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"Islamischer Staat" in Geldnot

Kersten Knipp21. April 2016

Die Einnahmen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gehen aus vielen Gründen zurück. Das setzt den Dschihadisten zwar zu, macht sie aber noch nicht kampfunfähig. Europa bleibt weiterhin gefährdet.

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Rückeroberung der Erdölraffinerie Baidschi im Irak, 16.04.2015 (Foto: MOHAMMED SAWAF/AFP/Getty Images) )
Bild: Getty Images/Afp/Mohammed Sawaf

Textsicherheit im Hinblick auf den Koran kann Irakern und Syrern im IS-Gebiet einiges an Geld sparen. Korrekte Antworten auf Fragen, die ihnen die Dschihadisten zum Heiligen Buch der Muslime stellen, verschonen sie nämlich vor Geldstrafen. Die werden immer dann fällig, wenn die Bürger entsprechende Auskünfte schuldig bleiben.

Mit ihren Fragen zum Koran haben die IS-Terroristen nicht nur eine weitere Art gefunden, Menschen ideologisch zu drangsalieren. Ganz wesentlich geht es ihnen auch darum, neue Geldquellen zu erschließen. Die finanzielle Situation des IS ist offenbar so dramatisch, dass er selbst auf sehr überschaubare Beträge angewiesen ist.

So jedenfalls stellt es das Beratungsunternehmen Information Handling Services (IHS) in seiner kürzlich erschienenen Studie zur finanziellen Situation des IS dar. Demnach sind die Einkünfte der Dschihadisten massiv geschrumpft. Nahm der IS Mitte 2015 noch rund 80 Millionen US-Dollar im Monat ein, sind es derzeit nur noch 56 Millionen.

"Der 'Islamische Staat' ist noch eine Macht in der Region, aber seine Einkommensverluste sind bedeutend und für den langfristigen Staatserhalt eine immer größere Herausforderung", schreibt Ludovico Carlino, einer der Autoren der Studie.

Folgen der Luftangriffe

Die Angriffe der Russen und US-Amerikaner haben der Terrormiliz nach Informationen des IHS erheblich zugesetzt. In den vergangenen 15 Monaten habe sie rund 22 Prozent ihres Territoriums verloren, sagt Columb Strack, ein weiterer Autor der Studie. Noch dramatischer stelle sich der Verlust im Hinblick auf die Zahl der in den IS-Gebieten lebenden Menschen dar. Waren es zu Beginn des vergangenen Jahres rund neun Millionen, sind es nun nur noch sechs Millionen.

Luftangriff auf die IS-Hochburg Raqqa, November 2015 (Foto: picture-alliance/dpa/ABACA)
Luftangriff auf die IS-Hochburg RakkaBild: picture-alliance/dpa/ABACA

Vor allem mit Blick auf die Strukturen der IS-Einkünfte ist das ein dramatischer Verlust. Denn zur Hälfte finanziert sich der "Islamische Staat" durch "Steuern" und Konfiszierungen. Wer im IS-Gebiet lebt, muss Steuern an die Dschihadisten entrichten - und wird oftmals auch enteignet. Das gilt vor allem für Bürger, die einer anderen Konfession als der sunnitischen angehören.

Raketen auf Raffinerien

Weitere 43 Prozent seiner Einnahmen bezieht der IS aus dem Verkauf von Erdöl. Auch in dieser Hinsicht haben ihn die Verluste bedeutender Fördergebiete getroffen. Zudem haben die Amerikaner gezielt die Förderanlagen angegriffen.

Diese Angriffe dokumentieren auch den Strategiewechsel der USA. Lange Zeit hatten die Amerikaner den Erdölhandel des IS geduldet: Zu viele Zivilisten waren an ihm beteiligt. Hätten sie die Grundlagen der Förderanlagen oder die Schmuggelwege zerstört, hätten sie damit einen Teil der Gesellschaft gegen sich aufgebracht - so ihre Sorge.

