1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Muslimisch und deutsch

Christoph Strack16. Januar 2013

Vor drei Jahren kündigte die Bundesregierung den Aufbau islamischer Theologie in Deutschland an. Nun zogen Experten eine positive Zwischenbilanz der bisherigen Maßnahmen.

https://p.dw.com/p/17KmJ
Institut für islamische Theologie Universität Osnabrück (Foto: dpa)
Institut für islamische Theologie Universität OsnabrückBild: picture-alliance/dpa

Islamische Theologie etabliert sich an deutschen Universitäten mit anhaltender Dynamik - in überraschendem Maße. Deutsche Wissenschaftler sprechen gar von einer regelrechten Sogwirkung auf andere europäische Länder. "Einen solchen Prozess hat es an europäischen Universitäten noch nicht gegeben", meinte Reinhard Schulze, der an der Universität Bern in der Schweiz Islamwissenschaften lehrt. Bei einem Fachgespräch im Bundestags-Bildungsausschuss zeigten sich auch Hochschullehrer deutscher Universitäten überzeugt, dass es zu einem raschen Ausbau des Lehrbetriebs kommen werde.

"Gebot der Gleichberechtigung"

Katajan Amirpur von der Universität Hamburg nannte die Errichtung der Studiengänge ein "Gebot der Gleichberechtigung". Mathias Rohe aus Erlangen sagte zurückblickend, die universitäre Verankerung bringe einen "sehr großen Schub". Bülent Ucar, islamischer Religionspädagoge in Osnabrück, dankte ausdrücklich den Politikern auf Bundes- und Landesebene für ihr Engagement der vergangenen Jahre.

Ungewohnt viel Optimismus und Lob für die politische Bühne - dabei bestehen nach wie vor Probleme, die vorwiegend den in Deutschland geltenden religionsverfassungsrechtlichen Regelungen geschuldet sind. Denn anders als mit den Kirchen oder der jüdischen Gemeinschaft fehlt es bislang an einem verfassten Umgang mit den Muslimen in Deutschland. Erst in den letzten Wochen gingen die Bundesländer Hamburg und Bremen erste Schritte. Doch auch dort haben muslimische Verbände oder Gemeinschaften keine Anerkennung als "Körperschaft des öffentlichen Rechts". Erst mit diesem Schritt geht vieles an Förderung und Zusammenarbeit einher.

Doch großer Bedarf für akademische Ausbildung besteht seit langem. Der Bund rechnet damit, dass der Aufbau islamischen Religionsunterrichts in Deutschland Stellen für 2200 Religionslehrer eröffnet. Und weit über 1000 Imame in Deutschland, von denen viele nie eine akademische Ausbildung absolviert haben, bieten ein weites Feld der Aus- und Fortbildung.

Zentren islamischer Theologie

Den Anstoß zur Verankerung islamischer Theologie gab im Jahr 2010 der Wissenschaftsrat. Dieses wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland hatte sich drei Jahre lang mit der Präsenz von Theologie an den Universitäten befasst - und kam erst im Laufe vieler Gespräche zentraler auf das Thema Islam. "Am Anfang standen islamische Studien und islamische Theologie gar nicht zur Debatte", erläuterte Reinhard Schulze, der dem Arbeitsgruppe des Rates angehörte. "Das war dann erst das logische Produkt einer produktiven Auseinandersetzung mit der akademischen Theologie in Deutschland."

Am Ende sorgte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) für Zentren islamischer Theologie an vier Standorten. Sie entstanden 2010 und 2011 in Münster/Osnabrück, Tübingen, Frankfurt/Gießen und Nürnberg-Erlangen.

Auch Sprachprobleme

Herausforderungen bestehen dabei durchaus und in ganz unterschiedlicher Richtung. Dazu zählt nicht nur das Gegenüber der auf dieser Bühne als "Laientheologen" bezeichneten fundamentalistischen Prediger oder Gläubigen.

Katajan Amirpur setzt in Hamburg auf eine "Akademie der Weltreligionen", die Muslime akademisch mit Christen, Buddhisten, Hindus oder anderen Religionen ins Gespräch bringen will. Mehrere andere Experten verwiesen auf die Notwendigkeit, die konfessionelle Landschaft im Islam miteinander ins Gespräch zu bringen. Und Rohe, seit langem in diesem Bereich tätig, schilderte die Schwierigkeiten, "die zahlreichen neuen Lehrstühle adäquat zu besetzen". Dies sei aber nun an allen Standorten gelungen. Zwar gebe es weitere Anlaufschwierigkeiten, aber er sehe Anlass für freundlichen Optimismus. Weitere Hürden sind die ausreichenden Kenntnisse der deutschen wie der arabischen Sprache gleichermaßen.

Neben den Professoren saß den Bundestagsabgeordneten im Ausschuss-Saal auch ein Erstsemester-Student gegenüber. Für Enes Erdogan ist mit dem neuen Studium "ein Traum wahr geworden". Sein biografischer Abriss zeigt die Dimension des neuen Fachs. Der Weg von Berlin-Neukölln nach Osnabrück "war der erster Umzug in meinem Leben", sagt er schunzelnd. In seinem Berliner Bezirk habe er "sehr viel miterlebt" aufgrund von Unwissenheit über Religion. "Man gibt der Religion eine sehr hohe Stellung, kennt sich damit aber nicht aus." Es gehe um Identitätsbildung. Erdogan weiß zwar noch nicht, wer ihm später eine Arbeitsstelle finanzieren wird - aber dass er in diesem Bereich tätig werden wird, kann er sich gut vorstellen.

"Sehr spannend"

Forschungs-Staatssekretär Thomas Rachel, der das Expertengespräch aufmerksam verfolgte, zeigt sich nach der Schilderung der Experten von einer "historischen" Dimension überzeugt und zieht den Vergleich zum Aufkommen evangelischer Theologie nach der Reformation vor knapp 500 Jahren. Islamische Theologie werde damit an den deutschen Universitäten und damit auch in der deutschen Gesellschaft verankert, sagte er der Deutschen Welle.

"Sehr spannend", so Rachel, sei es, dass die Entscheidung, islamische Theologie an deutschen Universitäten zu ermöglichen, rasch eine hohe Attraktivität auch bei Studierenden aus anderen Ländern bekomme. Schulte berichtete, aus der Schweiz, aber auch aus dem angelsächsischen Raum und aus Frankreich gingen Studierende bereits gezielt nach Deutschland. Und seine Kollegen schilderten sogar Interesse aus islamischen Ländern Asiens.