Kunden sofort auszahlt. Der Kunde erhält also einen Kredit und hat, wenn die letzte Rate bezahlt wurde, mehr bezahlt, als er sich geliehen hat. Volk sieht darin keinen großen Unterschied zu Zinsen: "Ist das gelebtes Zinsverbot oder ein Aufschlag durch die Hintertür?“

Große Hoffnungen in den Bereich möchte auch Matthias Casper nicht machen. "Trotz des realwirtschaftlichen Bezugs sind Spekulationen möglich, auch eine eine Immobilienblase. Da wird de facto auf reale Objekte spekuliert, wenn sehr viele Kunden Geld in Immobilien investieren. Das war so zum Beispiel in Dubai der Fall." In Dubai, der größten Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate, sind die Immobilienpreise seit 2014 deutlich eingebrochen. 

Gesättigte Märkte in Deutschland

In Deutschland ist Islamic Banking bisher nicht sehr beliebt. "Das liegt an der Struktur der Muslime hier", sagt Casper. "Viele Muslime in Deutschland sind skeptisch, was Islamic Banking angeht, weil sie aus der Türkei kommen und ausgewandert sind, als die Türkei noch ein säkularer Staat war und es Islamic Finance noch nicht gab. Die Muslime aus den Golfregionen, die das gerne nachfragen, sind bei uns nicht sehr stark vertreten.“

Die KT Bank gibt an, mit ihrem Vorhaben im Plan zu liegen, bis Ende dieses Jahres 20.000 Kunden zu gewinnen. Konkrete Zahlen nennt sie jedoch nicht. Eine Bank wie die KT Bank muss sich erst Vertrauen aufbauen, meint Casper. "Viele Muslime vertrauen eher der Sparkasse um die Ecke als irgendeinem Joint Venture, das neu und unbekannt ist."

Ähnlich sieht das Philipp Wackerbeck von der Unternehmensberatung Stategy&. "Der große Durchbruch ist in Europa nie so richtig gekommen." Nach dem anfänglichen Hype habe sich keine große Bank gefunden, die das Thema für den europäischen Markt aufgreifen wollte. Er sieht eine Chance für Islamic Banking in Deutschland, wenn sich die Struktur der islamischen Bevölkerung hier ändert, weil mehr Muslime aus anderen Ländern herkommen. "Muslime aus Afrika oder dem Golf sind dafür offener als die hier lebenden Türken“, sagt Wackerbeck. "Das Marktpotenzial ist da nicht zu unterschätzen."

Neue Märkte in Afrika

Marktpotenzial sieht Thomas Volk eher woanders. "In Afrika gibt es 250 Millionen Muslime und es gibt Prognosen, nach denen es bis 2030 bereits um die 380 Millionen sein werden." Afrika gilt deshalb als ideale Region für das islamische Finanzwesen - aber als keine einfache. Es braucht die nötige Infrastruktur und Investitionen, um auf dem afrikanischen Kontinent erfolgreich zu sein.

Dafür ist der Senegal ein Beispiel. Das Land ist politisch stabil und hat ein Wirtschaftswachstum von 6,7 Prozent. Dort hat die islamische Entwicklungsbank in den letzten Jahren stark in Islamic Banking investiert. Thomas Volk arbeitet für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Senegal. "Das Potential Senegals ist eindeutig", sagt Volk. "Die Bevölkerung wird sich mehr als verdoppeln. Sie ist gleichzeitig islamisch geprägt, zwischen 90 und 95 Prozent sind Muslime und sehr religiös."

Interview mit Thomas Volk zu Islamic Banking - MP3-Stereo

Volk sieht deshalb Islamic Banking als Zukunftsmodell für Afrika. "Ich glaube, dass Islamic Banking in Ländern in Subsahara-Afrika eine Riesenerfolgschance hat. Weil es eine sehr gläubige Bevölkerung gibt, die bereit wäre in dieses Konzept zu investieren."

 "Entscheidend ist die Wettbewerbsfähigkeit mit konventionellen Banken", sagt Unternehmensberater Wackerbeck. "Keiner kauft Produkte einer Bank, nur weil sie islamisch ist." Das gilt zumindest für die Muslime in Europa, die meistens schon ein Konto bei einer konventionellen Bank haben.

In Afrika könnte das anders sein. "Ein Großteil der Bevölkerung hat noch immer kein Bankkonto", sagt Volk. "Wenn sich gerade eine Mittelschicht entwickelt, könnten diese Menschen ihr erstes Konto bei einer islamischen Bank aufmachen."