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Hätte ein islamisches Finanzsystem die Krise verhindert?

18. März 2009

Jahrelang haben Investmentbanker mit Geld jongliert, das es nicht gibt. Dass dies keine Notwendigkeit des Marktes ist, lernen Studenten in Straßburg im Aufbaustudiengang "islamische Finanzwissenschaft".

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(18.09.2008/AP)
Spekulieren mit virtuellen WertenBild: AP

Der algerische Dozent erzählt, aufmerksam hören ihm 36 Studenten zu, die meisten sind Männer. Alle sind um die 30 Jahre alt, unter ihnen viele Muslime. Angestrengt sehen sie aus, für drei Seminartage pro Monat kommen sie nach Straßburg. Die drei Seminartage sind von morgens bis abends voll gestopft mit Vorlesungen. Die restlichen Wochen arbeiten sie normal weiter - als Juristen, Banker oder Wirtschaftsberater.

Einigen wird die Ausbildung vom Unternehmen finanziert, sie kostet immerhin fast dreieinhalbtausend Euro. Unter den Studenten ist auch Aline Pajolec: Die Pariserin ist katholisch und baut für einen arabischen Investor eine Consulting Agentur auf. Die soll Qualitätsstandards für Manager in islamisch geprägten Ländern entwickeln.

Außenansicht (EM-Strasbourg)
Die Hochschule für Management in Straßburg bietet den Aufbaustudiengang anBild: Ecole de Management Strasbourg

"Mir geht es vor allem darum herauszufinden, wie meine Gesprächspartner funktionieren", sagt sie. "Tag für Tag arbeite ich mit Menschen zusammen, die eine andere Kultur und eine andere Religion haben. Da hat man die Wahl: entweder man versteht, was bestimmte Verhaltensweisen und Begriffe bedeuten - oder man fällt ganz gewaltig auf die Nase."

"Glücksspiel ist im Islam verboten"

Deshalb muss Aline Pajolec zum Beispiel wissen, dass der Koran seinen Anhängern verbietet, Zinsen auf Kredite zu erheben. Und dass Muslime nicht in Branchen investieren dürfen, die mit Alkohol, Waffen oder Pornographie zu tun haben.

Verboten seien außerdem Geschäfte mit Risikoprodukten, sagt Ibrahim Cekici, Dozent und Leiter des neuen Studiengangs. "Weil im Islam das Glücksspiel absolut verboten ist, gilt das auch für Spekulationsgeschäfte", erklärt er. Jedes Finanzgeschäft müsse durch einen reellen, greifbaren Gegenwert gedeckt sein. Die Finanzkrise habe ihre Ursache schließlich darin, dass Leute mit dem Risiko selbst spekuliert hätten. "In der Islamischen Finanzwirtschaft ist das strikt verboten."

Wachstumsschub durch Golfstaaten

Das sind ethische Grundsätze, die auch die eher nüchtern wirkende Aline Pajolec von dem Studiengang überzeugt haben. "Sicher darf man der islamischen Finanzwirtschaft keine paradiesischen Wunderkräfte andichten", sagt sie. "Aber ich glaube, sie bietet die Chance, dass wir die Entwicklung der westlichen Finanzwirtschaft in den vergangenen 20 Jahren neu überdenken, denn was wir heute haben, ist nicht unbedingt eine Finanzkrise, sondern eine Wertekrise."

Logo der Deutschen Ban
Die Deutsche Bank investiert bereits in "Sukuk"Bild: bilderbox

Aber Werte hin oder her - auch zahlreiche westliche Banken haben längst erkannt, wie lukrativ die nach islamischen Recht erlaubten Finanzprodukte sind. Vor allem dank der boomenden Golfstaaten ist der Markt enorm gewachsen, das hat Lachemi Siagh beobachtet. Wenn der Algerier nicht gerade in Straßburg unterrichtet, arbeitet er in seinem Heimatland für die Deutsche Bank.

Steuersystem nach islamischen Vorgaben

"Die Deutsche Bank steckt mittendrin in der 'islamischen Finanzwirtschaft'", sagt Siagh. "Sie ist zum Beispiel einer der großen Akteure, wenn es um die so genannten 'Sukuk' geht. Das sind Staatsanleihen, die nach den Anforderungen des islamischen Rechts modelliert sind." Allein in den vergangenen Jahren habe die Deutsche Bank "Sukuk" im Wert von rund zwanzig Milliarden Dollar aufgelegt.

Und diesen Markt will sich auch Frankreichs Regierung nicht entgehen lassen: Sie passt ihr Rechts- und Steuersystem peu à peu den islamischen Vorgaben für Finanzgeschäfte an. Um Arbeitsplätze müssen sich die Straßburger Studenten im kommenden Jahr also wohl kaum Sorgen machen.

Autorin: Katrin Matthaei
Redaktion: Sandra Voglreiter