Ein LKW, der 30.000 Liter Rohöl transportiert und erfolgreich an seinen Zielort bringt, beschert seinen Betreibern pro Fahrt einen Gewinn von rund 4000 US-Dollar. "Daraus resultierte eine gewaltige Unterstützung für das Kalifat", schreiben die Wissenschaftler George Kiourktsoglou und Alec D. Coutroubis von der britischen Universität Greenwich, die die Erdöl-Geschäfte des IS in einer 2015 veröffentlichten Studie analysierten.

Nach den Pariser Anschlägen im November 2015 änderten Amerikaner und Europäer aber ihre Strategie. Bereits wenige Wochen später war gut ein Drittel der rund 900 Fahrzeuge starken LKW-Flotte des IS zerstört.

Vom IS beherrschte Gebiete in Syrien und im Irak, 31. März 2016 DEU (Karte: DW)
Vom IS beherrschte Gebiete in Syrien und im Irak

Gekappte Bankverbindungen

Zudem finanziert sich der IS auch durch Spenden. Die waren ihm zu Beginn des Bürgerkriegs von erheblichem Nutzen. Ein Großteil kam von privaten Einrichtungen aus der Golfregion, insbesondere aus Saudi-Arabien. Die saudische Regierung habe nun aber erkannt, dass sie gegen diese Geldströme vorgehen müsse, sagt Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Allerdings haben die Saudis es bislang nicht geschafft, die Finanzströme aus den privaten Kreisen, den Wohlfahrtsinstitutionen und den Stiftungen zu unterbinden. Auch wenn das seit dem 11. September 2001 ausgebaut wurde und sie daran arbeiten, das weiter zu verbessern. Hier gibt es noch Nachholbedarf", so Sons im Gespräch mit der DW.

Die Luftschläge und das Vorrücken der syrischen und der irakischen Armee setzen dem IS weiter zu. Denn je mehr das von ihm beherrschte Territorium schrumpft, desto geringer werden auch die Einkünfte, die er etwa durch Lösegelder, Menschenhandel oder Drogenhandel erzielt.

Beschnitten werden die Finanzen des IS auch auf nicht-militärischem Weg. So hat der Irak Banken, die im Herrschaftsbereich des IS liegen, untersagt, internationale Transaktionen zu tätigen.

Außerdem überweist der irakische Staat seinen in diesem Gebiet lebenden Angestellten kein Gehalt mehr. Die bislang dorthin ausgezahlten Gehälter beliefen sich auf rund 170 Millionen US-Dollar monatlich. Rund 10 Prozent dieser Summe hatte der IS als "Steuern" abgeschöpft.

Personen und Institutionen mit Verbindungen zum IS werden international auf schwarze Listen gesetzt. Wer sich dort wiederfindet, kann ebenfalls keine Bankgeschäfte mehr tätigen.

Libysche Regierungsmilizen im Kampf gegen den IS, 16.03.2016 (EPA/STR / dpa - Bildfunk)
Libysche Regierungsmilizen im Kampf gegen den ISBild: picture-alliance/dpa

Halbierte Gehälter

Auf diese Verluste hat der IS bereits reagiert. So hat er seinen Kämpfern die Gehälter um die Hälfte reduziert, berichtet die New York Times.

Der IS ist zwar geschwächt. Aber er ist nicht besiegt, warnt der Nahost-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz. Längst seien nämlich Tausende von IS-Kämpfern aus Syrien nach Libyen abgezogen worden. "Libyen ist ein gescheiterter Staat. Dort sieht der IS offenbar seine Zukunft, so dass selbst im Fall einer militärischen Niederlage in Syrien und im Irak dies noch nicht das Ende des IS bedeutet." So sei die Terrormiliz in Teilen weiter handlungsfähig. "Es ist also weder mit einer völligen Vernichtung des IS in den muslimischen Ländern zu rechnen noch mit einer Senkung der Terrorgefahr in Europa."